Im dritten Anlauf war es mir vergönnt, Herbert Blomstedt mit Bruckners Siebter Symphonie zu hören. Ein Sturz im letzten Sommer hatte zunächst sein Dirigat mit der Staatskapelle Berlin und dann das im Kloster Eberbach verhindert. Zumindest letzteres konnte ein Jahr später, nun mit dem Gewandhausorchester Leipzig, nachgeholt werden.

Loading image...
Herbert Blomstedt
© Ansgar Klostermann

„Die Melodien, der Kontrapunkt und die Konzentration der Aussage zeichnen die Musik Bruckners” laut Blomstedt aus. Was sich nach einer fast selbstverständlichen Aussage anhört, ist – wenn man denn Zeuge dieser Aufführung gewesen ist – das Geheimrezept, das Blomstedt nicht nur grundsätzlich formuliert, sondern auch an diesem Abend in die Tat umsetzt.

Blomstedt und das vorzüglich eingestellte Gewandhausorchester hangeln sich nicht von einer „schönen Stelle“ zur nächsten, sondern es gelang ihnen, aus den ineinander übergehenden unendlichen Melodien dieser Symphonie ein tragfähiges Gebäude zu gestalten. Der hallreiche Klang in dieser Basilika machte dieses Kirchenschiff schließlich zu jenem magischen Ort, als den Blomstedt es vor dem Gastspiel bezeichnet hatte.

Zu den Kunstgriffen Bruckners gehört es, seine Themen so mit ihrer Umkehrungsgestalt zu erfinden, dass diese gleichzeitig einen Gegensatz zum Original bildet und einen Zusammenhang mit ihm stiftet. Wer dies so sorgfältig umsetzt wie Blomstedt, dem gelingt es, das Gewebe aus diesem Wechsel der Kombinationen im Fluss zu halten, so dass die Symphonie als von Wagners „Kunst des feinsten Übergangs“ inspiriert erfahrbar wurde. Besonders gelungen erschien dies als die monumentale, nach c-Moll versetzte Wiederkehr des Hauptthemas zwar den Höhepunkt des Kopfsatzes bildete, aber doch als Schein-Reprise entlarvt wurde, weil erst von dort aus mit aller Sorgfalt schrittweise in die richtige Reprise geschlichen wurde, die da im pianissimo erklang, wo Grundgestalt und Umkehrung erstmals wie als Ring miteinander vereint worden sind.

Loading image...
Herbert Blomstedt dirigiert das Gewandhausorchester
© Ansgar Klostermann

Im Adagio legte Blomstedt das Gewicht darauf, die tonartliche Entwicklung des Satzes im Klang zur Form zu bringen. Das Orchester schillerte nicht einfach nur, sondern wurde, der modulatorischen Wanderung entsprechend, je nach Vorgabe dort erleuchtet, dort abschattiert. So mischte Blomstedt im cis-Moll-Thema die Wagner-Tuben mit den kräftig geführten Streichern in dunkle Farben und vermochte es, diesen Klang bei der dritten Wiederkehr tatsächlich konsequent nach des-Moll abzudunkeln, um dann auf dem C-Dur-Höhepunkt des Satzes, beim Beckenschlag, in hell leuchten Orchesterfarben einen Blick in den Himmel zu gewähren. Das Orchester erwies sich gut vertraut mit Blomstedts auf ein Minimum reduzierter Zeichengebung und verstand es zudem, durch Blickkontakte unter- und miteinander das Zusammenspiel zu koordinieren.

Das Scherzo wurde nicht zu einem bloßen Intermezzo, sondern bildete den Übergang zu den helleren, leichteren Tönen, die dann im Finale zur Rettung führen. Mit wenigen Fingerzeigen verwandelte Blomstedt das Hauptthema des ersten Satzes zu Beginn des Finales in seine sanguinische, weil punktierte Variante. Die Komplikationen seiner Fortsetzungen dienten ihm dazu, den Prozess in den Gang zu bringen. Die vermeintlich als drittes Thema in den Satz katapultierte Gestalt klang unter Blomstedts Stabführung zu Recht als Monumentalvariante des ersten Themas. Von hier an komponierte Bruckner losgelöst von allen formalen Vorgaben, die ihm eine Sonatenform stellte. Und wie viele Dirigenten habe ich schon daran scheitern gehört, wenn sie versuchten, dieses organisierte Chaos zu ordnen. Blomstedts große Erfahrung mit Bruckner und seine Liebe zu dieser Musik ließ ihn stets den Überblick behalten. So ertönten die im Orchester schließlich im Blech hervortretenden Fanfaren endlich einmal so, wie sie kaum einmal zu hören sind: nicht so intoniert, als wären sie vom Himmel in den Satz gefallen, sondern als der Kadenz des Hauptthemas entnommen, um nun auf den Schluss des Finales hinzuarbeiten. 

So schlüssig, so intelligent komponiert, ist dieses Finale sonst nicht zu hören. Blomstedts Bruckner ist auch darum so überzeugend, weil er es versteht, die Harmonie am Ende wie scheinbar selbstverständlich errungen darzubieten. Doch was im Wohlklang hervortritt, ist das Resultat zäher Arbeit.

*****