Inmitten der Covid-Pandemie begannen fast alle großen Opern- und Ballettkompanien, Video-Streaming als einzige Möglichkeit zu nutzen, um ihre Künstler*innen zu beschäftigen und mit ihrem Publikum in Kontakt zu bleiben. Doch nun, da die Lockdowns hinter uns liegen, sind die Meinungen geteilt. Während einige Häuser ihre Videoaktivitäten stark reduziert oder ganz eingestellt haben, hat die Opéra national de Paris ihre Investitionen in Streaming verdoppelt und ein umfangreiches eigenes Angebot geschaffen, das im März 2023 als Paris Opera Play (POP) gestartet ist.

<i>Les Brigands</i> inszeniert von Barrie Kosky, auf Paris Opera Play &copy; Agathe Poupenay | Opéra National de Paris
Les Brigands inszeniert von Barrie Kosky, auf Paris Opera Play
© Agathe Poupenay | Opéra National de Paris

Die Opéra erkannte, dass Video-Streaming auch weiterhin ein unschätzbares Instrument sein würde, um Menschen zu erreichen, die aus welchen Gründen auch immer nicht an Aufführungen teilnehmen können: Mobilität, Kosten, Entfernung oder einfach weil manche Aufführungen zu schnell ausverkauft sind, um noch Tickets zu ergattern. Der Auftrag der Opéra von ihren verschiedenen öffentlichen Geldgebern verlangt nachdrücklich, dass sie ihre Kunst einem möglichst breiten Publikum zugänglich macht, und POP ist zu einem wichtigen Instrument geworden, um diesen Auftrag zu erfüllen, zusätzlich zu den bestehenden Bildungs- und Öffentlichkeitsprogrammen. Video-Streaming würde auch die Arbeit der Opéra international präsentieren – eine Tatsache, die den staatlichen Geldgebern, die sich der Notwendigkeit kultureller Soft Power in einer schwierigen Welt bewusst sind, nicht entgangen sein dürfte.

In den zwei Jahren ihres Bestehens hat sich POP zu einem umfangreichen Angebot entwickelt. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels umfasst der Videokatalog 55 Opern, 38 Ballette (sowohl klassische, neoklassische als auch zeitgenössische), 32 Konzerte, 46 Dokumentarfilme und 22 Ballett-Meisterklassen. Diese Zahl wächst weiterhin rasant: Etwa acht- bis neunmal pro Saison wird eine Inszenierung live gestreamt und dem Katalog hinzugefügt, und die Opéra ist außerdem aktiv daran beteiligt, Rechte an Videos aus früheren Spielzeiten zu erwerben, die sie noch nicht besitzt.

So wächst die Plattform um durchschnittlich drei bis vier Titel pro Monat. (Gelegentlich werden einzelne Titel entfernt, wenn ihre Rechte auslaufen, aber das wird auf ein Minimum beschränkt.) Einige neue Videos werden in Zusammenarbeit mit Dritten produziert – die Opéra unterhält langjährige Beziehungen zu Rundfunkanstalten wie France TV und Arte, die auch weiterhin bestehen bleiben. Andere hingegen werden vollständig intern produziert: Sowohl im Palais Garnier als auch in der Opéra Bastille wurden motorisierte Schwenk-Neige-Zoom-Kameras installiert, die die Aufnahme von Videos zu weitaus geringeren Kosten als bei herkömmlichen TV-Produktionen ermöglichen und eine größere Flexibilität bieten als der traditionelle Ansatz mit „zwei Kameras in Reihe J“.

