Nur wenige Komponisten sind so umstritten wie Richard Wagner. Selbst wenn man seinen kontroversen Charakter beiseite lässt, mit seinen ziemlich widerwärtigen politischen und antisemitischen Ansichten, spaltet seine Musik das Publikum. Der etwas größenwahnsinnige Komponist entwickelte seine Opern zu allumfassenden Musikdramen und stützte sich dabei auf sein Konzept des Gesamtkunstwerks, das Musik und Poesie mit Bühnenkunst verbindet, eine Vereinigung der Künste durch das Theater. Für die Aufführung seiner Werke ließ er sogar eigens ein Opernhaus bauen – das Bayreuther Festspielhaus.
Wagners Musik war revolutionär und beeinflusste Generationen von Komponisten. Claude Debussy unternahm zwei Pilgerreisen nach Bayreuth. Nachdem er 1877 den ersten Akt von Tristan und Isolde gehört hatte, erklärte er, dies sei „entschieden das Schönste, was ich kenne”, doch 1903 war er anderer Meinung und kommentierte, Wagner sei „ein schöner Sonnenuntergang, der mit einer Morgendämmerung verwechselt wurde”.
Obwohl andere Komponisten Leitmotive schon früher verwendet hatten, setzte Wagner sie auf eine neue Ebene. Der Ring des Nibelungen – seine epische, 15-stündige Tetralogie, die auf den nordischen Sagen über den Untergang der Götter basiert – verwendet wiederkehrende Leitmotive, die Figuren, Gegenstände, Handlungen und Gefühle darstellen.
Seine Bühnenwerke sind langatmig – Rossini witzelte: „Wagner hat einige schöne Momente, aber einige hässliche Viertelstunden” – und das allein scheint schon die Resolutheit eines leidenschaftlichen Wagnerianers zu stärken. Vielleicht hätte Rossini die Höhepunkte – die Glückssträhne – in der folgenden Playlist vorgezogen, die einige der bahnbrechendsten Musikstücke enthält, die je komponiert wurden.
1Die Walküre
Der erste Teil des Rings, Die Walküre, stürzt uns direkt in die menschliche Tragödie und den Aufruhr: Siegmund und Sieglinde – Zwillinge, die bei der Geburt getrennt wurden – verlieben sich ineinander (hoppla). Sieglindes Ehemann Hunding sinnt – nicht zu Unrecht – auf Rache. Wotan, Oberhaupt der Götter und Zwillingsvater, will Siegmund helfen, aber seine Frau Fricka, die Göttin der Ehe, verbietet es. Brünnhilde, Wotans Walkürentochter (aus einer anderen „Liaison”), rebelliert und wird schließlich bestraft, indem sie ihren göttlichen Status verliert und von einem schützenden Feuerring umgeben in den Schlaf gebettet wird. Zuvor aber liefern Brünnis acht Schwestern die „Hojotohos” im berühmten Walkürenritt.
2Tristan und Isolde
Tristan und Isolde basiert auf einer keltischen Legende und beschreibt eine zum Scheitern verurteilte Liebesbeziehung zwischen einer irischen Prinzessin, die auf dem Weg ist, den König von Cornwall zu heiraten, und dem Ritter, der sie begleiten soll. Angetrieben durch einen Liebestrank (als Ersatz für das von Isolde beabsichtigte Gift), ist das Ende von Anfang an unvermeidlich. Das hält Wagner jedoch nicht davon ab, sich vier Stunden Zeit zu nehmen, um dieses Ziel zu erreichen. Musikalisch kühn lotet Wagner die Grenzen der Chromatik und der tonalen Mehrdeutigkeit aus, insbesondere im berühmten Tristan-Akkord des Vorspiels, der erst am transzendenten Schluss der Oper aufgelöst wird, wo Isolde einen entrückten Liebestod stirbt.
3Das Rheingold
Der Vorabend, der den Schauplatz für den Ring bildet, ist ein brillantes Erzählkunstwerk: Götter, Riesen und Zwerge ringen um die Macht, nämlich um den Besitz eines aus Gold geschmiedeten Rings, der aus dem Rhein gestohlen wurde. Es endet mit einem Fluch, einem brutalen Tod und den Göttern, die die Bitten der Rheintöchter ignorieren und über eine Regenbogenbrücke in ihr neu erbautes Schloss, Walhalla, einziehen. Sie ahnen nicht, dass die Saat für ihren Untergang bereits gelegt wurde. Fortsetzung folgt.
4Parsifal
Wagners letztes Bühnenwerk versetzt uns in das Reich der Artussage und Sir Percivals Suche nach dem Heiligen Gral. Parsifal ist ein Bühnenweihfestspiel und wird von den Wagnerianern verehrt, wobei die Aufführungen in Bayreuth fast wie ein religiöser Akt empfunden werden. Gralskönig Amfortas erleidet eine unheilbare Wunde, verursacht durch den Heiligen Speer. Der Prophezeiung zufolge wird ein „reiner Narr” die Rettung bringen. Da tritt der ahnungslose Parsifal auf, der gerade einen Schwan erschossen hat (Wagner hatte ein Faible für Schwäne)...
