Der Platz vor der Bayerischen Staatsoper glühte mit über 30 Grad im Schatten, als Tomáš Hanus am vergangenen Donnerstag Die Sache Makropulos klären wollte. Mit barbarischen Paukenschlägen rüttelte der Dirigent den von der Hitze leicht lethargischen Zuhörer wach und schilderte dann mit harschen Tönen die faszinierende Oper von Leoš Janáček. Schnell wurde klar: Auch 89 Jahre nach der Uraufführung ist die Sache Makropulos kein einfaches Stück, und zeigt sich damit so modern und zeitgemäß wie eh und je.
Erzählt wird die Geschichte der 337 Jahre alten Emilia Marty. Dank eines Elixiers, der Sache Makropulos, hält sich die schillernde Operndiva ewig jung und verdreht über die Jahrhunderte hinweg die Köpfe der Männerwelt. Doch ihr hohes Alter hat sie, bei aller jugendlichen Optik, gefühlskalt und zynisch gemacht – gesehen, gehört, gespürt hat sie schon alles. Der Zuschauer kann, nein, will sich nicht mit der Geschichte identifizieren. Distanz halten, scheint die eigene innere Vernunft mit jedem sperrigen Takt dringlich zu rufen. Und so wird die Frage „Was bedeutet eigentlich jung/modern?“ zum zentralen Thema der tschechischen Oper.
Nadja Michael war, das musste schon nach wenigen Minuten neidlos anerkannt werden, die perfekte Besetzung für Janáčeks Emilia. Mit langen Beinen stolzierte die blonde Femme Fatal in einer schwarzen Lederjacke über die Bühne und hauchte den eklektischen Vorgaben des Librettos mit jedem Blick durch ihre dunkle Fliegerbrille noch mehr Leben ein. Stimmlich sehr variabel, aber mit Luft nach oben, wurde Michael zum Zentrum der Aufmerksamkeit. So manche Höhen machten ihr zu schaffen und ließen mehr Klarheit (und somit vielleicht eine stärkere Konzentration auf die gesangliche Leistung) vermissen. Aber, und auch das soll gesagt werden, die Rolle der Emilia ist stimmlich anspruchsvoll, die Musik von Leoš Janáčeks keine einfache und Nadja Michael der Tongewalt durchweg gewachsen.
Was den Rest der Besetzung anbelangt, so ist es ganz wie in der Oper selbst: Wie Emilia Marty, so stahl auch Nadja Michael ausdrucksstarkes Spiel dem Rest des Ensembles die Schau; das wusste auch die Regie und platzierte sie kompromisslos in die Mitte. Die Bühne wurde zum imposanten Altar, der allein der Huldigung von Emilia/Michael diente. Fast schien es so, als ob hier das Stück die Extension zur Realität nahm. Die Opernsängerin Emilia Marty, gebürtige Elina Makropulos, versteckte sich schließlich einst auch unter dem Namen Eugenia Montez als andalusisches Zigeunermädchen – immer abgekürzt als E.M. Nur ein unsicherer Blick auf den Besetzungszettel schafft Erleichterung, dass bei der Michael die Initialen nicht ganz übereinstimmen.
Erfreulich auch: Als Nadja Michael halbnackt auf der Bühne stand und zur Projektionsfläche für so manche erotische Fantasie wurde, da fehlte dank ihres fokussierten Soprans von Sexismus jede Spur. Sinnlich, manchmal verzweifelt, überzeugte sie kontinuierlich in allen drei Akten und zog den Zuschauer fast mit in den tragischen Abgrund aus Verzweiflung und Überdruss. Zur Rettung kam jedoch John Lundgren. Mit seinem energisch-durchdringenden Bariton blieb er als Jaroslav Prus positiv in Erinnerung. Auch Baron Prus wird im Stück von Marty schamlos und rücksichtslos instrumentalisiert. Auf der Bühne jedoch wirkt das Zusammenspiel von Lundgren und Michaels dramatischen Sopran ausgeglichen und stimmlich wohl balanciert.
Dirigent Tomáš Hanus positionierte sein Orchester wohl bewusst eher in den Hintergrund, doch deutlich sicherer und einsatzstärker als noch zur Premiere des Stückes im Oktober 2014. Wer böhmische Sentimentalitäten erwartete, wurde enttäuscht – herb und mit schroffen Wechseln erklangen Janáčeks vielschichtige Charakterisierungen von Emilia Marty. Erst im dritten Akt trat sein Dirigat in den Vordergrund und platzierte ein paar wenige, aber entscheidenden Akzente punktgenau. Messerstichen gleich wurde das Schicksal von Emilia Marty vom Orchester vorweggenommen. Erstaunlich hart waren die Einsätze und das spürte auch der Zuschauer: Die Lust am Leben, an der Liebe, fühlt man sie selber noch? Aus dem Orchestergraben kam jedenfalls nur faszinierende Eiseskälte als Antwort.
So bleibt das einzige, was an der Inszenierung von Árpád Schillings enttäuschen mag, der Schluss: Emilia, übermannt von der Sinnlosigkeit und Gleichförmigkeit ihres langen Seins, entschließt sich, das lebensverlängernde Elixier an Krista (Tara Erraught) abzugeben. Fast nackt stand Michael in diesem Moment auf der Bühne – gefesselt an ein Grabmal, gepeinigt von der Lust, nach der sie stetig strebte, in Form von muskelbepackten Statisten. Als Krista mit schwacher Stimme „die Sache“ an sich nahm, entschwand Emilia in eine karmesinrote Sado-Maso-Hölle, von oben senkte sich ein riesiger Eisberg auf die Bühne herab, den einzig und allein Krista durchbrach.
Der Triumph der modernen Weiblichkeit sollte hier wohl gefeiert werden, doch wirkte er in seiner allegorischen Überzeichnung etwas stumpf, ja fast bevormundend. Und so wurde die wichtigste Frage des Stückes, „Was ist modern?“, vom Bühnenbild (Márton Ágh) in den letzten Takten leider mit altbackenen Ideen beantwortet. Schade, wo doch der Rest der Aufbauten so harmonisch wirkte!
Insgesamt soll das aber keines Falls bedeuten, dass die Sache Makropulos an der Bayerischen Staatsoper nicht gefallen kann. Im Gegenteil: Leoš Janáčeks Oper präsentiert sich dem Publikum als überzeugendes Gesamtkunstwerk, dessen Fokus klar auf einer einmaligen schauspielerischen Leistung von Nadja Michael und der erfrischend modern Interpretation von Tomáš Hanus gelegt wird – kurzweilig, pointiert und sehenswert!