Was braucht es, damit ein sich zu merkender Sachverhalt in gelebter Erinnerung bleibt? Sicherlich Prägnanz und einen ausdrucksstarken Appell verbunden mit einer positiven Botschaft und Emotion, die sich mithilfe bewährter Mechanismen und gleichzeitig unkonventionellerer Methoden sowie einem glaubwürdigen, interessanten Charakter in ansprechender Aufbereitung bewusst gut aufnehmen lassen. All das bietet Bachs Kantate für den 1. Sonntag nach Ostern, Halt im Gedächtnis Jesum Christ, BWV67, die erstmals am 16. April vor genau 300 Jahren aufgeführt wurde und zu einem weiteren Beispiel meiner absoluten Lieblingsstücke zählt.

Mit dem richtigen Effet ist es darin schier unmöglich, sich der aufträglichen Mahnung des titelgebenden Eingangschores zu entziehen, Jesus weiter in ständigem Bewusstsein zu bewahren, gleich nachdem die höchsten Feierlichkeiten zur Auferstehung – vorangegangen mit der ersten Passion Bachs in Leipzig zum Karfreitag – im einziehenden Alltag schon beinahe verflogen scheinen. Das spezielle Zughorn, schon daran dürften sich einige erinnern, und die klaren Chorrufe dienen da dem Imperativen, während sie zugleich zusammen mit Oboe d’amore und Traverso sowie den Streichern und dem Basso als im Verlauf übliche konträre Transmitter das Grundgerüst andauernder Festlichkeit bilden. Schließlich schlängeln sich die Bläser mit dem Vokalen gemäß des zweiten Verses, dem Halbsatz „der auferstanden ist von den Toten“, in die Freudenhöhen der glaubenselementaren Memoria an das Leben nach dem Scheiden von der Erde.

In solches Horn – rein redewendungsmäßig, das Instrument schweigt – stößt auch nach diesem rüttelnden Bund von Dictum und Chorkonzert die gleich anschließende Arie des Tenors „Mein Jesus ist erstanden“. Zumindest mit den ersten drei Versen der Textstrophe, wenn die „siegreiche“ Gewissheit des Glaubens verkündet wird. Denn das obligatorische „doch“ der folgenden zwei Verse bezieht die bisher verständlichen Zweifel im „Kampf“ mit eigener religiöser Überzeugung mit ein, weshalb der eingangs ergangene Ruf erst recht Bedeutung erhält. Restzweifel trotz erkannter Erlösungswirkung setzt das Alt-Rezitativ fort, in dem Bach solche mit Bezügen zu Stellen der Lutherbibel durch Tritonusintervall und Dissonantakkord versieht. Das letztgenannte „trotzdem“, das das Ich selbst erinnert, wird im vierten Kantatensatz vorgestellt. Es ist das „Loblied“, Nikolaus Hermans Osterchoral „Erschienen ist der herrlich Tag“, unter dessen Einfluss die danach weitergeführte Bedenkenrede des Alts bröckelt und – mit nächstem „doch“, dann zu „ja, ja“ – zum Überkommen wandelt.

Das Ich, das Jesus mit „so streite selbst mit mir“ zum Beistand erwartet, wird dabei zum Wir der Jünger. Und das lassen sich zum „Erfüllen von Wort und Werk an uns“ natürlich weder Christus noch Komponistenheiland Bach nehmen, zu belegen. Mit der zentralen Osterbotschaft „Friede sei mit euch!“ spricht der Bass unterlegt von den Holzbläsern im Dreiertakt (Himmelssymbol) als auferstandener Jesus selbst zu den im Vierertakt (Weltzeichen) streicherbegleiteten Gläubigen (SAT-Chor), die nun – mit den drei weiteren Osterinhalten, der Hilfe im Satansgefecht, der Erquickung von Geist und Leben sowie der Wiedersehenshoffnung im Himmel – richtig zappelig sind. Nicht nur mir gefällt dieser sechste Satz ziemlich gut, sondern auch Bach liebte ihn sehr; derart, dass er ihn für seine Missa brevis in A – er hatte ein hervorragendes Gedächtnis (unterstützt von ordentlicher Ablage und Bibliothek) – vierzehn Jahre später wiederbenutzte. 

Bei finaler Wiederholung treten Christus die Streicher letztlich bei, schaffen Beruhigung und Bestätigung und leiten zum vermittelnden Schlusschoral – dann mit wirklich Jedem, also auch wieder mit Zughorn. Bis zum nächsten Halt, im Gedächtnis und doch sicherheitshalber in kommender Kantate!