Debbie Wiseman ist am besten als Komponistin fürs Fernsehen bekannt, sie schrieb unter anderem die Musik für die Serien Dickensian, Father Brown und Wölfe und die einer Vielzahl von Filmen. Als Gastprofessorin am Royal College of Music und Composer in Residence bei Classic FM hat sie einen vollen Terminplan mit unterschiedlichsten Kompositionsaufträgen. Alison hat sie in ihrem Haus in Nordlondon getroffen.

AK: Mir wurde gesagt, Sie komponieren sehr früh am Morgen. Stimmt das?

DW: Ich arbeite gern morgens und beim Schreiben bin ich zu dieser Tageszeit besonders produktiv. Ich beginne zwischen 5:30 und 6:30 Uhr in der Früh, wenn die Sonne aufgeht, wenn es ruhig ist und das Telefon nicht klingelt und bis 10 Uhr habe ich das meiste geschafft. Ich konnte noch nie spät arbeiten, auch weil dann all diese Melodien in meinem Kopf herumschwirren und ich nicht schlafen kann.

Können Sie uns sagen, wie Sie an ein Werk herangehen? Was ist die Vorgangsweise?

Das Schreiben der Filmmusik hängt komplett vom Produktionsplan ab, von den Ansprüchen an die Musik, was der Regisseur will und der Produzent braucht und das Wichtigste ist, dass man sehr flexibel ist und rechtzeitig die passende Musik liefern kann, die hilft die Geschichte zu erzählen. Manchmal sehe ich zuerst das Drehbuch: bei Wölfe habe ich die gesamte Adaption der Serie gesehen bevor ich begonnen habe. Ich hatte ein langes und ausführliches Gespräch mit dem Regisseur, Peter Kosminsky, und hatte das Cromwell und Anne Thema bereits geschrieben bevor er die Szene drehte. Peter hört sich die Musik gerne am Set an, was er in diesem Fall konnte. Aber in anderen Fällen läuft es nicht so geregelt. Wenn Zeit ist, kommt der Regisseur vorher zu mir. Er oder sie sitzt genau dort, wo Sie jetzt sitzen. Ich bin hier am Klavier und auf diesem Bildschirm läuft der Film und ich spiele ihnen die Musik vor, aufgemotzt mit ausgewählten Instrumenten. Wir reden darüber und ich nehme Veränderungen vor. Es ist eine ordentliche Zusammenarbeit.

Bei Oscar Wilde war es ganz anders: es war bereits alles gedreht bevor ich dazukam. Es gab Probleme während der Nachbearbeitung, wodurch ich nur 3½ Wochen Zeit hatte, um 75 Minuten Musik zu komponieren. Ich habe die komplett bearbeitete Partitur mit meiner eigenen Orchestrierung rechtzeitig abgeliefert und wir haben die Musik in den Abbey Road Studios mit einem 80-köpfigen Orchester aufgenommen. Das Adrenalin hält dich am Laufen. Danach brichst du zusammen. Aber eine Deadline hilft mir mich zu fokussieren.

Mir fiel besonders die Musik von Father Brown auf, dessen neueste Staffel gerade im Fernsehen gezeigt wurde. Wird für jede Episode viel neue Musik geschrieben?

Jede Episode wird eigens vertont mit Motiven für Father Brown und allen Nebencharakteren. Jede Episode wird komplett zu der Filmaufnahme vertont und es gibt für jede einen neuen rätselhaften Mord und neue Charaktere. Es gibt jedes Mal etwas Neues, Frisches und das liebe ich besonders daran, dass einem nie langweilig wird. Für die ersten fünf Staffeln habe ich 60 Episoden vertont. Und dieses Monat bekomme ich nochmal 10 Episoden für die neue Staffel zu vertonen.

Wie wichtig ist die Musik zum Film?

