Egal ob auf der Opernbühne, im Konzertsaal oder beim intimen Liederabend, Nikola Hillebrand genießt jeden Augenblick auf der Bühne – mit einem Strahlen im Gesicht. Kurz vor ihrer Abreise nach Bregenz, wo sie morgen die Premiere des Freischütz singt, habe ich mich mit der deutschen Sopranistin (digital) getroffen und mit ihr über ihre frühe Liebe zur Bühne gesprochen, über ihre Zeit im Ensemble bevor sie nächste Saison freischaffend durchstartet, das Wandern und – für eine Wienerin besonders wichtig – über Kaiserschmarrn und Marillenknödel.

Ich habe dich diese Saison dreimal auf sehr unterschiedliche Art und Weise auf der Bühne in Wien erleben dürfen. Da war das Strauss-Konzert mit den Tonkünstlern im Musikverein, Candide am MusikTheater an der Wien und dann der Duo-Liederabend mit Patricia Nolz im Konzerthaus Ende April. Man merkt einfach, du liebst es, auf der Bühne zu stehen – immer mit einem Strahlen im Gesicht. War das immer schon so?
Ja, das war tatsächlich immer schon so, und eigentlich kam ich genau darüber zum Beruf. Ich erzähle ganz gern diese Anekdote, obwohl ich mich selber gar nicht daran erinnern kann. Aber meine Mama hat mir von meiner ersten großen Ballettaufführung mit ganz vielen Kindern erzählt – da war ich fünf – und sobald es vorbei war, wollten alle schnell raus, sich umziehen, spielen, irgendwas machen. Und ich habe anscheinend zu meiner Mama gesagt: „Nein, die Bühne ist jetzt gerade frei, ich muss noch kurz alleine tanzen!” Das ist, glaube ich, dann schon so ein Schlüsselmoment, wo man sehen konnte, okay, dieses Kind muss offensichtlich auf die Bühne, in welcher Form auch immer.
Wie kamst du dann vom Ballett zum Gesang?
Da war natürlich schon mal die klassische Musik da, auch meine Eltern haben klassische Musik gehört – irgendwie habe ich schon gemerkt, wow, was ist das? Wir haben teilweise auch zu Stücken aus Carmen und Carmina Burana getanzt. Und gesungen habe ich sowieso schon immer als Kind.
Ich kam dann eigentlich ziemlich unbedarft und ungeplant an eine Gesangslehrerin, die nur klassischen Gesang unterrichtet hat. Das zieht sich ein bisschen auch durch meinen Weg durch, dass mir Sachen begegnen, mir widerfahren, dass ich Menschen treffe, die mich inspirieren oder mir einen kleinen Schubser geben. Da war immer irgendetwas, ein Treffen oder eine Person, die gesagt hat, pass auf, ich habe da eine Idee, geh doch mal da hin, bewirb dich dort, geh doch zu der Lehrerin – das ist fast manchmal ein bisschen unheimlich.
Ich bin ein optimistischer Mensch, also von daher, vielleicht bin ich einfach ein Glückskind.
Wobei hinter dem Glück natürlich harte Arbeit steckt. Du bist ja auch als großartige Einspringerin bekannt. Aber wenn man die Rolle noch nicht kennt oder irgendwann die Vorbereitung gemacht hat, geht es ja dann doch nicht nur mit Glück…
Ja, das stimmt. Das ist in dem Beruf diese Kombination aus Disziplin und Arbeit und Herzblut und Leidenschaft, aber dann auch das Glück. Wenn man nicht am richtigen Ort zur richtigen Zeit ist, dann kann man noch so hart arbeiten und noch so diszipliniert sein.
Einspringen ist natürlich nicht jedermanns Sache, aber es macht mir total Spaß, in eine unbekannte Inszenierung einzuspringen. Es beflügelt mich und dann habe ich auch keine Angst. Als Einspringer ist man ja sozusagen der Retter.
Es ist vermutlich auch einfach ein bisschen weniger Druck.
Also ich finde gar keinen Druck! [lacht] Klar, natürlich ist es anders, wenn es ein Hausdebüt ist, aber wenn es nicht sein soll, dann soll es nicht sein. Ich habe bisher ganz tolle Erlebnisse gehabt als Einspringerin und dann auch tolle Konsequenzen, die daraus folgten.
