Der in den letzten Monaten viel diskutierten Frage, ob man denn in diesen Zeiten noch Musik russischer Komponist*innen spielen dürfe oder sollte, traten das hr-Sinfonieorchester unter Leitung Alain Altinoglus bei ihren beiden als 1001 Nacht betitelten Konzerten in der Alten Oper Frankfurt entschieden entgegen. Entschlossen präsentierten sie mit Rachmaninows Drittem Klavierkonzert d-Moll und Scheherazade, der sinfonischen Dichtung Rimsky-Korsakows, ein komplett russisches Programm und lassen so den Geist der russischen Spätromantik wiederaufleben – ein Sehnen nach besseren Zeiten?

Alain Altinoglu © HR | Werner Kmetitsch
Alain Altinoglu
© HR | Werner Kmetitsch

Mit der Wahl von „Rach 3”, eines der monumentalsten und schwierigsten Klavierstücke der Musikgeschichte, an denen sich Pianist*innen in technischer Versiertheit und Virtuosität messen können, konnte für den erkrankten Evgeny Kissin ein mehr als adäquater Ersatz gewonnen werden. Der junge, oft als Shootingstar bezeichnete, russischen Pianist Alexander Malofeev hat mit seinen jungen 20 Jahren bereits eine überaus eindrucksvolle Karriere vorzuweisen: Mit 13 Jahren Gewinner des Internationalen Tschaikowsky-Wettbewerbs für junge Musiker*innen, Auftritte mit namhaften Dirigent*innen wie Ricardo Chailly, Myung-Whun Chung und Susanna Mälkki, Konzerte mit renommierten Orchestern wie dem Philadelphia Orchestra und dem Lucerne Festival Orchestra und Konzerte bei großen Sommerfestivals wie Verbier und Tanglewood zählen unlängst zu seiner Vita.

Seine Interpretation des mitunter melancholischen und schwermütigen Klavierkonzerts war gefärbt von subtiler Expressivität und mit fein gestreuten, nie übertriebenen Ausbrüchen gesät. Das von Wehmut geprägte prominente Thema im ersten Satz ließ er zunächst verhalten und distanziert anklingen. Erst in der Kadenz blühte Malofeev auf und zeigte, wie man als Pianist den virtuosen Spannungsbogen über dieses Konzert zu ziehen hat. Durch sein überaus frisches, unbeschwertes Spiel gab er die vielen Facetten und Raffinessen des 1909 komponierten Konzerts preis, das sich im Geist der Spätromantik wiegt, aber bereits sehr präsent die Moderne ankündigt.

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Alexander Malofeev
© Evgeny Evtyukhov

Dem entsprach auch Alain Altinoglus Dirigat des Klavierkonzerts, das von Ideen und Gestaltungswillen strotzte, welche er bei Scheherazade fortsetzte. Eindrucksvoll changierte er zwischen den feingliedrigen Soli von Violine und Fagott und den sich imposant aufbäumenden Orchestertutti. Facettenreich und differenziert leitete er das hr-Sinfonieorchester, bremste sie manchmal und ließ sie dann wie durch das Lösen einer Handbremse wieder Fahrt aufnehmen. So spannte er Bögen, behielt die Dramatik beider Werke immer im Blick und steigerte durch dynamische Abstufungen ihre Spannkraft. Das Ergebnis war eine lebendige Gestaltung, die ganze emotionale Bandbreite, melancholisch bis heroisch-triumphal, ausschöpfend und somit das frische und expressive Spiel Malofeevs perfekt ergänzend. Lediglich das mitunter zu präsente, breit dröhnende Blech geriet unter Altinoglus Leitung etwas zügellos. Sicherlich wusste Rimsky-Korsakow sein Werk raffiniert und glänzend-grell zu instrumentieren, doch diesen vordergründigen Bühnenzauber zelebrierend, wie in einem Feuerwerk die effektvoll und farbenfrohe Partitur des Komponisten auslebend, ergab sich Altinoglu dem farbenfrohen Klangrausch des russischen Werks und erzielte damit beim Publikum auch die gewünschte Wirkung.

Für das hr-Sinfonieorchester und Alain Altinoglu hat die neue Saison erst begonnen, doch mit diesem Konzert haben sie wahrlich schon ein Highlight präsentiert und die Messlatte für die Spielzeit 2022/23 bereits hoch gelegt!

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