Das Erste, was man über Die Eroberung von Mexico wissen muss: sie hat nichts mit Mexiko zu tun. Wolfgang Rihm nannte seine Figuren 'Cortez' und 'Montezuma', und in der Vergangenheit haben Inszenierungen dieser Oper (entstanden 1991) dieses angebliche Thema reflektiert. Das Werk aber ist essentiell eine Erkundung von Konflikt und Dialektik. Wie interagieren gegensätzliche Kräfte? Nehmen sie Bestandteile der jeweils anderen in sich auf? Erschaffen sie etwas Neues? Zerstören sie einander?

Das klingt abstrakt? Ist es auch. Rihm stellte Ideen und Texte von Artaud und Octavio Paz zu einem Libretto voller wunderschöner, zweideutiger Zeilen zusammen. Regisseur Peter Konwitschny hat den Gedankenstrich im Herzen der Oper als Aufeinandertreffen von Frau und Mann interpretiert.

Trommeln verkünden den Auftritt eines Mannes. Eine Frau sitzt im Wohnzimmer, wartet. Der Mann tritt auf, trägt Blumen, doch seine übereilten körperlichen Avancen verärgern die Frau. Nichtsdestotrotz haben sie sich in der nächsten Szene in einer gewissen Häuslichkeit niedergelassen. Ihr ungewöhnliches Liebesspiel zieht eine Menge Schaulustiger an, die den Mann schließlich zunächst zum körperlichen Kampf mit der Frau und dann in eine Midlife-Crisis drängen. Er erwirbt einen roten Sportwagen und nimmt das Angebot der Frau, eine Schar Tänzer, nur mit einem Goldblatt bekleidet, an. Im nächsten Bild ist die Frau schwanger. Junge, Mädchen, Neutrum? Neutrum: sie gebiert die virtuelle Welt (Mobiltelefone, Laptops und Tablets). Projektionen zeigen die Faszination der Figuren mit der Technologie. Ihre Videospiele werden brutal, stellen den realen Kampf der vorherigen Szene nach. Schließlich hat die Frau genug der Abschottung. Sie zerstört ihre Kinder – abgesehen von einem Laptop, der vom Mann sorgsam gehortet wurde. In ihrer Wut auf die Frau zwingen sie die anderen in ein Hochzeitskleid. Doch sie weigert sich, sich an den Mann binden zu lassen, lässt eine Puppe an ihrer statt zurück und schleicht sich davon. Als der Mann endlich von seinem Bildschirm aufsieht und bemerkt, dass sie gegangen ist, zerlegt er die Puppe verärgert in Stücke und schneidet sich die Pulsadern auf. Als er verblutet ist, in Dunkelheit, singen der Mann und die Frau von „unerschöpflicher Liebe, drohendem Tod“.

Konwitschnys Inszenierung beinhaltet süße Verweise auf den anzunehmenden Handlungsort (die Kalender-App beispielsweise gibt das Jahr als 1519 an), doch die Entsprechungen zwischen der Bühnenhandlung und Rihms Worten und Klängen gehen viel tiefer. Der scheinbar chaotischen Gegenüberstellung von Text über Geburt, Tod, Leben, Winde, Pferde, Meteoren und dergleichen mehr wird in der Handlung, die Konwitschny geschaffen hat, Sinn und Motivation gegeben. Die Inszenierung wurzelt ebenfalls in der Musik. Es scheint oft, als wäre Rihms Musik voll bizarren Keuchens, stimmloser Konsonanten, rhythmischen Klopfens und singender Sägen exakt für diesen Abend geschrieben worden. Das gilt sowohl für die brutalen als auch die ruhigen Momente, und es repräsentiert eine unglaubliche Leistung der Kreativität und regietechnischen Gefühls vonseiten Konwitschnys.

Es gibt etwas Sicheres im Klang einer Oper, die aus dem Orchestergraben tönt. Die Eroberung von Mexico ist nicht sicher, und der Klang kommt von überall um einen herum. Vorab aufgenommener Chorgesang und die Verstärkung verschiedener Stimmen kommen aus Lautsprechern, die in der Felsenreitschule verteilt sind. Perkussion, Hörner und Sägen sitzen auf Plattformen zu jeder Seite des Publikums. Der Bewegungschor (der auch schreit und knurrt) eröffnet die Vorstellung, im Publikum sitzend und außergewöhnlich gut versteckt zwischen den Opernbesuchern in ihren dunklen Anzügen. Es ist erschreckend und aufregend, als sie plötzlich aufstehen, zu schreien beginnen oder über Wände springen, um auf die Bühne zu stürmen. Dirigent Ingo Metzmacher gelingt es irgendwie, all diese verstreuten Gruppen von Musikern (des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien) zu koordinieren. Ihr Spiel (und sogar das Schreien und Schnaufen) ist immer absolut präzise, und Rihms Musik gleitet trotz ihrer oft chaotischen Struktur nie in bloßes Geräusch ab.

Auch die Sänger halten Struktur in ihren wild ausscherenden Vokallinien und ihrer intensiven Bühnenaktion. Angela Denokes Montezuma besitzt einen dramatischen, direkten Sopran, der ihren Charakter und ihre Emotionen ausdrucksvoll kommuniziert. Ihr gegenüber steht Bo Skovhus als Cortez, welcher der bereits beträchtlichen Herausforderung seines Parts noch die Herausforderung surrealistischer körperlicher Spasmen hinzufügt. Seine Herangehensweise gleicht der Denokes in ihrer Direktheit; er singt solide und geradeheraus. Beide Stimmen tragen über den großen Veranstaltungsraum und behalten dabei eine natürliche, gesprochene Qualität. Montezuma wird wunderbar von einem voll klingenden Alt (Marie-Ange Todorovitch) und einem glockenreinen, unmenschlich hohen Sopran (Susanna Andersson) unterstützt, die mal aus dem Graben singen, mal auf die Bühne klettern, um sie zu bedauern und ein paar Shots mit ihr zu kippen. Die zwei „Sprecher“ (Stephan Rehm und Peter Pruchniewitz), die Cortez unterstützen, meistern ihre vertrackten Rhythmen und ihr kehliges Knurren mit Akkuratesse und Gefühl.

Rihms Musik und Konwitschnys Vorstellung haben zusammen etwas Außergewöhnliches geschaffen, das gleichzeitig abstrakt ist und konkret, herausfordernd und zugänglich, überraschend und bekannt, aufregend und verstörend. Wenn dies eine mögliche Zukunft der Oper ist, so ist dieser Weg des Beschreitens wert.



Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.

*****