Ein Maskenball – dieses Motto nimmt man mit Gianfranco de Bosios Inszenierung an der Wiener Staatsoper immer noch wörtlich: ein Bühnenbild, das an antikisierender Pracht und Farbigkeit so wirkt, als wären die Eremitage und Versailles zu Besuch in Venedig, dazu hunderte Meter Brokat für die Kostüme. Zu viel des Guten? Mitnichten, denn denkt man sich die Draperien und die Perspektivenmalerei weg, bleibt von einem Repertoireabend wie diesem nicht viel Bemerkenswertes übrig.

Mit dem Maskenball wollte Verdi ein „zartes“ Drama schaffen, und dieses selbstgesteckte Ziel hat er übererfüllt; Helles und Dunkles, Gutes und Böses halten einander dramaturgisch wie musikalisch wie die Waage, und sogar das bittere Ende kommt nicht ohne Zucker aus: Der Sterbende verzeiht seinem Mörder und die Ehre einer schönen Dame ist wiederhergestellt.

Damit geht es den Protagonisten im Ballo wesentlich besser als den historischen Vorbildern: Gustav III von Schweden wurde zwar tatsächlich bei einem Maskenball in der Oper angeschossen (1792, im Geburtsjahr Rossinis), allerdings war ihm das Glück eines fünfminütigen Operntodes nicht hold – bis zu seinem Ableben durch Blutvergiftung dauerte es noch zwei Wochen, und die Martern, die sein politisch motivierter Mörder Anckarström bis zu seiner Hinrichtung erduldete, hatten mit einem zarten Drama nichts zu tun – aber darin besteht eben die Kunst, ein Opernlibretto zu schreiben (in diesem Fall griff Antonio Somma nach Eugène Scribe zur Feder). Der echte Gustav, selbst theaterbesessen und als Opernlibrettist tätig, hätte dem vermutlich zugestimmt, auch wenn seine Liebesgeschichte mit Amelia Fiktion ist; abseits der Bühne wusste er mit Frauen nicht viel anzufangen.

Bei aller Genialität hat so ein Ballo jedoch seine Tücken, und diese wurden in der besprochenen Aufführung (der 99. dieser Produktion seit 1986) vor allem hörbar: Ramón Vargas suchte im ersten Akt seine Stimme, und bis zu seinem Bühnentod als Schwedenkönig fand er sie nicht gänzlich – in dieser Verfassung lassen sich viele ansagen – auch wenn sich diese ab dem zweiten Akt etwas besserte.

Amelia ist jene Partie, bei der sich ein Rocksänger namens Freddie Mercury in die Stimme von Montserrat Caballé verliebte, was die erste Klassik/Pop-Kooperation der Geschichte und mit Barcelona sogar einen veritablen olympischen Hit zur Folge hatte. Zum Verlieben war Elena Pankratovas Auftritt allerdings kaum. Zwar litt man bei „Morrò, ma prima in grazia“ mit, wie man das fast zwangsläufig tut, aber für die Amelia klang ihre Stimme – zumindest an diesem Abend – viel zu sehnig, zu sehr beansprucht von Elektra, Turandot und Konsortinnen.

Wesentlich erfreulicher war dagegen, was Ensemblemitglied Bongiwe Nakani als Wahrsagerin Madame Arvidson zu bieten hatte: Alle Höhen und Tiefen von „Re dell’abisso, affrettati“ kostete sie aus und fand für diese Gegensätze unterschiedliche Stimmfarben, was sie zu einer besonders interessanten Mittlerin zwischen dem Diesseits und der Unterwelt machte. In stimmlich lichten, duftigen Höhen war dafür der quirlige Page Oscar von Maria Nazarova unterwegs. Beide Damen brachten auch darstellerisch einiges an Leben auf die Bühne.

Für letzteres ist auch Roberto Frontali immer gut, auch wenn er bei seinem Rollendebüt als Graf Anckarström (Amelias beleidigter Ehemann und letztlich Mörder ihres keuschen Geliebten) zunächst verhalten begann und stimmlich nicht zu seiner Hochform auflief. Dennoch hatte er von den drei großen Partien den besten Abend und bildete mit Alexandru Moisiuc (Graf Horn) und Sorin Coliban (Graf Warting) ein sinistres Verschwörertrio; die Wandlung vom Freund des Königs zu dessen Feind kauft man ihm ohne Einschränkungen ab. Chor und Ballett sind derzeit gut in Form und erfüllten ihre Aufgabe bestens.

Unbeeindruckt von dem Umstand, dass das Liebespaar auf der Bühne nicht seinen besten Abend hatte, gab sich Giampaolo Bisanti am Pult des Staatsopernorchesters. Mit so viel Drama und dennoch delicatezza möchte man Verdi hören. Wäre Un ballo in maschera ein Fußballspiel, hätte man Bisanti zum „Man of the Match“ gekürt.

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