Johannes Brahms war ein Verfechter der absoluten  Musik, der traditionellen symphonischen Formen, der das Erbe Beethovens fortführte, und doch gibt es kaum einen anderen Komponisten, dessen Werke persönlicher und emotionaler sind. Sein Ringen mit dem Glauben im Requiem und den Vier ernsten Gesängen, sein Liebesbrief an Clara und Robert Schumann im Ersten Klavierkonzert, seine herbstlichen Klarinettensonaten, der Blick zurück auf sein Leben – Brahms schüttet in jeder einzelnen Komposition sein Herz aus und nimmt den Hörer mit auf eine unvergessliche emotionale Reise.

Johannes Brahms © WikiCommons | Public Domain
Johannes Brahms
© WikiCommons | Public Domain

„Habe etwas von diesem Schurken Brahms gespielt. Was für ein talentloses S….!” Tschaikowsky und Brahms (die denselben Geburtstag haben) haben sich besser verstanden, als dieses Zitat vermuten lässt. Und wer weiß, vielleicht schätzte Brahms, selbst ein kleiner Griesgram („Falls es hier jemanden gibt, den ich noch nicht beleidigt habe, den bitte ich um Entschuldigung”), die Kritik mehr, als wir glauben.


1Symphonie Nr. 4 e-Moll, Op.98

„Wie ein dunkler Brunnen ist dieses Finale; je länger man hineinschaut, desto mehr und hellere Sterne glänzen uns entgegen.” Der Kritiker Eduard Hanslick, der einer privaten Aufführung von Brahms' Vierter Symphonie auf zwei Klavieren vor der Premiere beiwohnte, war überwältigt. „Den ganzen Satz über hatte ich die Empfindung, als ob ich von zwei schrecklich geistreichen Leuten durchgeprügelt würde”, schrieb er. Es ist eine gewaltige Symphonie und in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich: Im ersten Satz gibt es keine Wiederholung der Exposition, das Scherzo steht im 2/4-Takt (und nicht im Dreiertakt), und das Finale hat die Form einer Passacaglia, die ein Chaconne-Thema aus einer Kantate von Bach aufgreift.


2Violinkonzert D-Dur, Op.77

Brahms lernte Joseph Joachim 1853 über Clara und Robert Schumann kennen, und es entwickelte sich bald eine fruchtbare künstlerische Zusammenarbeit und Freundschaft. Obwohl Brahms Joachim während des Kompositionsprozesses eng konsultierte und der Geiger nicht nur die Kadenz schrieb, sondern Brahms auch dazu überredete, die schwierigsten Solopartien zu ändern, gilt das Konzert bis heute als eines der schwierigsten Stücke des Repertoires. Joseph Hellmesberger witzelte sogar, es sei „ein Konzert nicht für, sondern gegen die Violine”. Dennoch war die Uraufführung, gespielt vom Widmungsträger Joachim, ein voller Erfolg.


3Klarinettensonate Es-Dur, Op.120 Nr.2

Brahms' kammermusikalischer Altweibersommer wurde durch das Spiel von Richard Mühlfeld, Klarinettist des Meininger Orchesters, inspiriert. Die Es-Sonate ist ein herrliches Werk, das in herbstlicher Stimmung beginnt, bevor es in einen leidenschaftlichen zweiten Satz im Stil des Ungarischen Tanzes übergeht, gefolgt von einer Reihe von Variationen. Es ist eines der schönsten Werke des gesamten Klarinettenrepertoires.


4Ungarischer Tanz Nr. 5 fis-Moll

Brahms' 21 Ungarische Tänze gehören zu seinen populärsten Werken. Sie waren ursprünglich für Klavierduo geschrieben, wurden aber später orchestriert (obwohl nur drei von Brahms selbst stammen). Der Fünfte ist vielleicht der bekannteste, ein Csárdás, von dem Brahms glaubte, er sei ein traditionelles ungarisches Volkslied, ohne zu wissen, dass es sich um eine Melodie von Béla Kéler handelt.


5Ein deutsches Requiem, Op.45

Im Gegensatz zu einem traditionellen liturgischen Requiem auf Latein wählte Brahms Texte aus der deutschen lutherischen Bibel. Sie bilden ein viel persönlicheres Testament, das seine lutherische Taufe und seinen Hintergrund widerspiegelt, aber auch sein Ringen mit dem Glauben während seiner Erziehung und seines zunehmend pessimistischen Erwachsenenlebens. Anstatt der Toten zu gedenken, suchte Brahms nach Worten des Trostes für die noch Lebenden und vermied jeglichen Bezug zu Christus. Die ersten drei Sätze der endgültigen sieben wurden – ohne großen Erfolg – am 1. Dezember 1867 in Wien aufgeführt, sechs Sätze wurden im April 1868 im Bremer Dom aufgeführt und der fehlende fünfte Satz wurde für die erste vollständige Aufführung im Februar 1869 in Leipzig hinzugefügt. Es war sein Requiem für die Lebenden, das den tief religiösen Brahms international bekannt machte.