Loading image...
Paris Opera Play
© Opéra National de Paris

Die Übertragung groß angelegter klassischer Ballettaufführungen auf der Plattform ist eines ihrer charakteristischsten und beliebtesten Merkmale. In der aktuellen Liste „Meistgesehen auf POP“ sind sieben der zehn Videos Ballettaufführungen. Im letzten Jahr waren Don Quichotte und Paquita die beliebtesten Titel, aber ein weiterer vielgesehener Beitrag ist die Eröffnungsgala der Saison 2014, die den berühmten Défilé der Étoiles, Solisten und Corps de Ballet der Pariser Oper sowie speziell ausgewählte Stücke und Darbietungen der Schüler der Ballettschule umfasst. Die Tickets für die echte Gala sind innerhalb kürzester Zeit ausverkauft, sodass man vermuten kann, dass die Beliebtheit dieses Streams daher rührt, dass man sich dadurch als Teil eines normalerweise unerreichbaren besonderen Ereignisses fühlen kann.

Im Bereich der Oper sind es oft die neuesten Streams, die am besten ankommen – vielleicht sind Opernfans eher daran interessiert, die neuesten Werke zu sehen, wobei Rameaus Castor et Pollux (zu meiner Überraschung) im Jahr 2024 am häufigsten angesehen wurde. Wenn ein Livestream zum ersten Mal ausgestrahlt wird, ist er zum Zeitpunkt der Aufführung (die nächste ist die Inszenierung von Aida durch die iranische Regisseurin Shirin Neshat am 10. Oktober) als „Replay“ für einen begrenzten Zeitraum verfügbar, danach nur noch im Katalog.

Alle Streams sind im Abonnement erhältlich: 99€ pro Jahr oder 9,90€ pro Monat (mit 50% Rabatt für unter 28-Jährige). Live- und Replay-Streams sind auch auf Pay-per-View-Basis für 14,90€ erhältlich, was das Preismodell von POP etwas eigenwillig macht: Obwohl es üblich ist, dass Streaming-Plattformen unterschiedliche Preise für die neuesten Inhalte haben, ist es ungewöhnlich, dass diese sofort in die Abonnement-Bibliothek aufgenommen werden, und zwar zu einem Preis, der deutlich unter dem Preis liegt, zu dem sie als Pay-per-View angesehen werden können. (Darüber hinaus ist der Kündigungsprozess für Abonnements sehr unkompliziert und erfolgt sofort.) Barrie Koskys unverschämt campige Interpretation von Offenbachs Les Brigands war ein Highlight dieses Sommers: Es ist Offenbach, wie man ihn noch nie gesehen hat, und erhebt die Respektlosigkeit auf ein Niveau, das der Komponist sicherlich geliebt hätte. (Es wird ab dem 1. Dezember wieder verfügbar sein.)

Eine weitere Empfehlung – diesmal vom Team von POP selbst – ist die Inszenierung von Gounods Roméo et Juliette aus dem Jahr 2023 unter der Regie von Thomas Jolly, der im Jahr zuvor als Schöpfer der Eröffnungs- und Abschlusszeremonien der Olympischen Spiele in Paris internationale Aufmerksamkeit erlangte. Es ist eine spektakuläre Show mit einer außergewöhnlichen Besetzung, angeführt von Benjamin Bernheim und Elsa Dreisig in den Titelrollen. Bühnenbild und Kostüme sind der Stoff, aus dem Fantasien sind, mit einer erstaunlichen Streetdance-Choreographie von Josépha Madoki, die den großen Erfolg von Breaking bei den Olympischen Spielen vorwegnimmt.  

Noch interessanter wird es, wenn man sich den beigefügten Dokumentarfilm von Priscilla Pizzato ansieht, der Jolly und sein Team durch Auditions und Proben begleitet und einen echten Eindruck davon vermittelt, was er erreichen will.  Für Französisch-Nerds gibt es einen besonders witzigen Austausch, als Jolly sich den Kopf darüber zerbricht, ob das „t“ in „fait en“ stumm sein sollte, und Bernheim ihn mit einem sorgfältig abgewogenen Kompromiss beruhigt.

