Willkommen in Figaros Wella-Wunderland! Nach den ersten paar Takten der Ouvertüre erscheint auf dem Vorhang das Logo des Haarpflegeproduktherstellers; Als sich der Vorhang hebt, schweben vom Schnürboden Kopfläuse, die in ihren Bewegungen an Willy Wonkas Oompa Loompas erinnern, und die sich sodann am übergroßen Kopf, dem zentralen Punkt des Bühnenbilds, zu schaffen machen. Schnell ist klar: Axel Köhlers Inszenierung von Rossinis Barbier von Sevilla wird im wahrsten Sinne des Wortes haarig!
Farbenfrohe Lockenwickler rund um den Kopf mit barocker Frisur dienen mal als Versteck, mal als Sitzgelegenheit, die quietschbunten Kostüme der Figuren könnten ohne weiteres aus Alice im Wunderland, aus Charlie und die Schokoladenfabrik oder auch einem LSD-Trip stammen, und die Personenführung spielt herrlich mit Klischees und Slapstick-Einlagen. Angesichts der optischen Üppigkeit ist es bewundernswert, dass weder Orchester noch Sänger untergingen, sondern ganz im Gegenteil die Aufmerksamkeit der Zuschauer immer wieder charmant auf sich zogen.
Etwas tollpatschig, aber fest davon überzeugt, Rosina für sich zu gewinnen, durfte Tansel Akzeybek als Graf Almaviva schmachten, intrigieren und sein komödiantisches Talent als Lindoro bzw. Don Alonso ausleben. Seine Stimme ist ideal für die Rolle – mit herrlicher Nonchalance umschiffte er mit hellem Timbre wendig alle Koloratur-Klippen, schleuderte verschwenderisch mit Spitzentönen um sich und verlieh dem Grafen viele Facetten und Farben.
Als kongenialer Komplize und Strippenzieher für seinen Plan stand ihm der Figaro von Isaac Galán zur Seite. Er stattete den vielbeschäftigten Barbier mit der nötigen Bühnenpräsenz aus und setzte seine Stimme ebenso lässig und selbstbewusst in allen Lagen ein, wie er den Kopfläusen mit seiner „hAir Force 1“ den Garaus machte. Scheinbar ohne je Luft holen zu müssen ließ der Spanier seinen warm timbrierten Bariton gleich in seiner Auftrittsarie „Largo al factotum“ mühelos strömen und mischte, auch im weiteren Verlauf des Abends, immer die richtige Portion Ironie in die stimmliche wie auch darstellerische Gestaltung.
Rosina, das Objekt der Begierde Almavivas und die eigentliche Herrin über sämtliche Geschehnisse der Handlung, lag bei Anna Brull in besten Händen. Ihre Koloraturen perlten wie der Champagner, den Rosina trinkt, während sie ein Bad nimmt und den Plan schmiedet, Lindoro zu erobern. Besonders schön gelangen ihr die innigen, lieblichen Passagen, in denen sie die Stimme wie Sonnenstrahlen schimmern ließ und dadurch die gefühlvolle Seite der Figur berührend hervorkehrte. Aber auch die gerissene Facette kam keinesfalls zu kurz, mit Charme und Hinterhalt setzte Brulls Rosina ihren Willen durch, wobei ich mir in manchen tiefen Lagen noch etwas mehr Nachdruck gewünscht hätte. Das Zusammenspiel und das komödiantische Timing zwischen Figaro, Almaviva und Rosina funktionierte schon hervorragend, dennoch schaffte es Wilfried Zelinka als Doktor Bartolo, in Sachen Spielfreude und Komik noch einen oben drauf zu legen und zusätzlichen Schwung in die ohnehin schon temporeiche Handlung zu bringen.
Rasant gelang ihm auch so manches zungenbrecherische Text-Tempo, und obwohl der Charakter Bartolo mehr Witzfigur denn ernstzunehmender Vormund ist, verlieh er ihm mit seinem profunden Bass und dunklen Tiefen dennoch einen Hauch an Würde und Autorität. Sehr ironisch unterhaltsam in der Darstellung war auch Peter Kellner als Musiklehrer Basilio, der Meister der Verleumdung. Leider ließ er den letzten Rest an dämonischer Intriganz, Durchschlagskraft und Schwärze in der Stimme, vor allem in seiner Arie „La calunnia“, vermissen. Hingegen konnten sich, obwohl sie jeweils nur wenig zu singen hatten, die beiden Opernstudiomitglieder Sofía Mara als Berta mit glockenhellem Sopran und schönen Phrasierungen und Dariusz Perczak, der die Rolle des Fiorello mit samtigem Bariton gestaltete, höchst überzeugend dem Grazer Publikum vorstellen.
Dafür, dass stets die Solisten im Mittelpunkt standen, sorgte Robin Engelen, seit dieser Saison Erster Kapellmeister an der Oper Graz. Er unterstützte das Sängerensemble vom Pult des Grazer Philharmoniken Orchesters aus sehr umsichtig, etwa, indem er die Lautstärke öfters leicht zurücknahm. Er schuf mit den Musikern ein transparentes Klangbild, bei dem man das Lächeln der Musik regelrecht hören konnte und das sich gerade durch seine Zurückhaltung mit dem knallenden Bühnengeschehen hervorragend verband.
Obwohl das Regieteam beim Schlussapplaus ohne Buh-Rufe davon kam, wird diese Produktion zweifellos nicht jedem gefallen, da sie wirklich sehr überdreht und bunt ist. Wer sich aber auf einen knalligen Trip ins dauergewellte Wunderland einlassen kann und will, dem sind stimmungsaufhellende Stunden in der Oper garantiert!