Mit den ersten irisierenden Tönen aus dem Orchestergraben hebt sich der Vorhang und gibt den Blick frei auf eine gleichmäßig blaugetönte Fläche, getrennt durch senkrechte Linien. Unser Auge wird unmittelbar von einer Frau angezogen: Mélisande, eine grazile Silhouette aus weißem Licht scheint aus den Schatten. Golaud hat sich ebenfalls erblickt. Umherstreifend in diesem virtuellen Wald, am Ende der Bühne weiter getarnt durch seine schwarze Tunika, spricht er die junge Frau über eine Distanz an, die unüberbrückbar scheint, wenngleich kein physikalisches Hindernis in seinem Weg liegt. „Habt keine Angst. Es gibt nichts zu befürchten. Warum weint Ihr hier, ganz allein?“ fragt er in natürlichster Prosa. „Rührt mich nicht an,“ antwortet Mélisande. „Rührt mich nicht an, oder ich werfe mich ins Wasser...“ Ihrer beider Gesten aber lassen nichts dergleichen vermuten und korrespondieren in keinster Weise mit der Aussage des Librettos. Die Handlungen dieser Figuren bewegt sich auf einer höheren Ebene, geheimnisvoll und surreal. Alle bewegen sich konstant in einem extrem langsamen Tanz, der frei von japanischem Theater inspiriert zu sein scheint. Die verschiedenen Tableaus, fein gedrechselt von Debussys Musik, scheinen als Serie von intensiv poetischen Miniaturen.
Robert Wilsons Inszenierung von Pelléas et Mélisande ist eine erprobte Produktion an der Opéra de Paris, doch die Zeit hat den Enthusiasmus, der von der absoluten Harmonie mit dem Geist des Werkes hervorgerufen wird, nicht gedämpft. Mit einem weit offenen, nahezu leeren theatralischen Raum zugunsten sehr sparsamer Bewegung, Farben und visuellen Effekten lädt Wilson uns ein, unsere Sinne zu öffnen und dem sich entfaltenden Drama alle Aufmerksamkeit zu schenken, besonders den nahtlosen Vokallinien, die Maeterlincks Worte tragen. Erstaunen wird zu Bewunderung, als wir wie sinnträchtige Kraft dieser Worte in Musik verwandelt fühlen. Für unsere zeitgenössischen Ohren ist die Harmonie von Poesie und Musik absolut. Kein klanglicher Effekt ist überflüssig, es gibt keinen Ton, der nur um seiner selbst willen existiert: alles in Debussys Musik dient dem Drama, und der Komponist hat nichts ausgelassen, um eines seiner edelsten Juwelen zu schaffen.