Mit zunehmender Erfahrung verbessert sich auch die Expertise beim Filmen, ebenso wie die Beziehungen zwischen den Videoregisseuren und den Produktionsteams, die für die Live-Aufführungen verantwortlich sind. Natürlich sind einige Shows schwieriger auf Video festzuhalten als andere. Für die Verfilmung von Alexander Ekman's Play, bei dem eine Vielzahl von Plastikbällen ins Publikum geworfen werden, war zum Beispiel große Kreativität gefragt. Oder während Inszenierungen mit hinter einem Vorhang verborgenen Handlungen im Theater zwar sehr atmosphärisch sein mögen, können diese zu erheblichen Kopfschmerzen beim Kamerateam führen. 

Loading image...
Alexander Ekmans Play
© Ann Ray | Opéra national de Paris

Obwohl ein großer Teil der POP-Nutzer*innen aus Paris und Umgebung stammt, gibt es auch eine bedeutende Gruppe aus dem Rest Frankreichs sowie 30 % aus anderen Ländern, wobei die meisten Zuschauer*innen aus den Vereinigten Staaten, Japan und dem Vereinigten Königreich kommen. Die jüngste Japan-Tournee des Pariser Opernballetts hat verdeutlicht, wie groß die Begeisterung für klassisches Ballett dort ist (was wir anhand des Interesses an Naomi Moris Rezension bestätigen können), was auch durch die hohen Zuschauerzahlen für die siebenteilige Dokumentation Dancing in Tokyo belegt wird, die hinter den Kulissen gedreht wurde und auf der Plattform verfügbar ist.

Die Dokumentationen und Meisterklassen sind auch ein wichtiges Aushängeschild für die Kompanie im Bildungsbereich. Für Bildungseinrichtungen, Betriebsräte und andere Institutionen gibt es Sonderpreise, und die Opéra baut ihre Partnerschaften aus, in denen Institutionen ihre Arbeit miteinander teilen. Das POP-Team nutzt die Dokumentationen auch, um kuratierte Angebote zu aktuellen Themen anzubieten (das neueste davon parallel im Rahmen der Filmfestspiele in Cannes).

Loading image...
Dancing in Tokyo auf Paris Opera Play
© Opéra National de Paris

Da die Videotechnologie hinter der Plattform mittlerweile sehr stabil ist, passt sich das Video-Streaming relativ gut an niedrige Internet- oder Gerätgeschwindigkeiten an. Dennoch gibt es noch eine ganze Reihe technischer Funktionen, die verbessert oder hinzugefügt werden müssen. Im vergangenen Jahr hat das POP-Team Smart-TV-Apps für Apple TV und Android TV hinzugefügt, sodass Besitzer dieser Geräte POP ohne externen Computer oder Smartphones/Tablets mit Airplay oder Chromecast nutzen können. Sie hoffen, weitere hinzufügen zu können. Auf der Webplattform ist unterdessen eine Freitextsuchfunktion in Vorbereitung – etwas, das dringend benötigt wird und mit zunehmender Anzahl von Titeln noch wichtiger werden wird.

Letztendlich hängt der Erfolg der Plattform davon ab, die Menschen davon zu überzeugen, für Online-Inhalte zu bezahlen, in einer Welt, in der ein Großteil der Inhalte kostenlos verfügbar ist: Selbst einige der besten Werke der Opéra national de Paris sind sowohl auf OperaVision als auch auf frei empfangbaren Fernsehsendern zu finden. Die Opéra hat keine Absicht, dies zu ändern – schließlich geht es darum, ihre Vorstellungen so weit wie möglich zu verbreiten, und derzeit ist sie mit der Akzeptanz von POP zufrieden. In den ersten zwei Jahren gab es keinen einzigen Monat, in dem die Abonnentenzahlen zurückgingen – man hofft, dass sich dieser Trend fortsetzt.


Paris Opera Play ist für 99€ pro Jahr oder 9,90€ pro Monat erhältlich (mit 50% Rabatt für unter 28-Jährige). Es ist auf Apple TV, Android TV, Orange TV sowie über Airplay und Chromecast verfügbar.
play.operadeparis.fr

Dieser Artikel ist auch auf Japanisch verfügbar.

Dieser Artikel wurde von der Opéra national de Paris gesponsert.


Ins Deutsche übertragen von Elisabeth Schwarz.