Musik ist ein wichtiges Instrument in einem Film oder einer Produktion. Kaum jemand sieht jemals einen Film ohne Musik, aber ich tue das ständig, deshalb weiß ich, wie wichtig es ist. Wenn die Musik Angst oder Gefahr in dir hervorruft, selbst wenn die Szene sehr, sehr unschuldig ist, wird das Publikum der Musik glauben, weil sie direkt ins Herz geht. Und deshalb sind Regisseure sehr vorsichtig, wenn sie einen Komponisten aussuchen, weil es über Erfolg und Misserfolg des Films entscheiden kann. Ist es die falsche Musik, wird man zu sentimental oder vermittelt man dem Publikum die falsche Botschaft, kann das dem Film sehr schaden. Die Musik und der Film müssen nahtlos ineinander fließen, und als Filmkomponist muss man lernen, einen Schritt zurückzugehen und sein Ego zurückzustecken, um den Film so gut wie möglich zu machen.

Was wollen Sie mit Ihrer Musik erreichen?

Ich will, dass man sich an meine Musik erinnert. Es muss keine große Melodie sein – nicht jeder Film braucht eine – aber es muss etwas Einprägsames sein, dass wenn man aus dem Film herausgeht, das Gefühl hat, etwas Neues gehört zu haben. Father Brown hat ein Thema, das man schon nach ein paar Episoden wiedererkennt, auch wenn man nicht vor dem Fernseher sitzt. Es ist Teil der Marke des Films oder der Serie.

Versuchen Sie als Pianistin immer Klaviermusik in Filme oder Serien einzubauen?

Ich komponiere am Klavier, aber nein, ich baue nicht immer Klaviermusik mit ein. Bei Wölfe kam zum Beispiel gar kein Klavier vor, da das Klavier zu Zeiten Cromwells noch nicht erfunden wurde. Es gab Cembalomusik und Tudor Instrumente. Obwohl ich meine Ideen am Klavier entwickle, landet es am Ende nicht immer in der Partitur.

Mir wurde gesagt, dass sie am Klavier sitzen, Wünsche des Publikums annehmen und eine Titelmelodie dazu improvisieren können. Macht Ihnen das noch immer Spaß?

Ja, ich habe schon immer gern improvisiert. Als ich zum Trinity College ging, gab es am Samstag einen speziellen Kompositionslehrer, Philip Coleman, dessen Idee es war, die Schüler zum Improvisieren zu bringen, nicht nur am Klavier, sondern auch zu singen. Wie kleine Kinder saßen wir in einem Kreis und einer begann eine Melodie zu singen und der nächste musste diese Melodie fortsetzen und so weiter, bis die Runde fertig war. Es ist eine so einfache, aber großartige, Idee und zeigt, wie eine Melodie geformt wird. Es ist eine Aneinanderreihung von Noten, in einer bestimmten Reihenfolge. Ich hatte nie ein Problem, so über eine Melodie denken und zu improvisieren.

Jetzt bin ich Gastprofessorin am RCM für Komposition für die Leinwand, und wenn ich in die Klasse komme, bitte ich meine Studenten, sich ans Klavier zu setzen und gebe ihnen ein Szenario vor. Es sind vielleicht eine Frau und ein Mann, die an einem herrlich sonnigen Nachmittag am Fluss Stechkahn fahren, oder vielleicht auch ein Gewitter und ich fordere sie auf zu improvisieren. Beim ersten mal geraten sie total in Panik. Aber nach ein paar Improvisationen realisieren sie, dass es nicht so sehr darauf ankommt was sie spielen, solange sie etwas Spontanes, Stimmungsvolles kreieren und die meisten schaffen es. Man muss kein großartiger Pianist sein, um improvisieren zu können. Man braucht nur eine Idee.

Komponieren Sie auch für den Konzertsaal?

Ja, ich schreibe auch einige Kompositionen für den Konzertsaal. In meiner Rolle als Classic FMs Composer in Residence, habe ich am Dienstag ein sechsminütiges Konzertstück für Viking Cruises (Classic FMs Sponsor) als deren Erkennungsmusik uraufgeführt – es war eine sehr schwere Aufgabe – aber für mich ist die Vorgangsweise die gleiche. Ich will, dass die Musik eine Geschichte erzählt und diesmal handelte sie von einem Reisenden, der auf ein Abenteuer geht. Musik ist eine Art Reise und du musst eine Geschichte erzählen, um den Zuhörer mit an Board zu holen.

