Die Neuinszenierung von Candide am MusikTheater an der Wien ist eine schillernde Feier von Leonard Bernsteins vielfältigen musikalischen Idiomen. Unter der fantasievollen Regie von Lydia Steier stellt sich die Produktion der Herausforderung eines genreübergreifenden Werks, das Elemente des Broadway-Musicals, der komischen Oper und der europäischen Musiktradition nahtlos miteinander verwebt. Steiers Bühne ist eine lebendige Leinwand, die zwischen Puppentheater, nostalgischer Vaudeville-Ästhetik und extremem Camp oszilliert. Jede Szene ist ein visueller Wandteppich, der von stylishen Tanznummern, die an den alten Broadway erinnern, bis hin zu provokant trashigen Elementen reicht und eine faszinierende Melange von Theaterstilen schafft.
Diese ungewöhnliche Inszenierung von Candide hilft dabei, die Komplexität der Handlung, die lose auf Voltaires Satire beruht, zu durchschauen. Die Geschichte, eine boshaft-satirische Antwort auf den Optimismus der Aufklärung, folgt dem naiven Candide auf einer verhängnisvollen Reise durch eine Welt voller Katastrophen, Kriege und menschlicher Grausamkeit. Steier versteht es, eine verdrehte, märchenhafte Atmosphäre aufrechtzuerhalten und selbst die dunkelsten Momente mit einem skurrilen Charme zu versehen.
Das Bühnenbild von Momme Hinrichs verleiht dem Stück eine zusätzliche Ebene der Theatralik. Ein stufenförmiger Aufbau mit beleuchteten Rahmen erinnert an den Broadway, und die hellen, aus Pappe ausgeschnittenen Kulissen tragen zu einer visuell beeindruckenden Inszenierung bei, die das Publikum ständig daran erinnert, dass es sich im Theater befindet. Szenen mit tanzenden Kriegsveteranen, schwebenden Staatsoberhäuptern in orangefarbenen Schwimmwesten, einem alten Mann, der die Syphilis feiert, Kunigundes „Glitter and Be Gay”, das als Gangbang neu interpretiert wird, mörderische Geistliche, die tanzen, während Leichen aufgehängt werden, glitzernde Toreros in Unterhosen, die mit der Jungfrau Maria geschmückt sind (Kostüme von Ursula Kudrna)... jedes visuelle Tableau ist fabelhaft – und grotesk – unwiderstehlich!
Candide war Bernsteins Sorgenkind und die erste Aufführungsserie am Broadway war nur von kurzer Dauer. Er überarbeitete die Musik, die Struktur und das Libretto mehrfach mit Hilfe einer ganzen Reihe von Helfern, darunter Stephen Sondheim, John LaTouche, Dorothy Parker, Lillian Hellman und John Wells. Auch wenn es kein perfektes Werk ist (in der zweiten Hälfte verliert es völlig den Faden), hat Steier eine freche, frische Interpretation geschaffen. Sie scheut sich nicht vor den Herausforderungen, die das Stück mit sich bringt, sondern nimmt sie mit Enthusiasmus an und schafft ein Theatererlebnis, das Bernsteins stilistischer Flexibilität Tribut zollt und die Satire auf eine neue Ebene hebt.