HIP und Hip ist hip. Auf diesen zunächst leicht verwirrenden Nenner lässt sich die neue The Fairy Queen-Produktion Les Arts Florissants' und Mourad Merzoukis einfach prägnant bringen. Denn was verenglischt und umgangssprachlich jeweils in gewissen kontextualisierten Mode-Phänomenen als angesagt gilt, traf bei Purcells wahnwitzigem, an Shakespeares Sommernachtstraum nur durch das Theater lose angelehntem, eigentlich selbst verwirrendem Tanz-Musik-Mix durch das ehrwürdige Alte-Musik-Ensemble auf übergreifende, vielfältige, choreographierte Ausdrucksformen genereller Kunst-Stile und kultureller Bewegungen. Die mit HIP abgekürzte historisch-informierte Aufführungspraxis, sonst auch bei Tanzeinlagen dem Original auf der Spur, begegnete so dem in der rhythmischen Bewegungsakrobatik geäußerten Genre des Hip-Hops, mit dessen Element man sich auf der aktuellen Linie befand, dem Barocken im crossmedialen und -musikalischen Mit-der-Zeit-Gehen eine andere Form der Offenheit und Übersetzung in Kontinua anzubieten.
William Christie
© Melle Meivogel
Les Arts Florissants tat das beim Festival Oude Muziek Utrecht unter dem Motto „Revival“ mit seinem Gründungsleiter William Christie – vielleicht erinnern sich noch einige an die geniale Aufführung in Glyndebourne 2009 unter der Regie Jonathan Kents? –, der Comapgnie Käfig und den Stimmen, die er gemeinsam mit Co-Direktor Paul Agnew und Dramaturgin Sophie Daneman im jährlichen Rekrutierungspool des Jardin des Voix aussucht und herausfordert. Und zwar projekttechnisch wie institutionell auch in Kooperation mit der HIP- und Tanz-Abteilung eben der New Yorker Julliard School, an der der gebürtige NY-Bundesstaatler Christie zur gerade genannten Purcell-Station 2009 eine Gastprofessur erhielt und seitdem Meisterklassen abhält. Von deren Mitgliedern oder Absolventen zieht es ebenfalls einige – wie damals Christie selbst – wiederum nach Frankreich und generell nach Europa, speziell dann auch die internationale HIP-Bastion Niederlande.
The Fairy Queen
© Melle Meivogel
Bevor es jetzt zum offiziellen Tourneestart in die Niederlande ging, spielte das Ensemble The Fairy Queen aber quasi als Generalprobe in Christies riesigem Landschaftsgarten in Thiré. Es ist die perfekte Kulisse für das von Purcell und seinem Librettisten imaginierte Fleckchen Erde zeitlos erhoffter Wunder der Liebe und erklärt, wieso die Darbietung Christies Purcell so grandios gelang wie jetzt in Utrecht. Schließlich ist der Dirigent neben seinen Angestellten auf dem Anwesen selbst als Gärtner und Gartenbauer aktiv – deshalb auch der Name Jardin des Voix – und gestaltete unter anderem einen französischen, englischen und chinesischen Teil mit verwunschenen Ecken, so wie er in den Musiken und Gesängen der Personenwelt Purcells Oper auftaucht. Daraus atmete die Vorstellung regelrecht eine organische, frappant evozierende und in den geschlossenen Raum gebrachte Symbiose aus Natur, Sentiment und Klang, die das Feenreich derart fabelhaft zur Geltung brachte, dass kleinere rhythmische Unregelmäßigkeiten zum besungenen Beginn des ersten Akts sowie beim Orchester zum Ende der Act-IV-Symphony den Gesamteindruck überhaupt nicht trüben konnten.
Fesselnd und gleichsam entspannt entfaltete sich dabei der Zauber Purcells Ohrwürmer sowie komponierter Passion und folkloristischer wie royaler Unterhaltung dadurch, dass Les Arts Florissants unter grünem Daumen Christies, der – lässig in Jeans – auch weite Strecken gar nicht dirigierte und nur bewundernd zuschaute, dynamisch wie intonations- und ansonsten nun mal ebenso rhythmisch einnehmend magische Affekte und Effekte schufen. Ob Preludes, Tunes oder Dances beziehungsweise die Untermalung der Airs und Choruses, alle instrumentalen Pflanzen, Jahreszeiten, Sterne und Herzen flogen dem Publikum entgegen, um sie den Musikern zurückschenken zu wollen. Einige, wie die Blockflötisten Sébastien Marq und Nathalie Petibon oder der Konzertmeister Emmauel Resche-Caserta, waren selbst auf der vorderen Bühne, dem Platz für die Sängerinnen und Sänger sowie die Tanzcrew, in die Choreographie eingebunden. Andere, wie LAFs legendäre Schlagwerkerin Marie-Ange Petit mit Pauken, Tambourin, Glöckchen, Windmacher, Vogelschrauber, Fingercymbal und kleiner Militärtrommel, Gambist Nicholas Milne oder Continuocellist Félix Knecht, trugen auf ihren Plätzen dahinter zum starken Eindruck besonders bei.
The Fairy Queen
© Melle Meivogel
Auch die jungen Solisten glänzten durchweg, zuvorderst mit klaren, rosigen Stimmen. Vor allem Ilja Aksionov, aber genauso Rodrigo Carreto, erfüllte die Szenerien mit der lichten, empathischen und ätherischen Qualität des High Tenors. Benjamin Schilperoort als Schlaf gefiel mit stoischem Bassbariton, während Paulina Franciscos zierlicher Sopran sowie die hellen, traubigen, sanft-runden Mezzi von Georgia Burashko, Rebecca Leggett und Juliette Mey in ihren Leidenschaften, Träumen und Feenwäldern aufgingen. Darüberhinaus geflasht hat einen der aus ihnen absolut homogen gebildete Chor, die Behandlung dessen und der Tänzer sowie die Inszenierung Merzoukis insgesamt. In den ersten drei Akten allesamt in Schwarz, in den letzten beiden Akten in verschieden bunten, verwaschenen Hemden gekleidet, verschwammen oder verschmolzen die äußeren und inneren Grenzen ihrer Rollen und Stile.
Es entstand eine hippe Community, in der alle miteinander energisch agierten, sich in Bildern verbunden arrangierten und sich in gesunder, gangkumpel-lockerer Ey-Yo-Haltung den leidensfähigen Beiständen wie aufmunternden, respektvollen Freundschaftsdiensten und -Bekundungen vergewisserten. Zwar sah sich darin Hugo Herman-Wilson mit stilistischer Bariton-Wucht als tollpatschig betrunkener Poet zunächst gepiesackt und bei der bettelnden Anmache an Mopsa hingehalten, dann als Heiratsgott Hymen geweckt, doch breitete sich das Gefühl der zugeneigten Gemeinschaft zum tragenden Band der handlungsschließenden Alles-Liebe-alles-gut-Botschaft unaufhaltbar aus. Erst recht, wenn am Ende zu Chaconne und hinzugedichtetem Schlusschor die Sänger wie die unfassbar fulminanten, stuntartigen, archaisch wie eleganten, streetdance-artistischen Tänzer zusammen im Hip-Hop-Style ihren Triumph und diesen unvergesslichen Abend feierten.
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