Während Co-Leiter Francesco Corti im Oktober mit Radamisto Il Pomo d'Oros konzertante Händelopern-Geschichte in der Philharmonie Essen fortschreiben konnte, durfte Dirigenten- und Cembalokompagnon Maxim Emelyanychev zusammen mit der Primadonna des Ensembles, Joyce DiDonato, jetzt zum Abschluss einer kleineren Jahresende-Tournee erstmals ein Oratorium mit in den Krupp-Saal bringen. Nämlich Theodora, gleichsam ein dramatisches Stück und von vielen Interpreten, wie von Händel selbst, als das beste dieses Genres betrachtet. Zum Beginn der Adventszeit also eine veritable, österliche, aber moraltheologisch zudem vorweihnachtlich passende Tragödie um diese tugendfromme Christin, die sich gemeinsam mit ihrem vom Glauben bekehrten Geliebten der zum Zwecke barbarischer Verfolgung angesetzten Huldigungsprozedur des römischen Statthalters Valens widersetzt, um dafür – erst zur Prostitution gezwungen, dann eingekerkert und entkommen – im Vertrauen auf Gott und traute Erfüllung im Jenseits mit dem Leben zu bezahlen.

Joyce DiDonato (Irene)
© Sven Lorenz | TUP

Da Stammgast in Essen, entschieden sich Ensemble und DiDonato zudem dazu, den Abend auf CD zu produzieren, so dass das Publikum in den Genuss der Vollständigkeit kam, unterliegen die Opern und großen Oratorien in Coronazeiten ansonsten nochmals einigen Kürzungen. Und weil die Tournee eben durch einen Livemitschnitt festgehalten werden sollte, wartete der Cast zwecks noch expansiverer und neu-aufsehenerregender Vermarktungspolitik mit weiteren gefeierten Opernstimmen auf. Allen voran natürlich Lisette Oropesa als Titelfigur, deren singulär betrachtete exklusive Klangqualität in sämtlichen Registern – bei nicht gänzlichem Zusammengehen mit Paul-Antoine Bénos-Dijans Countertenor – das Ohr begeisterte.

Dabei ist es grundsätzlich löblich, dass auch sogenannte „klassisch“ Ausgebildete und im Romantischen Dauerrepertoire bedeutender „herkömmlicher“ Orchester- und Bühnenschlachtschiffe Verhaftete den Weg in die spezialisierte Welt historisch-informierter Barockmusik gehen, doch birgt dieser typische Gefahren. Dazu zählt trotz faszinierend farbiger Lagen- und Technikspitzenklasse zuvorderst eine Form der Ausdruckslosigkeit durch ein stilästhetisch lästiges, anforderungsfremdes (Theodora singt laut Text „licht und klar“), gleichförmiges Dauervibrato und verringertes Dynamik-Phrasierungs-Spiel. Es bewahrheitete sich, indem der standhaften, unerschrockenen, die höchsten Werte von Freiheit, Leben, Glauben und Didymus' Tapferkeit im Geschenk der Liebe hochhaltenden Theodora Elemente menschlich nähergehenden Affekts und konstante Verständlichkeit deshalb gerade fehlten.

Lisette Oropesa (Theodora)
© Sven Lorenz | TUP

Dass es auch anders geht, bewies mal wieder die Händel-erfahrene DiDonato, die trotz der Vibratostilistik einige tremolofreie Ansätze aufbieten kann und diese mit einer dynamischen, artikuliert-differenzierten, deklamatorisch bewegten Expressionslust phänomenal einzusetzen wusste, um den urmütterlichen, inniglich glaubens- und erfüllungsbeseelten Theodora-Beistand der beinahe göttlichen Christenanführerin Irene mit der einnehmend weisen Gravitas, Überlegenheit und Überzeugung des Auferstehungsgedankens wirkungsvoll auszustatten. Die beiden anderen Partien mit eigentlich post-barock definierten Stimmmustern fielen Michael Spyres und John Chest zu. Forcierte Spyres darin als zunächst opportunistischer Ja-aber-Fraktionshandlanger Valens', dann als effektiv doch Didymus unterstützender Reformistenüberläufer Septimius sein Volumen in Forte-Auswüchsen zu sehr, wohingegen er im Minderungsgebiet lyrischer Eleganz seine einfühlsame Seite ausreizen konnte, raubte mangelnde Tiefe eines eigentlich kräftig-wohligen Baritons Chest ein wenig den machtwörtlichen Autoritätsschauder des römischen Religionsfreiheitsunterdrückers, der lieber überkommenen Gesetzen und Vorstellungen anhängt.

Paul-Antoine Bénos-Djian, Michael Spyres, M. Emelyanychev, L. Oropesa, Joyce DiDonato, John Chest
© Sven Lorenz | TUP

Im wahrsten Sinne glaubhaft inspiriert beeindruckte der hingebungsfähige, weiche, galante, sehr farbenreiche, wendige Countertenor Bénos-Dijans Didymus'. In unverbitterter Rebellion stellte er rechtliche Vernunft und liebende Konsequenz auf die höchste Stufe der ausgesagten Orientierungskompetenz und Handlungsmaxime, umso mehr, je näher er alles-wird-gut strahlender dem Gefängnis, der Partnerin kam oder den Herrn anbetete. Diese Stichworte spiegelten sich im verlässlich bewundernswerten Gespür und äußerst musikalisch-technisch exakten Umsetzen des kindlich neugierigen, enthusiastisch tobenden, aber unermesslich reifen Emelyanychev und seines Orchesters des theatralischen Klangfeuers und effektpräsenten, zarten Gefühlsniederschlags. Der 16-köpfige Chor Il Pomo d'Oros, einstudiert von Tenor Giuseppe Maletto, unterstütze dies eindrucksvoll durch seine maximal bewegliche, durchaus gewaltige, als Christenvolk freigeistig-lebendige Schlagkraft und glaubensgemeinschaftliche Andacht auszeichnenden geborgenen Vertrauens und Segens.

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