26 ist Klaus Mäkelä im Januar geworden, ein Alter, in dem andere noch die Hörsaalbänke drücken. Schon mehr als ein halbes Leben Berufserfahrung bringt er mit; aufgewachsen in einer musikbegeisterten Familie, wurde er schon früh Violoncellist im Lahti Symphony Orchestra. Bereits mit 12 bekam er Unterricht durch den berühmten finnischen Dirigierlehrer Jorma Panula, und für gleich drei Orchester ist er nun künstlerischer Leiter und Aushängeschild: das Oslo Philharmonic Orchestra, das Orchestre de Paris und – erst kürzlich bekannt gegeben – ab 2027 das Royal Concertgebouworkest Amsterdam. Auch den Münchner Philharmonikern wurde, nach der Trennung von Valery Gergiev, Interesse am Jungstar nachgesagt, nun kam Mäkelä immerhin zum frenetisch umjubelten, fulminanten Gastdirigat.
Wie er zugleich lässig und zielstrebig auf die Bühne kommt, zeigt weltläufige Eleganz und verblüffende Selbstsicherheit. Die leicht gegelten Haare und der schwarze Anzug mit Fliege sitzen perfekt. Die Ausstrahlung beginnt auch auf dem Podium sofort zu wirken, seine Gesten sind zumeist minimalistisch, mit dem Taktstock rhythmisch fordernd, mit der oft leicht abgeknickten Linken eher streichelnd, Stimmungen und Übergänge melangierend. Zu den beiden Hauptwerken hatte Mäkelä kurzfristig noch ein zeitgenössisches Orchesterwerk eines finnischen Komponisten ausgewählt.
Sauli Zinovjev, 1988 geboren, war Gitarrist in einer Rockband. Ein Videoclip des ungarischen Pianisten György Cziffra öffnete ihm die Perspektive in klassisches Musizieren, er studierte Klavier und Komposition, schließlich auch bei Wolfgang Rihm in Karlsruhe. Sein 2016 geschriebenes Orchesterstück Batteria mischt gleich mehrere Assoziationen: intensiv prasselnde (auf italienisch „Batteria” genannte) Schlagwerk-Salven, Ordnung einer Artillerieeinheit, kompakt gespeicherte Energie. Pauken, Bratschen und Celli gaben anfangs mit insistierenden Viertelnoten das Metrum vor, Bilder eines sanft schwingenden Standuhr-Pendels oder Regentropfen auf einem Metalldach blitzten auf. Immer wieder schoben sich dicht gestaffelte Klangflächen der Streicher oder von motorisch bohrender Posaunenpower dazwischen, virtuos beim Stopfen moduliert. Ein permanent pulsierender Energiefluss während des gesamten Werks: Entspannung in tonalen Akkorden ebenso wie unerbittliche, geradezu Angst weckende Episoden und Steigerungsverläufe bis zur finalen Coda, von den Philharmonikern virtuos realisiert.
Dmitri Schostakowitschs Violinkonzert Nr. 1 a-Moll wurde 1948 unter den Eindrücken der Weltkriegsjahre komponiert, aber sieben Jahre zurückgehalten, bis Stalin verstorben und die künstlerische Zensur gelockert war; in Vorahnung der Unruhen, die das Konzert in seiner Motivwahl auslösen könnte: dunkler Sog von kriegerischer Bedrohung im Nocturne, ein ambivalentes Scherzo wie gegen den Tod tanzend, die Passacaglia als Klagelied in Manier jüdischer Synagogalmusik, scheinbar burleske Fröhlichkeit gegen staatlich verordnete Volkstümelei. Bereits der Widmungsträger David Oistrach, in den Sechzigern legendärer Geigenvirtuose in Odessa, hatte anfänglich das Konzert für fast unspielbar gehalten, es aber 1955 mit den Philharmonikern in Leningrad und New York uraufgeführt.
Hat man Oistrachs technisch makellose, aber klanglich etwas stämmige Interpretation im Kopf, fiel bei Lisa Batiashvili sofort die Bandbreite dynamischer Abstufungen und Fülle klanglicher Farbschattierungen auf, mit denen sie Schostakowitschs innere Distanzierung vom politischen Umgang ausleuchtete und in einer hochgradigen Fiebermusik hörbar werden ließ. Von beklemmend und dämonisch bis zu gespenstisch und gehetzt reichte hier Batiashvilis Ausdruckspalette, mit der sie all den Widersprüchlichkeiten Kontur und Klang gab, die das Leben Schostakowitschs prägten.
Die gigantische Kadenz schließlich, die wohl mitreißendste in der Geigenliteratur des 20. Jahrhunderts, meisterte Batiashvili mit einer Energie, die nicht nur durch ihre stupende Technik, sondern auch ihre hundertprozentige Identifikation mit der Musik das atemlose Auditorium gebannt zurückließ.
Wie bei Schostakowitsch bietet auch Gustav Mahlers Erste Symphonie einiges an grotesken Derbheiten, Tänzerischem und Zersplittertem. Vielleicht bewundert Klaus Mäkelä dieses Werk besonders, weil es vom fast gleichaltrigen Komponisten geschrieben wurde, wenn auch später noch mehrfach überarbeitet. Völlig uneitel ließ er diese hypnotische Musik mit hoch aufmerksamen Philharmonikern entstehen, nahm sich dabei zurück, zog den roten Faden durch die vielen kostbaren kammermusikalischen Momente dieses Werks: wenn in der Einleitung die Natur zum Leben erwachte, freche Kuckucksrufe und weiche Hornweisen am Morgen übers Feld deuteten oder im Scherzo wienerische Weinseligkeit mit schwärmerischer Schubertscher Anmut abwechselten. Herrlich im dritten Satz ein Wiegen von Traumbildern, Bruder Jacob und Lindenbaum und eine echte Klezmer-Kapelle, die da in schrillsten Tönen zum Tanz aufspielte. So imponierte auch der Schluss des stürmisch bewegten Finalsatzes, bei aller Prachtentfaltung, nicht als reine Materialschlacht; mit superben Philharmonikern verwandelte Mäkelä den Bilderreigen zwischen Trivialem und Trauer in eine Apotheose, die mitreißender, strahlender nicht sein könnte.