Man stelle sich einen heutigen Politiker vor, der Opern komponiert! Und dies nicht nur nebenbei, sondern gleichberechtigt in einem zweiten Beruf! Agostino Steffani war solch eine Persönlichkeit. 1654 im Veneto geboren, gelangte er bereits als dreizehnjähriger Chorknabe nach München, studierte in Rom und zog über Paris, wo er Lully kennenlernte, zurück an mehrere deutsche Fürstenhöfe, an denen er nicht allein musikalisch wirkte, sondern auch als Diplomat und Politiker. Zudem erlangte er als Geistlicher die Bischofswürde.

Amber Fasquelle, Stefan Sbonnik, Dora Pavlíková, Fritz Spengler , Jakob Kleinschrot © Susanne Reichardt
Amber Fasquelle, Stefan Sbonnik, Dora Pavlíková, Fritz Spengler , Jakob Kleinschrot
© Susanne Reichardt

War dies selbst für seine Zeit eine bemerkenswerte Karriere, so ist seine Musik nicht weniger ungewöhnlich. Geistliche Musik hat er komponiert, aber vor allem fast 20 Opern, von denen sich ab und an eine auf den Spielplänen vor allem von Barockfestivals findet. Seine Opern sind immer eine Entdeckung. Nun hatte beim Festival Winter in Schwetzingen des Theaters Heidelberg seine Oper Premiere, die unter dem Titel  La libertà contenta 1693 während Steffanis Tätigkeit in Hannover herauskam und vier Jahre später in deutscher Fassung als Der in seiner Freiheit vergnügte Alcibiades an der Hamburger Gänsemarktoper. So passte sie in die Heidelberger Reihe mit Opern des deutschen Barock.

Aber als deutscher Barock kann sie eigentlich kaum gelten, vielmehr enthält sie neben italienischen noch weit mehr französische Einflüsse. Die Musik ist ungeheuer bunt instrumentiert. In Schwetzingen ließen die rund 20 Musikerinnen und Musiker des Heidelberger Philharmonischen Orchesters ihr ganzes Temperament an allerhand Arien im Stil höfisch-barocker Tänze und munteren Ensembles aus, mit Blockflöten, Tambourin, Orgel und dem Donnerblech. Steffanis Musik in dieser Oper ist ungewöhnlich reich an Klangfarben und Formen. Grandios klang dies unter der temperamentvollen Leitung von Clemens Flick mit hörbar großer Barockexpertise aus dem kleinen Orchestergraben des Schwetzinger Rokokotheaters.

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Jakob Kleinschrot (Lisander) und Dora Pavlíková (Timea)
© Susanne Reichardt

Die Titelfigur führt uns ins antike Griechenland. Und noch ein weiterer berühmter Mann aus Athen ist Figur dieser Oper: Pericles, der sich (entgegen der historischen Wahrheit) gleichzeitig mit Alcibiades in Sparta aufhält. Letzterer ist aus seiner Heimatstadt verbannt, Perikles hingegen incognito in den verfeindeten Stadtstaat gekommen. Gemeinsam mit seiner Freundin Aspasia geben sie sich als Sklaven aus. Dass auf dem Peleponnes Krieg herrscht, merkt man kaum, umso turbulenter sind die Gefühle der Figuren. Alle sind sie vielfältig in amouröse Wirren verstrickt. Nicht weniger als fünf Männer sind in dieser Oper in zwei Frauen verknallt – und zwar alle gleichzeitig. Und, wir sind noch nicht im Zeitalter der opera seria, dies ist nicht tragisch, sondern ungeheuer komisch. Unverkennbar ist diese Handlung ironisch gemeint. Man kann vermuten, dass Steffani und sein Librettist Bartolomeo Mauro die Verhältnisse am Hof von Hannover aufgespießt haben. Dort lebte der Kurfürst, wie es hier der König von Sparta auch versucht, in einer völlig offenen Dreierbeziehung. Nichts dieser Art wird in der Oper verheimlicht, offen wird sich kreuzweise angebaggert, mal begleitet von Eifersucht, meist aber mit großem Vergnügen.

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Amber Fasquelle, Stefan Sbonnik (Alcibiades), Jakob Kleinschrot, Dora Pavlíková, Fritz Spengler
© Susanne Reichardt

Tom Ryser hat dieses fröhliche Liebesspiel auf der höchst kargen Bühne von Stefan Rieckhoff recht minimalistisch (um nicht zu sagen spartanisch) inszeniert. Doch der Witz der Dialoge findet sich nur recht selten auch im Arrangement der Szenen wieder. Hinzukommt, dass die Kostüme die Figuren wenig charakterisieren; außer den König Agis mit seiner Krone. Sonst tragen sie ähnliche Kleider über den Einheitshosen und Stiefeln in Khaki beige. Auf Requisiten wurde ganz verzichtet, nicht einmal ein Stuhl steht auf der Bühne, es gibt nur einen Vorhang in der Mitte und eine Drehscheibe vielleicht als Symbol der wechselnden Beziehungen. Am Schluss macht sie Sinn, wenn alle einsam und vereinzelt sich auf ihr im Kreise drehen, während der Text verheißt, dass nämlich ohne Leidenschaft und Liebe das Leben besser sei. Aber diese Skepsis glaubt man ihnen nicht – und soll es wahrscheinlich auch nicht!

Zwischendurch hätte die Regie dem witzigen Text mehr Pepp verpassen können. Nur einmal wird es richtig gut: Da gibt es lauten Protest aus dem Orchestergraben und dann auch aus dem Publikum, wenn einer der Männer feste auf die Frauen schimpft. Man fühlt sich erinnert an Lorenzo Da Pontes Così fan tutte  und tatsächlich liegt es nahe, dass Mozarts hochgebildeter Librettist diese Oper kannte, denn auch eine Szene seines Figaro scheint hier vorgebildet, wo sich im dunklen Park die falschen Paare finden und desillusioniert sind, wenn es wieder hell wird.

Trotzdem – das jungen Sängerensemble gab sein Bestes mit dieser ungewohnten Musik und dem noch weniger geläufigen Text. Sie spielten engagiert und sangen alle wunderbar als homogenes Ensemble. Der Beifall war herzlich. Und der Repertoirewert dieser Produktion ist hoch.

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