Glauben Sie, dass es einen Unterschied zwischen Filmkomponisten und Komponisten zeitgenössischer Musik gibt?

Es erfordert ein anderes Können, wenn man für einen Film komponiert, weil man viele andere Dinge miteinbeziehen muss. Es gibt Dialoge und Special Effects, wohingegen man das nicht beachten muss, wenn man für eine Konzerthalle schreibt: da gibt es nur die Musik und das Publikum hat dafür bezahlt, sie zu hören. Wenn man ins Kino geht oder zuhause fernsieht, ist die Musik Teil des Ganzen. Es ist also eine ganz andere Erfahrung, aber für mich ist Musik Musik und wofür auch immer du schreibst, sie muss ihren Zweck erfüllen. Es macht keinen Sinn stundenlang am Klavier zu sitzen und nicht zu wissen, ob die Musik jemals aufgeführt wird – Ich könnte mich dafür nicht motivieren. Ich will, dass sie Freude bringt, einen Zweck erfüllt, was eine ausreichende Belohnung für den Komponisten ist.

Was halten Konservatorien davon, wenn ihre Studenten Musik für Film, Videospiele oder das Fernsehen schreiben?

Heutzutage bieten alle Konservatorien Kurse in Filmkomposition und sie alle sind offen dafür, dass das Schreiben von Film- oder TV-Musik eine wertvolle Fähigkeit für einen Komponisten ist. I glaube viele Komponisten und Kompositionsprofessoren, die ich treffe, sind heutzutage viel aufgeschlossener gegenüber Musik und erkennen, dass es viele Wege für einen Komponisten gibt, um sich auszudrücken, nicht nur im Konzertsaal. Man kann sich in einer Filmmusik genauso zum Ausdruck bringen wie in anderen Gebieten. Es ist nur eine etwas unterschiedliche Art zu arbeiten.

Als ich an der Guildhall School studierte hatte ich großes Glück mit meinem Kompositionslehrer, Buxton Orr, weil er bereits selbst Filmmusik geschrieben hatte und keinen Unterschied zwischen dem Schreiben für den Konzertsaal und dem Schreiben für Film sah. Ich hab ihm meine Kompositionen gezeigt und einige davon waren ziemlich filmisch. Er ermutigte mich originell zu sein, aber zwang mich nicht in einem bestimmten Stil zu schreiben. Und meine natürlich Tendenz war es, etwas Melodisches zu schreiben, wohingegen er etwas mehr Avantgarde schrieb, eine knackigere Musik. Er ermutigte mich, meine eigene Stimme zu finden, was ich für sehr wichtig für einen Komponisten halte. Und das soll nicht heißen, dass man sich eine gewisse Regeln zu halten hat. Es gibt keine Regeln.

Wann glauben Sie hat sich diese Haltung geändert?

Ich glaube es gab diese Haltung als ich vor 20-25 Jahren studierte. Es gab eine gewisse Versnobtheit und die Haltung, dass Komponisten nur für den Konzertsaal, und wenn möglich zeitgenössische Avantgarde Musik schreiben sollten, denn sonst wären sie keine echten Komponisten. Dieses ganze Mediending wurde eher mit Vorsicht genossen, aber ich glaube, dass sich die Dinge dramatisch geändert haben und es jetzt schwer fällt, einen Professor zu finden, der noch immer so veraltet denkt. Es hat lange genug gebraucht, aber endlich brechen diese Grenzen komplett auf.

Was halten Sie von dem neuen Konzertformat, die Filmmusik live vor einer Leinwand zu spielen?

Großartig! Leute lieben es Livemusik zu hören und die Musik von einem ihrer Lieblingsfilme zu hören und gleichzeitig den Film zu sehen ist eine fantastische Möglichkeit, dies zu erleben. Der Vorteil eines Livekonzertes ist es, dass sie das gesamte Filmerlebnis durchleben können. Kein Wunder, dass sie so beliebt sind.

