Das Berliner Opernstudio feierte im Apollosaal der Berliner Staatsoper sein 10-jähriges Jubiläum mit einem Potpourri anspruchsvoller und unterhaltsamer Opern- und Liedwerke. In zwei kurzen Grußworten von Liz Mohn, deren Kultur- und Musikstiftung das Opernstudio unterstützt und von Daniel Barenboim, dem Spiritus Rector des Internationalen Opernstudios, erfuhr das Publikum, mit welch großem Engagement der Leiter des Opernstudios, Boris Anifantakis, und sein Team mittlerweile 36 Stipendiaten zu reifen Sängerpersönlichkeiten ausgebildet haben und nach wie vor ausbilden. Zur Ausbildung gehören neben den gesanglichen Fähigkeiten auch szenisches Spiel, Körper- und Sprechtraining sowie das Kennenlernen unterschiedlicher musikalischer Stile. Die meisten ehemaligen Stipendiaten sind mittlerweile in der Welt der großen internationalen Opernbühnen angekommen, einige davon auch in der Staatsoper selbst, wie beispielsweise Elsa Dreisig, die derzeit mit der Titelrolle der Violetta in La traviata debütiert. Auch die erste Sängerin des Abends, Narine Yeghiyan aus Armenien, wurde direkt im Anschluss an das Opernstudio ins feste Ensemble der Berliner Staatsoper integriert.

Narine Yeghiyan ließ in der Arie der Musetta „Quando m’en vo“ aus La bohéme von Giacomo Puccini ihren kernigen, strahlkräftigen und flexiblen Bel Canto-Sopran durch den frisch renovierten Apollo-Saal strömen und zeigte mit ihrer frischen und dynamischen Bühnenpräsenz eindrucksvoll, was die richtige umfassende Ausbildung aus außergewöhnlichen stimmlichen Anlagen zu formen vermag. Zum Duett „Là ci darem la mano“ der Zerlina mit Don Giovanni von Wolfgang Amadeus Mozart gesellte sich dann der rumänische Bassist Alin Anca – mittlerweile an der Hamburger Staatsoper zu hören – auf die Bühne und rundete Yeghiyans obertonreiches Klangspektrum mit seinem weichen Timbre ab. Der marokkanische Tenor Abdellah Lasri hatte anfangs bei der Arie „Recondita armonia“ des Cavaradossi aus Tosca noch leichte Schwierigkeiten, seine schlanke teils etwas flache Stimme durch den Saal zu tragen. Im Verlaufe des Abends blühten er und seine Stimme jedoch hörbar auf, obschon eine weichere mit etwas voluminöserem Vibrato angereicherte Tonansprache der verhältnismäßig trockenen Akustik des Apollo-Saals und den Ohren der Zuhörer mehr geschmeichelt hätte.

Elsa Dreisig (Sopran) und Annika Schlicht mit ihrem dunklen Timbre wollten bei Engelbert Humperdincks berühmten „Abendsegen“ aus Hänsel und Gretel noch nicht so recht harmonieren. In der zweiten Hälfte zeigten sie jedoch eindrucksvoll ihre außergewöhnlich charaktervollen Stimmen. So demonstrierte Elsa Dreisig mit dem Lied „Im Treibhaus“ aus den Wesendonck-Liedern von Richard Wagner, warum sie 2016 völlig zurecht den ersten Preis beim renommierten Gesangswettbewerb Operalia gewonnen hatte. Dreisig verfügt über eine erfrischend klare Diktion und einen starken Gestaltungswillen, und ist zugleich wunderbar kontrolliert, so dass man sich als Zuhörer entspannt und doch konzentriert der Schönheit ihrer edlen Stimme hingeben kann. Annika Schlicht – mittlerweile im Ensemble der Deutschen Oper Berlin – überzeugte vor allem mit dem Lied „Von der Schönheit“ von Gustav Mahler mit ihrem stolzen lyrischen Mezzo.

Die ersten und wahrlich nicht die einzigen Bravo-Rufe gab es für die israelische Sopranistin Gal James, die aus der ersten Generation des Opernstudios stammt. Man merkte ihr die Bühnenerfahrung an, denn sie war sofort voll da und ließ mit der Arie „Si, mi chiamano Mimi“ aus La bohème die ganze Opernkulisse der Pariser studentischen Wohngemeinschaft vor dem geistigen Auge der Zuhörer erscheinen. Mit ihrem ausdrucksstarken lyrischen Sopran ergänzte sie das Spektrum der unterschiedlichen Gesangsfächer, das sich an diesem außergewöhnlichen Abend von Narine Yeghiyans Bel-Canto Sopran über Elsa Dreisigs edle Liedstimme mit der Kraft der Opernbühne bis hin zu Gal James‘ dramatischem Farbenreichtum erstreckte.

Bei den Männerstimmen gefiel besonders die aufrührende und wohl austarierte Interpretation des Liedes „Ich hab‘ ein glühend Messer“ aus Mahler's Liedern eines fahrenden Gesellen durch den ungarischen Bariton Gyula Orendt. Aber auch der deutsche Bariton Maximilian Krummen harmonierte wunderbar mit dem beherzt aufspielenden kammermusikalisch besetzten Orchester aus Mitgliedern der Orchesterakademie der Staatskapelle Berlin. Seine Darbietungen von „Wenn mein Schatz Hochzeit macht“ und „Ging heut‘ morgen über‘s Feld“ waren samtig intoniert und mit erfrischend klarer stimmlicher Elastizität vorgetragen. Der koreanische Tenor Kyungho Kim überzeugte besonders als Rodolfo im Duett mit Gal James in „O soave fanciulla“ aus La bohème dank seines messerscharfen weit tragenden Heldentenors. Zuletzt sei noch Alexander Vitlin erwähnt, der am Klavier und am Dirigentenpult die musikalische Leitung dieses Abends innehatte und sein ganzes souveränes Können und die Erfahrung als Korrepetitor und Kapellmeister ausspielen konnte, ohne je aufdringlich zu werden. Ein beschwingter Abend, der den Abschluss für erfolgreiche zehn Jahre Opernstudio und zugleich Auftakt für viele weitere Jahre bemerkenswerter opernsängerischer Nachwuchsarbeit bot.

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