Wie Sprache ist auch Tanz, besonders klassisches Ballett, ein codiertes System, das oft auf die körperliche Übermittlung von einer Generation zur nächsten angewiesen ist. Sprache entwickelt sich, und Gleiches gilt für den Tanz, doch wo Sprache einer Übersetzung bedarf, ist Tanz ungebunden. Für Archivare, Lehrer und Ausführende, ja, doch nicht für das Publikum, das, ungleich dem Leser, sich nicht um die „Dus“ und „Sies“ sorgen muss, sondern sich nur darauf konzentrieren kann, welche Eindrücke die Schritte in unserer Vorstellung hinterlassen. Und so ist Alexei Ratmanskys zeitgenössische Neuinszenierung von Marius Petipas Paquita (1847) besonders fesselnd anzusehen.

Das grundlegende Alphabet des Balletts bleibt unverändert, doch die Aussage seiner Phrase, die Konstruktion seines Satzes, wenngleich erkennbar, wurde doch deutlich verändert. Drei Elemente heben sich sofort deutlich hervor: der Gebrauch von Raum, Ausarbeitung der Pantomime und die allgemeine Romantisierung des Stils. Projektion ist hier intimer beinhaltet, in der raschen Bewegung eines Kopfes, dem Schwung eines Beins, dem subtilen Streicheln der Füße, die Arbeit des Handgelenks. Die erweiterte und detaillierte Pantomime-Szene erscheint weniger wie ein archaisches Erbe, sondern eher wie ein verzaubertes Geschichten-Erzählen.

Als Paquita die Inschrift auf dem Grabstein betrachtet, folgt sie jeder Zeile, leitet unsere Augen mit ihren Fingern. Doch vor allem war die Interpretation, besonders die der beiden Solisten, äußerst musikalisch und so ausdrucksvoll umgesetzt, dass man das Gefühl hatte, man höre sie sprechen, und fühle die Emotion und die Intention hinter dem Gesprochenen, anstatt seine visuelle Manifestation zu beobachten. Das Bühnenbild ist, besonders im ersten Akt, natürlich, geräumig, doch anstatt die Bühne zu verschlucken erhält es eine größere Dimension, und die Landschaft wird ebenfalls Teil der Handlung.

Und doch war ich noch faszinierter davon, wie der neue „alte Stil“ den Grand Pas im zweiten Akt transformierte. Wir sehen den Grand Pas oft als großes Manifest des Klassizismus, ein Zur-Schau-stellen von virtuoser Technik und meisterhafter Souveränität: formelle, unnachgiebige Präsenz. Als Paquita im Grand Pas zum ersten Mal mit abwechselnden Kicks nach vorne und doppelten Drehungen auftritt, endet Ratmanskys Überarbeitung nicht in einer Bravourposition, sondern wechselt unmittelbar die Richtung zur nächsten, nutzt alle vier Ecken der Bühne.

Das Muster und das Gefühl von beständiger Bewegung lässt vielmehr einen Wirbel der Emotionen vermuten als technische Meisterleistung. Und der Grand Pas entwickelt sich weiter in diese Richtung. Alle tieferen Beugungen und rundlichen Linien schienen wie ein in Ohnmacht fallen. Wie der Herr sich zu seiner Ballerina positioniert – neugierig, bewundernd – und nicht einfach hinter ihr haucht so der romantischen Unterhandlung des Adagio von Einheit, von Heirat, Leben ein. Wie im ersten Akt gibt es auch hier viel attitude. Weniger hohe Beine und weichere Winkel geben den Oberkörper frei, um – in Übereinstimmung mit dem romantischen Stil – sich nach oben zu heben, als tränke er den Nachthimmel. Und wenn die offensichtlicher technischen Bewegungen folgen – rasche piqué Pirouetten in der Diagonalen, eine dichte Serie von Ballons die Seite hinunter – drehen sie sich weniger um das technische Zur-Schau-Stellen, sondern um das Zigeunermädchen, das zu einer Aristokratin heranwächst.

Dies sind natürlich schwerwiegende stilistische Eingriffe, und obwohl die Tänzer des Staatsballetts vollen Einsatz zeigen, scheint der Stil oft pflichtbewusst erlernt, nicht intim lebendig. Arme und Taillen atmen nicht immer mit dem sphärischen Raum der Körper. Und doch sah man sehr gute Leistungen von Adam Zvornar im pas de trois, Severine Ferrolier und Alisa Ascetina in den Grand Pas-Variationen und ganz besonders von Daria Sukhorukova als Paquita. Sukhorukova, Vaganova-Schülerin und ehemalige Mariinski-Tänzerin, bewegt sich ästhetisch auf einem anderen Niveau – jede attitude saß wunderbar.

Besonders genoss ich ihr Solo an Lucien im ersten Akt. Der Großteil dieses Solos bewegte sich mit Bodenkontakt, doch die komplexe Verbindung von Geschwindigkeit und Grazie erschufen die Illusion des Fluges, als schwebe die Ballerina auf Zehenspitzen über den Skalen der Musik. Die Relation der Dynamik (und alles dazwischen) des Tanzes – schnell gegen langsam, Leichtigkeit gegen Gewicht, ermöglicht durch den gemäßigten metronomischen Schlag der Choreographie – zeigte sich auch deutlich in Sukhorukovas Interpretation sowie Tigran Mikayelyan's Lucien. Er hat zwar weniger zu tun, doch er unterstützt sie mit ritterlicher Anmut, gestaltet die Pantomime wortgewandt und mit Leichtigkeit, und die zahlreichen Sprünge gelingen ihm mit reiner Akkuratesse.


Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.

****1