Es gibt zur Zeit viele sehr gute Streichquartett-Ensembles zu hören. Das 1997 gegründete und bis heute in unveränderter Besetzung spielende Cuarteto Casals aus Madrid ragt aus dieser Reihe noch hervor. Leider hat sich das in Berlin offenbar noch nicht herumgesprochen; denn der Kammermusiksaal war beim fünften Abend des Beethoven-Zyklus halbleer. Ein sechster Abend findet am 9. Mai in Berlin statt. Dann gibt es noch einmal die Gelegenheit, dieses Ausnahme-Quartett mit Beethoven zu hören.
Eröffnet wurde das Konzert mit dem Quartett Nr. 1, das Beethoven zwar nicht als erstes komponiert, mit ihm aber schließlich den Zyklus Opus 18 eröffnet hat. Dieses Werk bezeugt in jedem Takt, dass sich der Komponist dem Vergleich mit den Vorbildern Haydns nicht allein stellen, sondern diese offenbar sogar übertreffen wollte. Der Kopfsatz gehört zu den motivisch dichtesten Sätzen, die Beethoven je geschrieben hat. Es lassen sich nur wenige Quartette des Wiener Stils finden, in denen die Gleichberechtigung der vier Stimmen so durchgehend verwirklicht worden ist wie im ersten Satz des F-Dur-Quartetts. Aller Zusammenhang ist aus dem in den ersten beiden Takten exponierten Motiv gestiftet, das in unzähligen Varianten den ganzen Satz durchdringt. Das kann in einer Aufführung nun ganz trocken abgearbeitet werden, so als gelte es, eine Motivanalyse vorzuführen. Ich kann mich nicht erinnern, diesen Satz je so lebendig gestaltet gehört zu haben wie vom Cuarteto Casals. Hier war nun tatsächlich, um das etwas abgegriffene Goethe-Wort zu bemühen, „ein Gespräch unter vier vernünftigen Leuten“ zu hören, und ihren „Diskursen“ war sehr viel „abzugewinnen“!
Im zweiten Satz sind ganz andere Dinge von den Musikern gefordert als im ersten. Ob Beethoven in ihm die Grabgewölbeszene aus Shakespeares Romeo und Julia vertonen wollte, werden wir nie erfahren. Unabhängig davon musizierte das Cuarteto Casals diesen langsamen Satz als instrumentales Drama, dem das Publikum gebannt zuhörte. Im dritten Satz karikiert Beethoven die Sonatenform. Der Stilhöhe des Quartetts entsprechend wurde dieser Satz dezent vorgetragen: Nichts an der feinen Ironie wurde überzeichnet oder künstlich aufgeladen. Im Schlusssatz modifiziert Beethoven die Sonatenform dadurch, dass er die strenge Form zum Sonatenrondo auflockert. Dieser leichtere Kehraus wurde zu Recht ganz entspannt musiziert.
Dann folgte die selten gespielte, von Beethoven selbst vorgenommene Umarbeitung der Klaviersonate, Op.14 Nr.1 für Quartett. Dass der Komponist zu Recht stolz auf diese Bearbeitung war – „ich weiß gewiß, das macht mir nicht so leicht ein anderer nach“ – wurde an diesem Abend sehr deutlich. Es ließ sich gut bemerken, wie fein Beethoven den Klaviersatz auf die vier Stimmen übertragen hat.
Eigens für ihren Beethoven-Zyklus vergab das Cuarteto Casals Aufträge an Komponisten, Werke unter der Bedingung zu schreiben, dass sie sich auf eines der Quartette Beethovens beziehen müssten. Aureliano Cattaneos Wahl fiel auf das Quartett e-Moll, Op.59 Nr.2, das im fünften Konzert zum Abschluss erklang. Nach seinen eigenen Worten knüpfte er in seinem Quartett „Neben“ an „kleine Details des Beethoven-Quartetts“ an: den Oktavsprung, ein rhythmisches Ostinato, das Intervall des Halbtons, das das gesamte Quartett durchzieht – und integriert sie in eine Struktur, deren Rhythmus, Tempo und Farbe stets wechseln.“ Es war für mich nicht zu verfolgen, inwiefern sich der Komponist „neben“ das Vorbild stellte, aber mir erschien das Stück in sich schlüssig und darum hörenswert.
Nach der Pause erklang das e-Moll-Streichquartett, das im Zyklus der drei „Rasumowsky-Quartette“ an zweiter Stelle steht. Vera Martínez und Abel Tomàs tauschten nun die Plätze der Primgeige.
Der Kopfsatz ist wesentlich verwickelter im Aufbau als der des F-Dur-Quartetts. Was den Zeitgenossen Beethovens als das „Flickwerk eines Wahnsinnigen“ erschien, ist im Spiel des Cuarteto Casals ein in sich stimmiger Diskurs, der noch Raum dafür ließ, rhythmischen Pointen auszukosten und die wenigen kantablen Wendungen kurz anklingen und dann ebenso schnell wieder vergehen zu lassen. Den zweiten Satz musizierte das Cuarteto Casals feierlich-kantabel, was an Schönklang nun nicht mehr zu übertreffen war. Beethoven überschrieb ihn mit: „Si tratta questo pezzo con molto di sentimento“ (mit viel Gefühl spielen). Das Cuarteto Casals erfüllte Beethoven diesen Wunsch und intonierte ein so andächtiges wie schlichtes Gebet.
Die „Alla-Zoppa“-Rhythmik des dritten Satzes wurde unter den Händen des Cuarteto Casals zu einer tänzerischen Leichtigkeit. Im Trio erklang dann ein Thème russe, das Beethoven einer zeitgenössischen Volkslied-Sammlung entnahm und aus dem er am Satzschluss eine kunstvoll gebaute Fuge entwickelte. Im Finale entfesselte das Cuarteto Casals dann nach all der Konzentration musikantisches Temperament.