5Götterdämmerung
Im letzten Teil des Rings wird Brünnhilde von dem wilden Strolch Siegfried aus ihrem feurigen Schlaf gerettet, der außerdem auch – das sollten wir nicht außer Acht lassen – ihr Neffe ist! Es ist eine weitere Liebe, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist, denn Siegfried ist im Besitz des allmächtigen Rings, den er aus der Horde des zum Riesen gewordenen Drachens Fafner gerettet hat. Vergessen Sie nicht, dass der Ring verflucht ist. Es endet schlimm. Siegfried wird getötet – buchstäblich in den Rücken gestochen – und Brünnhilde springt in die Flammen, eine Selbstopferung, die die Zerstörung der Götter in Walhalla und eine Kollision von mehr Leitmotiven mit sich bringt, als man sich vorstellen kann.
6Der fliegende Holländer
Wagners pikante Geschichte des Fliegenden Holländers – des Kapitäns, der dazu verdammt ist, alle sieben Jahre an Land zu gehen, um eine Frau zu finden, die ihm treu ist und den Fluch bricht – wurde durch seine eigene gefährliche Seereise von Riga, wo er vor Schulden floh, nach London im Jahr 1839 inspiriert. Die Ouvertüre zeigt einen furchterregenden Sturm, während die geisterhafte Besatzung des Holländers ausgelassen singt, und die norwegischen Einheimischen in Angst und Schrecken versetzt.
7Die Meistersinger von Nürnberg
Wagner war kein Mann für Komödien. Die Meistersinger sind nur insofern eine Komödie, als dass niemand stirbt. Die Handlung dreht sich um einen Gesangswettbewerb, bei dem der Preis die Heirat mit Eva, der schönen Tochter des Meistersängers Veit Pogner, ist. Der junge fränkische Ritter Walther von Stolzing versucht sich als Sänger, kennt aber die obskuren Regeln der Zunft nicht. Der liebenswürdige Dichter-Schuster Hans Sachs, selbst heimlich in Eva verliebt, gibt ihm Ratschläge, aber Walther singt ein neues Lied, das verwirrt, aber auch verzaubert. Nürnberg vergibt doppelte Punkte.
8Lohengrin
Seien Sie vorsichtig, wenn Sie jemanden heiraten wollen, der die fragwürdige Bedingung stellt, dass Sie ihn nicht nach seinem Namen fragen dürfen. Elsa ignoriert diesen Rat und entdeckt, dass der geheimnisvolle Ritter, der sie zu Beginn der Oper gerettet hat, sich als Lohengrin, Sohn von Parsifal (siehe oben), entpuppt, der prompt in einem von einem Schwan gezogenen Boot davonsegelt. Eine äußerst seltsame Geschichte, aber eine himmlische Musik (und das Vorspiel zum dritten Akt ist ein wahres Feuerwerk für die Blechbläser).
9Siegfried-Idyll
Siegfried mag die am wenigsten inspirierte Ring-Episode sein [Anm.: dafür gibt es einen Drachen!], weshalb sie in dieser Playlist keinen Platz findet. Stattdessen wird sie durch das Siegfried-Idyll ersetzt, ein Geburtstagsgeschenk, das Wagner für seine Frau Cosima komponierte. Es enthält Themen, die er später im Siegfried verwendet, nämlich wenn der Held den Feuerring durchstößt und die schlafende Brünnhilde erweckt. In ihrer Villa am Vierwaldstättersee wurde Cosima am Weihnachtstag 1870 von den Klängen der Musik geweckt, die auf der Treppe direkt vor ihrem Schlafzimmer erklang – ein gewagter Schachzug Wagners, der gefährlich nach hinten losgehen hätte können. Es ist jedoch ein wunderschöner Weckruf.
10Tannhäuser
Ein weiterer Gesangswettbewerb und ein weiterer Ritter auf Wanderschaft – Tannhäuser ist eine von Wagners weniger beachteten Opern. Die Titelfigur ist hin- und hergerissen zwischen der gläubigen Elisabeth und den Verlockungen der Liebesgöttin Venus. Im Ernst, hören Sie sich die berauschende Stimmung des Bacchanals auf dem Venusberg an und vergleichen Sie sie mit den frommen Pilgern... da gibt es keinen Wettstreit.
Wagner war beim Komponieren der Venusberg-Musik so aufgeregt, dass er sich regelrecht selbst krank machte. „Mit viel Schmerz und Mühe skizzierte ich die ersten Umrisse meiner Musik für den Venusberg”, schrieb er in seiner Autobiographie. „Währenddessen wurde ich sehr von Erregbarkeit und Blutsturz im Gehirn geplagt. Ich bildete mir ein, krank zu sein und lag tagelang im Bett...” Venus war eindeutig eine anstrengende Geliebte.
Bonus: Das Liebesverbot
Man würde mich auslachen, wenn ich Wagners frühe Komödie Das Liebesverbot (nach Shakespeares Measure for Measure) ernsthaft in eine Top-Ten-Playlist aufnehmen würde, aber die Ouvertüre macht ungeheuren Spaß – mein liebstes „Sie erraten nie den Komponisten dieses Stücks”-Partyspiel. Sizilianischer Schabernack mit Kastagnetten und Tamburin? Wagner is your man!