Man wartet Jahre auf einen Schwan, und dann kommt eine ganze Schar. Kurz nach der Premiere von Liam Scarletts Schwanensee, gleitet David Aldens Neuinszenierung von Wagners Lohengrin herein, die erste seit Elijah Moshinskys in 1977 an der Royal Opera London, ein traditionelles Fest, das zuletzt 2009 gezeigt wurde. Aldens eintönige Inszenierung tauscht die mittelalterliche Kulisse gegen eine Dystopie der 1930er mit eindeutigen Obertönen des Dritten Reichs, aber unter der fabelhaften Leitung Andris Nelsons’ wurde musikalisch einiges gut gemacht.

Tchaikovsky war nicht unbedingt vom Ring angetan als er 1876 die Premiere in Bayreuth besuchte, aber er bezeichnete Lohengrin als „die Krone in Wagners Œuvre”. Tatsächlich erinnert das melancholische Oboenthema in Schwanensee an das Motiv, wenn Lohengrin seine Braut Elsa warnt, ihn niemals nach seinem Namen oder seiner Art zu fragen. Aber für jetzt ist es egal, woher Elsas geheimnisvoller Ritter kommt. In dieser Inszenierung stellt sich eher die Frage, wohin er kommt. Paul Steinbergs Bühnenbild sieht aus, als ob Lohengrin in einem mehrstöckigen Parkhaus mit Fundamentproblemen eintrifft, bei dem sich die Ziegelwände bedenklich zur Seite neigen. Der desillusionierten Bevölkerung des vom Krieg erschütterten Antwerpen fehlt ein Führer und sie nimmt blindlings Lohengrins Symbole an, obwohl sie nichts über ihn weiß. Elsa heiratet vor einem weißen Marmorschwanaltar und mit rot-weiß-schwarzen Flaggen mit Hakenkreuz-Schwänen gibt es Anspielungen an Nazi-Deutschland.

Das Land ist nach dem Krieg verwüstet, dargestellt durch das geschiente Bein des Heralds und einen schwachen Heinrich, der sich in seinen Hermelinmantel wickelt wie in eine Schmusedecke. Elsa wird in einem unterirdischen Gefängnis gefangen gehalten, wo sie weiß Gott welchen Bestrafungen von ihren Vormündern, Telramund und Ortrud, ausgesetzt war. Als sie des Mordes an ihrem Bruder Gottfried beschuldigt wird, werden Elsa die Augen verbunden, um dem Erschießungskommando entgegenzutreten, als Lohengrin als ihr Streiter erscheint, gekleidet in einem zerknitterten weißen Anzug. Seine Ankunft ist geschickt gehandhabt, indem der Schatten der Flügelschläge des Schwans auf die Bühne projiziert wird. Die Ziegelwände gleiten auseinander und offenbaren Lohengrin, der mit dem Rücken zum Publikum sitzt und seinem Schwan für die Reise dankt.

Es gibt den typischen Stuhl-Missbrauch Aldens im zweiten Akt und Ortrud schneidet sich den Unterarm auf bevor sie in blutroter Seide bei der Hochzeit erscheint und an Elsas Zweifel an der Herkunft ihres Bräutigams nagt. Man möchte meinen, dass das riesige Wandgemälde in Elsas Schlafzimmer – August von Heckels Die Ankunft des Schwanenritters Lohengrin in Worms, das das märchenhafte Schloss Neuschwanstein von Ludwig II schmückt – ihr den kleinsten Hinweis geben würde! Wenn sich der Vorhang zur „Scheldemündung” hebt (oder wieder zum mehrstöckigen Parkhaus), wirft Alden die Streitkräfte Brabants plötzlich in pseudomittelalterliche Rüstungen, während Heinrich einen Zusammenbruch erleidet und sich an seiner Krone festhält als Lohengrin seinen Namen und seine Art preisgibt. Die Auflösung funktioniert gut, die Flaggen fallen zu Boden als Ortruds Zauber gebrochen wird und der junge Gottfried steigt empor, um Lohengrins Schwert zu ergreifen und es wie Arthurs Excalibur zu schwingen.

Der Meister des Abends, Andris Nelsons, entlockte dem Orchester der Royal Opera ein leuchtendes Spiel. Das Vorspiel zum ersten Aufzug – eine Beschwörung des Grals – wurde bei geschlossenem Vorhang gespielt, wobei die Lichter im Haus halb beleuchtet waren, dazu hauchdünn schimmernde Streicher und eine wunderbar abschattierte Dynamik. Abgesehen von ein paar abgeschnürten Trompeten hinter der Bühne waren die Covent Garden-Blechbläser höchst diszipliniert, überschwänglich im Vorspiel zum dritten Akt. Der Chor war in umwerfender Form, jubelnd beim Anblick des Schwanenboots.

Klaus Florian Vogt wird immer die Meinungen spalten. Sein Tenor ist ein äußerst ungewöhnliches Instrument – schön, flötengleich. Sein Timbre passt besser zu Tamino als zu den traditionellen Heldentenören. Aber Lohengrin ist seine Paraderolle; seine zwei großen Erzählungen sind dünn orchestriert, sodass er mit seinem reinen weißen Ton davonkommt, aber es überraschte mich, wie sein Tenor mit Stärke selbst im Ensemble durchbrach. Abgesehen von einigen nasalen Noten, war seine Gralserzählung bewegend, das Diminuendo bei „Taube” war wundervoll kontrolliert.

Als Ersatz für die ursprünglich angekündigte Kristine Opolais, meisterte Jennifer Davis glaubhaft den größten Abend ihrer Karriere. Nach einem verständlich nervösen Start blühte die Elsa des ehemaligen Mitglieds des Jette Parker Young Aritist Programms auf, mit perlendem Ton und aufrichtig dargestellt. Georg Zeppenfelds dahinfließender Bass war ganz zu Beginn im oberen Register etwas angespannt, aber es passte zur unköniglichen Darstellung, die ihm Alden verpasst. Thomas Johannes Mayers Telramund war ein echter Kraftmeier, physisch und sängerisch, ein gezeichnetes Timbre, das Probleme hatte, abzuliefern. Christine Goerkes Ortrud war hingegen wahrhaft überwältigend, mit einer stürmischen Darbietung, die mehr gesungen als gekreischt war.

Wenn er nach den Vorstellungen letztendlich zum Gral zurückkehrt, um ihm zu dienen, kommt Lohengrin im Herbst „nach Hause”; es ist dies eine Koproduktion mit der Opera Vlaanderen, also wird Lohengrin tatsächlich im Oktober in Antwerpen anlegen. Wie viele Schwäne es braucht, um Aldens Ziegelwerk an die Scheldemündung zu ziehen, ist eine andere Frage.

 

Ins Deutsche übertragen von Elisabeth Schwarz.

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