Die letzte Inszenierung von Debussys Pelléas et Mélisande für die Welsh National Opera stammt von Peter Stein, dirigiert von Pierre Boulez, und beinhaltete ein Schaf (es gab zwei – Blodwen und Bronwen – die sich abwechselten!) sowie einen Schwarm unartiger Tauben. Mélisandes Haar war neun Fuß lang. In der aktuellen Produktion von David Pountney unter der Leitung von Lothar Koenigs in unnachgiebig Wagnerianischer Art, gibt es einen skelettierten Stahlturm mit Wendeltreppe (geborgt aus Lulu desselben Regisseurs), ein Planschbecken und einige Männer mit Tiermasken, auch geborgt aus Lulu, wozu diese Interpretation generell eine frappierende Ähnlichkeit besitzt. Der Turm ist nicht das einzig skelettierte auf der Bühne: ein riesiges Skelett mit grinsendem Schädel und hängenden Knochenarmen nimmt den Großteil der Wendeltreppe ein, als brauchten die Sänger – und das Publikum – eine Erinnerung daran, dass wir alle eines Tages sterben werden.

Die beste Leistung in einer starken Besetzung kam von Christopher Purves als Golaud, gekleidet wie Philip II in spanischem Schwarz und Silber. Dieser seiner Frau gegenüber gewalttätige Brudermörder wurde zum sympathischsten und rundesten Charakter der Oper. Purves' wunderbarer Bariton liebkoste Debussys Melodielinien auf eine Art und Weise, wie ich es noch nie zuvor gehört hatte, und die Golauds Dilemma, als er seine Frau von seinem Bruder verführt sieht, ergreifend und bewegend. Seine erste Begegnung mit Mélisande, die aus einer Plazenta-ähnlichen Ganzkörperhülle herauskroch, nachdem sie von einer merkwürdigen Bestie mit Stierkopf und wehendem Mantel im Wald abgeworfen wurde, war voller Zärtlichkeit und Besorgnis. Jurgita Adamonyté, die im Frühling bereits Hänsel für die WNO sang, gab eine hellstimmige Mélisande, mit einem Gebaren, das flirtend begann und gierig endete, mehr Lulu als die übliche, erschreckte, ungeschickte Figur, die sowohl Krone als auch Ehering in der omnipräsenten Wasserpfütze verliert.

Der alte König Arkel (stämmiger als gewöhnlich) wurde von Scott Wilde gesungen, der ihn als robustesten und gesündesten Bewohner des Schlosses darstellte, und sein erster Auftritt (zu Musik, die klingt, als käme sie direkt aus Parsifal, das Werk, dessen Vergleich mit seinem eigenen Debussy am meisten fürchtete) war ein wundervoller Game of Thrones-Moment, komplett mit Thron. Seine Schwiegertochter Geneviève, gesungen von Leah-Marian Jones, war eine weitere Game of Thrones-Figur in juwelenbesetztem Kopfputz und enganliegendem Gewand, die die distanzierte Mutter der beiden Prinzen wärmer erscheinen ließ, als sie oft gezeigt wird. Pelléas sang der naive, unbezähmbare, knabenhafte Jacques Imbrailo, mit allem nötigem Charme und aller nötigen Unschuld, die ihn so verletzlich gegenüber Mélisande verwirrt uneindeutigen Botschaften machen.

Mélisande schien dem Charme der Arkel-Familie nichts entgegenzusetzen zu haben: am Ende des Abends war sie schwanger von Ihrem Ehemann Golaud, genoss ein Treffen der Selbstbefriedigung mit Pelléas, als er mit dem Rücken zu ihr am Fuße ihres Turmes saß; balgte sich in nassen Kleidern mit einem ebenso klatschnassen Arkel und spielte sogar ein zweideutiges Spiel mit dem wissenden, kecken und anstößigen Yniold, der sich wie ein ungezügelter Cherubino benahm, sobald sein Vater Golaud ihm den Rücken kehrte. Nur Pelléas und Golauds abwesender Vater, Genevièves Ehemann, schienen ihren Angriffen zu entkommen, als sie ihre Lulu-ähnliche Runde im Schloss machte, und man mochte sich mit viel Phantasie vorstellen, dass ihr Verhalten an seinem Bett die Genesung des Vaters begünstigte.

Lichteffekte trugen viel dazu bei, die unzähligen Szenenwechsel zwischen Wald, Brunnen, Schloss, Meereshöhle, Brüstung und Krankenzimmer zu bewältigen. Ein sternbedrucktes Tuch wirkte Wunder darin, den sternklaren Himmel zum Leben zu erwecken, obwohl Sonnenauf- und -untergang nichts waren im Vergleich zu Steins gleißender Sonnenscheibe vor zwanzig Jahren. Das Wasserbecken warf kräuselnde Reflexionen nach oben, stellte jedoch auch eine Gefahr für die Gesundheit der Sänger dar, als sie in zunehmend durchweichten Kostümen umherplatschten, bis zu den Knöcheln in nicht unbedingt dem saubersten Wasser, das sie dann über ihre Köpfe und in ihre Gesichter schütteten, und es dann wie Sprühnebel wieder ausspien. Es schien, als wäre die primäre Gefahr in Arkels Schloss nicht die namenlose Malaise und Ennui, die einen jeden in Maeterlincks Schauspiel befallen hat, sondern eine gute, altmodische Erkältung.

Die letzte Szene wurde geschmückt von einem Arzt (gesungen von Stephen Wells), der das absolute Ebenbild Claude Debussys war, ganz so, als hätte der Komponist in seinem eigenen Werk aufgetaucht, um zu sehen, was aus seinen Werken geworden ist. Arkel führte den Vorsitz, Golaud leckte seine Wunden, Mélisande saß in einem Krankenhausbett, scheinbar unwissend, dass sie gerade eine Tochter geboren hatte, deren Schicksal es schien, der gleichen, schrecklich schiefen Bahn zu folgen (und nein, Untertitel aus, „Es ist schrecklich“ ist keine angemessene Übersetzung von Arkels „C´est terrible“).

Am Ende verdeckte das Gewicht und der Ernst von Koenigs Dirigat mehr, als dass es die feinen Texturen in Debussys Musik heraushob, erlaubte den Sängern jedoch dennoch den Raum, ihre Stimmen ungehindert miteinander kommunizieren zu lassen. Dies war nur eines von vielen Paradoxen in dieser seltsamen und letztlich unbefriedigenden Inszenierung.



Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.

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