Die gut bekannte Einsprungsgeschichte ist bei dir ja Die Fledermaus. Als Adele mit Jonas Kaufmann, zu Silvester, mit TV-Übertragung…
Da hatte ich Glück! Ich schaue mir das Video ab und zu auch mal an oder es poppt irgendwo auf – da muss ich mich erst daran erinnern, das bin ja ich! Ich kann mich überhaupt nicht mehr daran erinnern.
Das Glück war in dem Moment, dass es so kurzfristig war, dass ich einfach gar keine Chance hatte, darüber nachzudenken. Wie groß ist das, wie viele Leute sehen das jetzt im Fernsehen, Jonas Kaufmann singt halt einfach den Eisenstein… am Ende waren 2 Millionen Zuschauer im ZDF dabei. Also wenn ich da vor dem Auftritt reflektiert hätte, hätte ich mir glaub ich in die Hosen gemacht. Aber so war es cool.
Kannst du dich an deine erste Oper erinnern?
Die allererste war schon Die Zauberflöte, im Theater für Kinder in München. Vor allem bei der Königin der Nacht dachte ich, wie kann das sein, wie kann das jemand singen? Dass ich die Rolle ein paar Jahre später selbst singen würde, hätte ich mir überhaupt nicht vorstellen können. Die erste Oper war dann tatsächlich Siegfried.
Also was ganz Leichtes zum Einstieg… [Wir lachen beide]
Einfach kurz und knackig.
Welche war die erste Oper, die du gesungen hast?
Die erste so richtig professionelle Rolle war am Theater Bonn in Dido und Aeneas, die Belinda, und kurz darauf Papagena in der Zauberflöte. Da habe ich so meine ersten Schritte gemacht…
Du bist ja dann ans Ensemble in Mannheim gekommen und warst die letzten Jahre an der Semperoper Dresden. Was darf man alles lernen und mitnehmen von so einer Festanstellung?
Ach, ganz viel. Ich bereue keinen einzigen Tag. Ich war jetzt insgesamt acht Jahre im Ensemble, vier Jahre in Mannheim, vier Jahre in Dresden.
Einerseits habe ich mir natürlich einen ziemlich stattlichen Repertoireschatz aufgebaut. Ich hatte da auch einfach Glück, dass ich jeweils an Theatern war, die auch sehr viel Repertoire spielen, und die mir viel zugetraut haben, vor allem in Mannheim. Ich hatte zwar meine ersten Schritte schon in Bonn gemacht, aber plötzlich bist du fulltime im Ensemble.
Im Festengagement hat man die Chance, sich selbst wirklich kennenzulernen als Sänger, und auch seine eigenen Bedürfnisse. Wie viel kann ich singen, oder wie viel schaff ich parallel? Manchmal liefen dann auch drei oder vier Stücke – zwei wurden geprobt, zwei waren in der Vorstellung.
Man hat schon manchmal gemerkt, jetzt ist man so ein bisschen an seiner Obergrenze, und testet sie auch. Wenn ich krank bin oder angeschlagen, wann ist der Punkt, wo ich absagen muss oder wo ist es schlecht für mich, wenn ich nicht absage?
Der Umgang mit Kollegen, Dirigenten, Regisseuren, Orchester – da gibt es ja kein Lehrbuch dafür, das muss man einfach machen in der Praxis.
Du bist ab nächster Saison als freischaffende Sängerin unterwegs. Siegt momentan die Vorfreude oder doch so ein bisschen ein mulmiges Gefühl, dass man das sichere Nest verlässt?
Nee, mulmig gar nicht! Ich freue mich total, ich krieg so ein Kribbeln.
Ich hatte hier in Dresden schon sehr viele Freiheiten. Mein Kalender war auch so voll mit Gast-Engagements, sowohl Oper als auch Konzerte und Lied. Das geht eigentlich genauso weiter, nur dass es andere Häuser und andere Länder sind. Auch von den Reisen wird es nicht weniger, also vom Gefühl wird sich für mich nicht viel ändern, nur dass ich wahrscheinlich die Phasen, wenn ich mal nach Hause komme, vielleicht noch mehr genieße. Es ist für mich immer ein riesen Luxus, in meinem Bett schlafen zu dürfen.
Wie beginnst du mit der Vorbereitung auf eine neue Rolle?
Ich fange immer zuerst mit der Background-Recherche an. Also natürlich mit dem Komponisten, wann dieses Stück entstanden ist und in was für einer Phase seines Schaffen.
Ich finde es wahnsinnig wichtig, dass man solche Sachen weiß, auch unter welchen Umständen das Stück entstanden ist, oder dass man die Quelle gelesen hat, zum Beispiel beim Figaro oder Bohème, die auf einem Theaterstück basieren. Wie ist dort meine Rolle, was hat da vielleicht der Komponist oder der Librettist verändert und warum?
