Der Flame Paul Van Nevel ist unbestritten ein Großmeister der Renaissancemusik. Akribisch durchforstet er Bibliotheken auf der Suche nach verborgenen Schätzen aus der Zeit zwischen 1400 und 1600, als sich die mehrstimmige Musik der franko-flämischen Schule in ganz Europa verbreitete. In dem Konzert Die Landschaften der Renaissance kombinierte Van Nevel mit den zwölf Sängern seines Huelgas Ensemble dreizehn Werke von elf Komponisten mit auf eine Leinwand projizierten Landschaftsaufnahmen (Fotografien von Luk Van Eeckhout) und originalen Gemälden und Zeichnungen aus Südflandern und Nordfrankreich. Das Publikum konnte sich durch diese optische Unterstützung im ansonsten abgedunkelten großen Saal des Amsterdamer Muziekgebouws noch besser in die meditative Musik hineinversetzen.

Das fast neunzig-minütige Konzert hatte nur eine kurze Verschnaufpause, die dramaturgisch hervorragend gewählt war. Vor der Pause ertönten nämlich die vierstimmigen Lamentationen für den Gründonnerstag von Antoine de Févin, nach der Pause das Klagelied auf Févins Tod von Jean Mouton, Qui ne regrettoit le gentil Févin. Es war in diesem chronologisch aufgebauten Programm gleichzeitig auch der Übergang von Kompositionen aus dem 15. zu denen aus dem 16. Jahrhundert.
Van Nevel sieht seine Rolle als Dirigent folgendermaßen: „Das Auffälligste an dieser Musik ist die Platzierung des Textes, der nie unter den Noten steht. Ich bestimme die Wahl des Tempos. Jedes Stück hat nur ein perfektes Tempo für den Raum, in dem es gesungen wird. Ich wähle das Tempo, passe es aber an den jeweiligen Raum an.“ Abwechslung gab es vor allem durch die konstant wechselnden Besetzungen. Das Eingangsstück Ma douce amour von Johannes Symonis Hasprois war dreistimmig, das abschließende Agnus Dei aus der Ostermesse von Nicolas Gombert wurde von zwölf Sänger gesungen.
Die Alte Musik, von der wir immer wieder sprechen, entstand meist an Königshöfen, vor allem aber in kirchlichen Gesellschaften. Van Nevel: „In der Zeit, über die wir hier sprechen, war Musik elitär. Es war für Menschen, die in einem künstlerischen oder intellektuellen Milieu aufgewachsen waren. Die Menschen wurden aufgeklärt und verstanden, worum es ging.“ Dank der Großbildaufnahmen und stilisierten Karten der Geburtslandschaften der Altmeister bekam das Publikum einen narrativen Zugang zu der Renaissance-Klangwelt aus Imitationen, gregorianischem Melodiengestus und wechselnden rhythmischen Perspektivverschiebungen.
Verblüffend waren die bei jeder Komposition neu erschaffenen, somit sich ständig verändernden Klangbilder, die das Huelgas Ensemble mit Ausnahme von Ung souvernir me conforte von Josquin Baston nicht nur blitzsauber sondern auch warm-melodiös erschuf.
In diesem Konzert ging es um die emotionale Verbundenheit der Franco-Flamands mit der Landschaft ihres Heimatlandes, etwa dem Viereck Brügge, Mons, Saint-Quentin, Boulogne-sur-Mer. Die Aufführung des Huelgas Ensembles entführte die Zuhörer in die Klangwelt dieser Komponisten und in das Tempo und den Rhythmus ihrer Zeit und der von dieser inspirierten Musik. Die projizierten Bilder demonstrierten eindrucksvoll die Melancholie und Stille der Landschaften und Kathedralen, in denen diese Musiker lebten und arbeiteten.