Neue Opern sind in Australien so selten wie ein weißer Rabe. Als die Subventionen der Regierung stetig schrumpften, nahm auch die Abenteuerlust – besonders die der nationalen Opera Australia – ab. Daher müssen zwei Wagnisse der OA 2015 gelobt werden, sowohl für ihre Neuartigkeit als auch für die Rolle, die sie darin gespielt haben, ein breiteres Opernpublikum anzusprechen.
Zuerst gab es die Fernsehoper The Divorce von Elena Kats-Chernin, gespielt über vier Abende auf ABC wie eine Seifenoper. Und dann ist da The Rabbits, ein Festivaltourist seit letztem Februar und jetzt auch beim Sydney Festival zu sehen, initiiert von OAs künstlerischem Leiter Lyndon Terracini, aber komponiert von Crossover-Königin Kate Miller-Heidke, die auch in einer Hauptrolle zu sehen ist. Sie erhielt ihre klassische Ausbildung in Queensland, hat aber auch vier Platin-Pop-Alben vorzuweisen, zudem Gesangsauftritte an der Met in The Death of Klinghoffer und an der English National Opera. Terracini – ein bedeutender Bariton, der sich seinerzeit vorwiegend zeitgenössischer Werke angenommen hat – wurde für seine Kompaniestrategie kritisiert, die zunehmend von Verdi, der glamourösen Handa Opera on the Harbour und einem jährlichen Musical abhängt. 2015 hat gezeigt, wie er still sein Bestes tat, um Oper dort zu positionieren, wo ein Publikum überrascht sein mag, sie zu finden.
Das Leben von The Rabbits begann 1998 als Kinderbuch, geschrieben von John Marsden – einem Mann mit 3 Millionen verkauften Büchern auf dem Autorenkonto – und illustriert von Shaun Tan, der seitdem selbst erfolgreich im Bereich Buch und Bühne (im Theater wie im Film) als Designer ist. Das Buch wurde bereits 35 Mal neu aufgelegt, was außergewöhnlich ist für eine der simpelsten Allegorien über die Kolonisation Australiens (oder jedes anderen Landes, in dem es Ureinwohner gab): Millionen Kaninchen sind die Briten und eine schwindende Zahl von Beuteltieren die belagerten Einheimischen.
Reagiert das Publikum deswegen so enthusiastisch auf die Oper, wie es das zweifelsohne auf die politische Allegorie getan hat? Oder auf die ernsten Gefühle um die Gestohlenen Kinder der Beuteltiere? Auf die gemischte Musik der Ram-ta-tam-Oper für die Häschen, auf Lloyd-Webbereskes für die einheimischen Beuteltiere und ihre eigenen, einzigartigen Koloraturen für Miller-Heidke als der Erzähler Vogel? Oder ist es die Optik von Shaun Tans Design, verstärkt von Bühnenbildnerin Gabriela Tylasova, die konstante Augenfreude und interpretative Hilfe für ein Publikum bietet, in dem auch Kinder ab acht Jahren sitzen?
Tan initiierte diese Vorherrschaft ohne Zweifel. Seine düsteren und zusehends industriellen Schauplätze und seine knuffigen Numbats und aufgeblasenen, dickbäuchigen Kolonial-Hasen kamen direkt vom Buch auf die Bühne. Bündeln. Und Regisseur John Sheedy gab der Produktion emotionale Elemente bei, beispielsweise Bänder, die aus einem leeren Himmel fallen, nachdem die Beutlerjungen auf Drachen außer Sichtweite getragen werden, über die Totenklage ihrer Mütter hinweg, die die assimilatorische Zusicherung „One day your children will become Rabbits too.“ vehement ablehnen.
Unterschiede zwischen den beiden Stämmen werden früh etabliert. Während die Beuteltiere in einer überlangen Sequenz eine Traumzeitgeschichte über Echsen erzählen, die mit den Worten „The land lives and the lizard learnt to fly“ endet, kommt der erste Hasen in Gestalt einer Wissenschaftlerkarikatur (Kanen Breen) an, in einem verrückten Heath-Robinson-Gefährt von einem Sträfling (Christopher Hiller) geschoben, und die Echse wird geschnappt und ein Probenglas gestopft. Schade, dass Beuteltier David Leha den Wissenschaftler nicht an Ort und Stelle aufgespießt hat, bevor ein ganzer Mob von quengelnden Briten mit dem Schiff ankam und im Namen des Reiches die Führung übernahm!
Eines wenig wirkungsvollen Speerkampfes zum Trotz ist die Bühne bald mit rauchenden Schornsteinen, flatternden Flaggen und eingeflogenen Hochhäusern geschmückt – Alkohol für die Eingeborenen, Tee für die Oberschicht. Robert Mitchell hat das Ruder in der Hand und genießt seine ichbezogene Flucht aus dem Chor der OA, mit dem er 110 Opern gesungen hat! Jessica Hitchcock ist sein beuteltierisches Gegenüber, das Seelenhöhen traf und am Ende mit ihrem „The land is bare and brown and the wind blows empty across the planes“ eindrückliche Erinnerungen schuf, als die beiden Stämme sich der ausgedörrten Gegenwart stellen und nur sie selbst und der Sträfling zurückbleiben, um eine Zukunft zu zaubern.
Kate Miller-Heidke andererseits schuf sich selbst Probleme. Die Musik ihres Vogels ist musikalisch so intensiv, dass in ihrer wichtigen Rolle als Erzähler die Wortdeutlichkeit oft hinter ihrer Musik zurückblieb. Die Botschaft der Show jedoch kam ein ums andre Mal unterhaltsam durch. Ob das für Maori in Neuseeland, Bantu in Südafrika oder First Nations in Nordamerika funktionieren wird, ist ungewiss. Selbst ich bin mir nicht sicher, ob das Finale der lebendigen, fünfköpfigen Band im Klezmer-Modus andeuten sollte, das Nachkriegsmigration aus Südeuropa und dem östlichen Mittelmeerraum eine Art politischer Lösung war, oder nur dem Zwecke diente, den Applaus zu melken!
Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.