Dann gehe ich an den Text. Ich lese das komplette Libretto, dass ich weiß, wie die Personen zueinander stehen. Und – das klingt vielleicht ein bisschen nerdy – ich lege für eine Rolle so eine Art Steckbrief an. Wenn nicht genug im Libretto steht und die Person noch nicht greifbar ist, dann denke ich mir einfach noch ein paar Sachen dazu aus. Wo würde sie z.B. gern mal auf Urlaub hinfahren, was ist ihr Lieblingsessen?
Es ist vielleicht ein Schmarrn, aber ich liebe es, wenn ich in den Proben und in den Vorstellungen frei bin. Ich will da nicht mehr darüber nachdenken müssen. Ich kann in die Figur einsteigen, kann als diese Figur reagieren und interagieren – das ist mein Idealzustand.
Natürlich gehe ich nicht schon mit einem fertigen Rollenportrait in die Proben, das würde auch nichts bringen. Im Probenprozess kommt noch viel vom Regisseur.
Dann kommt die Musik. Ich höre mehrere verschiedene Aufnahmen an, um schon mal eine Vorstellung von Tempi und Übergängen zu bekommen, und wie verschiedene Dirigenten gewisse Sachen auffassen, vielleicht auch aus unterschiedlichen Epochen.
Besteht manchmal die Gefahr, wenn man in eine Rolle hineinschlüpft, dass die Emotionen auch mal mit einem auf der Bühne durchgehen oder kann man sich dann gerade noch rechtzeitig davor retten?
Muss man! Aber es gibt natürlich schon Rollen, wo die Kombination aus Musik, Libretto, Text und Schauspiel zusammenkommt… da muss ich mich echt am Riemen reißen. Das ist z.B. beim Rosenkavalier beim Terzett am Schluss. Da ist es echt so, wenn du noch einen Schritt weitergehst, dann weinst du und das kannst, darfst du jetzt nicht. Du musst noch singen!
Es gibt einen ganz schmalen Grat, an den man auch gehen muss, damit du dich emotional ganz aufmachen kannst. Aber wenn du zu weit gehst, dann ist es gefährlich. Man muss schon ein bisschen einen kühlen Kopf bewahren.
Wie ist es, wenn du zu Rollen zurückkehrst? Merkst du manchmal, dass du einige Jahre später eine komplett andere Auffassung hast?
Total! Es beginnt langsam bei mir, dass sich Rollen wiederholen. Ich liebe es, eine Rolle nach ein paar Jahren wieder auszupacken und zu schauen, was sich geändert hat. Natürlich stimmlich, aber auch inhaltlich. Manchmal singt man andere Rollen dazwischen, die dazu beitragen.
Was natürlich toll ist, ist, wenn man eine Rolle in verschiedenen Produktionen gesungen hat, dann wird sie immer runder. Du bekommst Input vom Regisseur, aber auch von den Kollegen.
Auch Rollen zu debütieren ist etwas ganz Spannendes und Aufregendes. Aber ich sage mal so, es ist in den wenigsten Fällen, wenn man eine Rolle zum ersten Mal singt, dass das dein bestes Mal ist. Die Erfahrung macht schon etwas mit einem.
Manchmal muss man auch die alte Technik überarbeiten, das ist ein bisschen wie beim Bügeln. Wenn du eine Falte rein gebügelt hast, ist es nochmal schwieriger, die Falte rauszubügeln, als einfach frisch anzufangen.
Du bist ja nicht nur in der Oper zuhause, sondern auch im Konzert und beim Lied. Inwiefern ergänzen sich die drei Genres? Oder wo unterscheiden sie sich voneinander?
Sie geben sich gegenseitig total viel. Man braucht für die Oper bestimmte Werkzeuge oder bestimmte Skills, die auch dem Lied gut tun, und dem Konzert. Ich liebe halt auch diese Abwechslung. Ich glaube, dass es gut für die Stimme ist, weil man stilistisch teilweise andere Sachen machen muss. Vor allem beim Lied ist es extrem fein und man muss ein super Piano haben – was man dann wieder mit in die Oper nimmt.
Andersrum kann man natürlich auch nicht den ganzen Liederabend nur säuseln, da nimmt man wieder was von der Oper rein. Ich bin auch jemand, ich liebe die Lieder am meisten, die was Opernhaftes haben, wo ich in die Rolle hineinschlüpfen kann, wie z.B. Gretchen am Spinnrade.