6Symphonie Nr. 3 F-Dur, Op.90

Aimez-vous Brahms? In dem 1961 gedrehten Film Lieben Sie Brahms?, der auf einem Roman von Françoise Sagan basiert, verführt ein junger Anthony Perkins eine reifere Ingrid Bergman, nicht zuletzt indem er sie zu einem Brahms-Konzert mitnimmt. Das Poco allegretto der Dritten Symphonie zieht sich durch das Drama, die Melodie in den Celli stellt die Sehnsucht der Hauptfiguren nacheinander dar. Obwohl sie besser aufgenommen wurde als Brahms' Zweite, war die Uraufführung im Jahr 1883 für einige Zuhörer nicht gerade eine Liebesaffäre. Zischende Wagner-Anhänger störten die Aufführung von den Stehplätzen des Wiener Musikvereins aus.


7Klarinettenquintett h-Moll, Op.115

Das Klarinettenquintett ist einer der Höhepunkte der Kammermusik und kann sich mit Mozarts Quintett messen. Es wurde ebenfalls für Mühlfeld komponiert und beginnt nostalgisch, wobei das Werk häufig zwischen Dur- und Moll-Tonarten wechselt. Der Mittelteil des Adagios, auf den ein sanftes Andantino folgt, hat jedoch etwas von ungarischen Zigeunern und Improvisationen. Das Finale besteht – genau wie Mozarts Quintett – aus einer Reihe von Variationen, aber Brahms schließt den Kreis, indem er in einer Coda, die mit einem wehmütigen Seufzer endet, zu Themen aus dem ersten Satz zurückkehrt.


8Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll, Op.15

Ein donnerndes tiefes D aus der Tiefe des Orchesters, eine mächtige Spannung mit den Streichern, die in der falschen Tonart (B-Dur) einsetzen, bevor der Eröffnungssturm zu zitternden Themen führt und der Solist mit einer ruhigen, glühenden Melodie einsetzt. Die Entstehung (1854-1858) von Brahms' Erstem Klavierkonzert war ebenso eine emotionale Reise wie dieser erste Satz. Sein enger Freund Robert Schumann wurde 1854 nach einem Suizidversuch in eine Anstalt eingewiesen und starb zwei Jahre später. Brahms ehrte ihn mit den Worten „Benedictus qui venit in nomine Dominus” über seiner Skizze zum Beginn des Adagios, wobei „Dominus” ein Begriff war, mit dem Schumann in ihrem Kreis angesprochen wurde. Es war auch die Zeit, in der Brahms sich Clara näherte. Obwohl sie ihn „wie einen Sohn” liebte, waren Brahms' Gefühle für sie vielschichtiger. Das Adagio, das Clara gewidmet ist („Auch male ich an einem sanften Portrait von Dir, das dann Adagio werden soll”), ist von unsagbarer Traurigkeit, von Sehnsucht und Herzschmerz.


9Drei Intermezzi, Op.117

„Ein wahrer Quell des Vergnügens” so beschrieb Clara Schumann in ihrem Tagebuch Brahms Drei Intermezzi. Brahms betrachtete sie eher als „Monologe” für das häusliche Spiel denn für die öffentliche Aufführung, Werke, die man „langsam, in Ruhe und Einsamkeit” in sich aufnehmen sollte. Das eröffnende Intermezzo in Es-Dur basiert auf einem schottischen Wiegenlied, Lady Anne Bothwell's Lament. Es ist eine zarte Musik der düsteren Reflexion.


10Vier ernste Gesänge, Op.121

Brahms' letzter Liederzyklus basiert auf biblischen Texten, die seinen eigenen Glauben und das Fehlen eines solchen widerspiegeln. Er vollendete das Werk im Mai 1896, zu einer Zeit, als er selbst an Leberkrebs litt und einen schmerzlichen Verlust erlitt: Seine geliebte Clara Schumann war einige Monate zuvor an einem Schlaganfall gestorben. Die ersten drei Lieder (Denn es gehet dem Menschen; Ich wandte mich, und sahe an; O Tod, wie bitter bist du) befassen sich mit dem Tod und der Vergänglichkeit des Lebens, während Wenn ich mit Menschen- und Engelszungen redete einen Ausblick auf Glauben und Hoffnung gibt.