Alte Musik und karibisches Flair? Ja, bei diesem Kerzenschein-Event in der Essener Philharmonie fehlten nur noch strandtypische Annehmlichkeiten, um sich vollends an einen anderen Ort versetzt zu fühlen. Bei allem Unterhaltungswert kam aber auch das Inhaltliche, man mag es vielleicht „das Akademische“ nennen, nicht zu kurz, sondern wurde vielmehr wunderbar mit der Musik verbunden.

Jordi Savall kombinierte mit seinem Hespèrion XXI und dem Tembembe Continuo Ensemble zwei seiner vor einigen Jahren entstandenen Projekte antiker Folias und Danzes zu einer Neuauflage, die auf den Spuren der Kulturen wandelt. Der Entdecker Savall versucht, musikalisch das Entstehen der Völker mit ihren Eigenheiten und Gemeinsamkeiten nachzuvollziehen, und nimmt seine Zuhörer dabei mit auf eine Reise in die Aufbruchs- und Blütezeit spanisch-portugiesischer Seefahrer des 15. und 16. Jahrhunderts. Dass in Savalls stetem Bemühen der Verdeutlichung einer Universalität, einer einen Welt Grenzen überschritten werden, wird auch im Titel des Programms deutlich: „De l'ancien monde au nouveau monde“.

So begann auch der Abend mit La Spagna aus der Feder von Diego Ortiz, der die erstmals 1455 erwähnte Melodie als einer von zig hundert Komponisten knapp 100 Jahre später bearbeitete und vertonte. Mit anschließenden Improvisationen über zwei Folía-Liedsammlungen blieb der Auftakt des Konzertes noch relativ gewohnt und moderat, zumal diese aus höfischem Katalog stammten, wo die lärmend-übermütige Expressivität der Sätze aus protokollarischen und praktischen Gründen nicht gestattet war. Dann jedoch rauschten die acht Musiker wie versprochen mit wilden Tänzen über die Saiten.

Traditionelle ländliche Vertonungen und unterschiedliche Folías und Criollas mit teils hals- oder besser gesagt fingerbrecherischen Läufen brachten zunehmend karibisches Flair und Begeisterung in die ausgefüllten Reihen der Zuhörerschaft. Mit Diskantgambe und Violine wurde den basslastigen, von Zupfinstrumenten dominierten Melodien eine mal scharf-silbrig, mal sanfte, ja fast jazzige, helle Note verliehen, die auch die ausgelassene Sanglichkeit der Musik untermalte.

Dass die Sätze und Melodien nicht immer gleich und abgenutzt klangen, lag neben den differenzierten Improvisationen an der beeindruckenden Musikalität der acht Solisten, die zwischen verschiedenen Trommeln und Tambourins, Gamben und Gitarren zusammen mit Harfe, Violone, Marimbula, Violine, Klanghölzern, Kastagnetten und sogar Gesang variierten oder vielmehr multitaskten, die Kompositionen ineinander fließen ließen und somit verschiedenste Klangfarben und Ursprünge zum Ausdruck brachten. Musik-immanent changierte auch die Dynamik von leiser-feineren Passagen in den Ruhemomenten mit dem crescendo- und tempo-giusto-folgenden Temperamentswechsel. Ergänzt wurde diese musikalische Leistung von Donarjí Esparza, die den Ursprung tänzerisch mit kreisenden Hüften und rotem Tuch vor Augen führte und mit schlagenden Absätzen eine weitere rhythmische und klangliche Komponente beisteuerte.

Nach der Pause entführte Jordi Savall das Publikum in einem Solo-Intermezzo – dem Titel nach eigentlich unerwartet – nach Schottland. Doch auch hier hielten diese Tanzmelodien Einzug, wobei die keltischen Einflüsse deutlich vernehmbar waren: In den ebenfalls rasanten Tunes Regents Rant, Lord Moira und Lord Moira's Hornpipe (aus Ryan's Mammoth Collection) wurde das Klangschema nämlich durch raue, gebrochene Akkorde, schroffe Doppelgriffe und weite Saitenwechsel erweitert und bestimmt. Die eingängigen Melodien wurden mit diesen technisch höchst anspruchsvollen Mitteln entzerrt und die den Kelten zugeschriebene robust-unsentimentalere Art spielerisch veranschaulicht, als Savall auf der dunkler-, mürb-gefärbten Bassgambe seine Virtuosität und Routine, unter Beweis stellte vor dem inneren Auge des Hörers das Bild eines einsamen Meisters am Lagerfeuer in den Weiten der Natur heraufbeschwor.

Nach diesem Ausflug stießen die restlichen Musiker wieder dazu, um in volkstümlich-lebendiger Gesellschaft mit einem rasant-lustvollen Balztanz in traditionellem Fandango ins Hispanische zurückzukehren, wonach nicht nur Casanova sondern auch die Zuhörer richtiggehend verführt waren. Dabei begann die Harfe mit einem knackigen Solo der Melodie, ehe sich Tänzerin und Gitarrist einen Dialog aus zunehmend schneller werdenden, feurigen Akkorden lieferten und den Raum mit Temperament und Freude fluteten.

Zusätzlich zu der gelobten Musikalität, Tanzdarbietung und Vielfalt mit den talentierten Sängern aus den Reihen der Multi-Instrumentalisten hätte ich mir – abgesehen von einigen „Griffbrett-Bogen-Pfeifern“ – zur Perfektion lediglich eine noch stärkere Präsenz im Hinblick auf körpersprachliche sowie interpretatorische Expressivität und Authentizität gewünscht. Doch es war auch so ein gelungenes Konzert mit prächtig-exotischen Rhythmen, aus dem der Zuhörer glücklich und beschwingt in die Nacht ging.

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