In der Oper darf man in einer Rolle bleiben, das ist bei einem Liederabend intensiver. So hat alles seine Herausforderungen. Beim Konzert liebe ich, dass man diese Ruhe hat, sich vollends auf die Musik zu konzentrieren und es keine Ablenkung gibt. Es geht in dem Moment nur darum.
Aber ich würde jetzt auch nicht nur Konzerte machen wollen, ich muss ja auf die Bühne! Ich muss in die Maske, mir Perücken aufsetzen und Kostüme anziehen. Das ist ein so wichtiger und großer Teil von mir.
Ich will immer alles machen!
Gibt es Sänger, die dich inspirieren?
Ich schaue da schon gern sehr weit zurück. Ich bin ein großer Fan von Lucia Popp, und auch von Elisabeth Schwarzkopf. Das sind auch zwei, wo ich immer schaue, wie hat sie das gemacht? Oder warum hat sie das in dem Alter gerade zu dieser Zeit gesungen?
Man muss ja trotzdem seinen eigenen Weg gehen, aber bei Popp schaue ich schon, welche Rollen sie gesungen hat. Ihre Musikalität ist einfach irrsinnig und wahnsinnig berührend. Sie singt immer so beseelt.
Eine rein hypothetische Wunschfrage natürlich, aber gibt es eine Rolle wo du denkst, hoffentlich entwickelt sich meine Stimme dorthin?
Ganz, ganz viele. Also, hypothetisch… Arabella!
Zdenka ist jetzt schon eine meiner drei Lieblingsrollen, und diese Musik! Da hast du auch schon meinen Lieblingskomponisten (Richard Strauss). Und Mozart natürlich. Ohne den ging bei mir gar nichts. Susanna ist auch eine Lieblingsrolle, weil sie einfach den ganzen Abend auf der Bühne ist und von rechts nach links wuselt. Da kommen wir wieder dazu, dass ich einfach ein Bühnenmensch bin.
Da denke ich auch an die Zauberflöte. Wie oft habe ich das schon gehört, wie oft habe ich das schon gesungen, verschiedenste Rollen, und trotzdem verliert es diesen Zauber nie. Und man findet sogar immer wieder etwas Neues darin. Der war einfach ein Genie, dieser Mann, oder?
Und außerhalb des Sopranfachs?
Ich finde es immer cool, einen Bösewicht zu spielen und das kommt ja im Sopranfach sehr selten vor. Also jetzt spontan hätte ich eigentlich total Lust, mal Scarpia zu singen. Allein dieses Te Deum im ersten Akt.
Und das „Orsù, Tosca, parlate” im zweiten…
Ich befürchte, es wird ein bisschen schwierig mit der Stimme. Ich arbeite daran ;)
Wie schaffst du den Ausgleich zur Musik?
Ich bin eine große Spaziergängerin und auch Wanderin. Ich muss immer in die Natur.
Ich bin ja in Bayern aufgewachsen und wir sind ganz viel wandern gegangen. Deswegen freue ich mich auch sehr auf die Zeit in Bregenz. Die Wanderschuhe sind schon auf dem Stapel von Sachen, die ich mitnehme. Und ich liebe auch das Wasser. Nicht so sehr als Schwimmerin, aber einfach in der Nähe von Flüssen oder Seen zu sein. So kann ich auch meinen Akku wieder aufladen.
Kommt dann auch Musik mit zur Wanderung oder zur Stadterkundung?
Ich genieße es dann schon, wenn mal diese Stille ist und auch bei mir zuhause läuft ganz selten Musik. Wenn ich Musik höre, dann was ganz anderes, wie kubanische Rhythmen oder Jazz. Aber wenn ich laufe, dann bin ich froh, einfach die Vögel und die Bäume rauschen zu hören. Das ist Musik genug.
Du hast vorher erwähnt, dass du Steckbriefe für deine Rollen zusammenstellst. Was würde auf deinem stehen?
Traumreiseziel habe ich eigentlich keines. Ich bin sowieso immer auf Reisen, da bin ich froh, wenn ich mal zuhause bin.
Lieblingsessen würde ich sagen Pizza, oder ein schönes Fischfilet oder Sushi. Lieblingsmehlspeise ist dann schon Kaiserschmarrn. Der schlägt sogar Apfelstrudel. Oder Marillenknödel! Wenn es gute Marillenknödel sind, könnte ich acht davon essen.