Bei der Wiederaufnahme von Billy Budd in der legendären Inszenierung von Willy Decker aus dem Jahr 2001 gab mit Gregory Kunde als Kapitän Vere ein 70-jähriger amerikanischer Tenor sein Rollendebüt an der Wiener Staatsoper. Solide in der Beherrschung des Idioms von Benjamin Brittens pittoresker und doch zutiefst psychologischer Musik, stilvoll und stimmgewaltig, schuf Kunde eine vielschichtige Figur, deren Erinnerungen an die Hinrichtung des jungen Rekruten Budd an Bord eines Kriegsschiffes wegen Anstiftung zur Meuterei und Mordes den Schluss der Oper bilden.
Beginnend mit einem scheinbar einfachen Monolog, „I am an old man...“, durchläuft Vere's jugendliches Selbstvertrauen als Anführer und Beschützer von Recht und Ordnung Zweifel und Reue. Unfähig und unwillig, das Leben des jungen Seemanns zu retten, ist Kunde's Vere am Ende ein gebrochener Mann, der Trost und Erlösung sucht. Es war eine Meisterklasse im Erzählen von Geschichten durch Gesang und Schauspiel, eine atemberaubende und herzzerreißende Vorstellung. Kundes Stimme schnitt nötigenfalls wie ein scharfes Messer durch das Orchester, doch in ruhigen Momenten sang er mit Wärme und Schönheit. Mit seiner charismatischen Bühnenpräsenz hielt er die Aufmerksamkeit des Publikums durchgehend aufrecht.
Die gesamte Oper spielt auf hoher See, und Decker inszeniert das Geschehen in einem einfachen, aber eindrucksvollen Bühnenbild mit weißem Boden und schwarz-grauen Rückwänden. Die Paneele bewegen, öffnen und schließen sich, um die oberen und unteren Decks des Schiffes und die Unterkunft des Kapitäns darzustellen. Das Meer ist im hinteren Teil der Bühne angedeutet, scheint aber fast nebensächlich zu sein. Der Fokus liegt auf dem Schiff und seinen Männern. Der Männerchor, der die dramatischen Entwicklungen kommentiert und darauf reagiert, wird mit präzisen Bewegungen geführt, um die bedrohliche und angespannte Atmosphäre eines klaustrophobischen Schiffs zu verstärken. Während die Matrosen düstere, dunkelgraue Gewänder tragen, erscheint Billy in einem strahlend weißen Matrosenanzug auf der Bühne und unterstreicht damit seinen besonderen Charakter als Unschuldiger. Er verliert bis zum Schluss nie sein Vertrauen in das Gute im Menschen, ein wahrhaft schöner, stattlicher und guter Charakter, wie er in der Oper immer wieder beschrieben wird.

Huw Montague Rendall verkörperte als Billy die Figur eines naiven und leichtgläubigen Objekts des Hasses des Waffenmeisters John Claggart. Sein schlanker Bariton brauchte einige Zeit, um warm zu werden, aber er sang mit Hingabe und Klarheit. Billys letzte Arie vor seiner Hinrichtung, weil er Claggart in einem Anfall verzweifelter Wut ermordet hatte, wurde mit klagendem Verlangen und Resignation gesungen, eine schöne Hommage an sein eigenes kurzes Leben. Die Rolle des Claggart wurde von dem wunderbaren britischen Bass Brindley Sherratt als ein Mann mit Minderwertigkeitskomplexen dargestellt, der die Schönheit und Unschuld lieber zerstört, als sie zu umarmen. Seine Arie am Ende des zweiten Aktes, die oft mit Jago's „Credo“ in Verdi's Otello verglichen wird, war eine Meisterleistung des Gesangs mit unterdrückter, aber unheimlicher Wut.
Die vielen Nebenrollen der Oper, die Offiziere und Matrosen, wurden gut gesungen, wobei Adrian Eröd als Mr. Redburn und Dan Paul Dumitrescu als Dansker hervorstachen. Ein weiterer Debütant, der Dirigent Mark Wigglesworth, leitete die virtuosen Musiker des Orchesters der Wiener Staatsoper mit tiefem Verständnis für Brittens Musiksprache. Das Meer, der Wind, das Schiff und seine Bewegungen wurden als Hintergrund für die sich entfaltende menschliche Tragödie klar artikuliert, mit dunklen Schlagzeugklängen, beredten Streichern einschließlich denkwürdiger Cello-Soli, zwitschernden Holzbläsern und bedrückenden Blechbläsern. Kurze musikalische Passagen zwischen den Szenen, insbesondere im dritten und vierten Akt, wurden mit beeindruckender Schönheit und Prägnanz dirigiert und gespielt.
Doch der Abend gehörte dem Sängertrio, das mit nahtloser Koordination und klarer Chemie arbeitete. Das unvergessliche Rollendebüt von Kunde als moralisch zweideutige Figur wurde durch das Gute von Rendall und das Böse von Sherratt verankert. Deckers zeitlose Inszenierung trug ebenfalls zu dem glanzvollen Abend bei.
Ins Deutsche übertragen von Elisabeth Schwarz.