Sie sind eine von sehr wenigen bekannten Komponistinnen. Was denken Sie darüber?

Es ist lustig: Als ich studierte, gab es viele andere weibliche Autoren im Kurs, viele Blechbläserinnen und Schlagzeugerinnen – Instrumente, die man nicht unbedingt mit Frauen assoziiert, und es war nie eine große Sache. Wir haben einfach unsere Arbeit gemacht. Es war erst, als ich die Uni verließ und begann in diesem Geschäft zu arbeiten, dass mir viele Leute sagen würden: „Es ist wirklich ungewöhnlich, dass sie eine weibliche Komponistin sind – davon gibt es nicht viele.” Da begann es mir aufzufallen. Aber ich kann ehrlich sagen, dass es nie einen Unterschied gemacht hat, wenn ich mit Musiker oder Regisseuren zusammengearbeitet hab. Jetzt arbeite ich mit mehr weiblichen Regisseuren als je zuvor, es gibt mehr Frauen in der Produktion, in den Medien, die in einer Machtposition erfolgreich sind, die Editoren beauftragen, oder im Orchester. Ich dirigiere auch meine gesamte Musik selbst, und selbst das ist für eine Frau nicht mehr allzu ungewöhnlich, obwohl die Zahl der Dirigentinnen noch immer sehr gering ist. Aber je mehr junge Frauen, aufstrebende Dirigentinnen und Komponistinnen, andere Frauen in dieser Rolle sehen, desto leichter wird es für sie, diese Ziele anzustreben. Es gibt keinen physischen Grund, der dagegen spricht: es ist eine Sache des Selbstvertrauens. Was mich angeht, finde ich, je mehr Komponistinnen desto besser, je mehr Frauen am Podium desto besser und eines Tages – wenn wir in 20 Jahren das gleiche Gespräch führen – hoffe ich, dass es kein großes Thema mehr sein wird, ich glaube es wird einfach akzeptiert werden. Warum ist das so eine große Sache?

Glauben Sie, die unterschiedliche Erziehung von Jungen und Mädchen ist ausschlaggebend für den Mangel an Selbstvertrauen bei Mädchen?

Es ist schwer zu sagen, ob es die Erziehung ist oder, ob es in unserer Psyche als Frau verankert ist, dass wir zart und fürsorglich sind, was natürlich einen Teil von uns ausmacht, aber das bedeutet nicht, dass wir nicht auch Kontrolle übernehmen können. Es ist schwer, aber Kontrolle zu übernehmen bedeutet nicht, dass man es auf eine männliche Art und Weise machen muss. Ich versuche nicht wie ein Mann zu sein. Ich will nur, dass die Musik so gut wie möglich ist. Und das Großartige ist, dass die Musiker kein Problem damit haben, genauso wenig das Publikum. Man sieht immer mehr Leute, die junge Frauen ermutigen und unterstützen, die eine Karriere wollen, ohne dabei eingeschränkt oder zurückgehalten zu werden.

Was sind Ihre nächsten Projekte?

Ich arbeite mit Peter Kosminsky an einem vierteiligen Drame, es gibt zehn neue Folgen von Father Brown zu vertonen, ich schreibe die Musik für ein Stück beim Chichester Festival, Süßer Vogel Jugend von Tennessee Williams, und ich habe auch ein paar neue Aufträge von Classic FM, ein Gitarrenstück für Craig Ogden und das andere ein Chorwerk. Und ich habe gerade die Musik für den Film Edie mit Sheila Hancock abgeschlossen, der im Herbst rauskommt. Sheila ist brilliant. Es ist eine niemals zu spät Geschichte über eine Frau, die immer einen Berg in Schottland besteigen wollte und wie sie es schafft diese Reise zu unternehmen, um ihre Ziele zu verwirklichen. Sheila hat den Film mit 83 Jahren gedreht und hat es tatsächlich getan [den Berg bestiegen]. Sheila ist eine phänomenale Frau.

 

Aus dem Englischen übertragen von Elisabeth Schwarz.