Siegfried wird oft als das „Scherzo“ des Rings bezeichnet. Die Oper ist nicht nur ziemlich zügig, sondern hat auch ihre eigenen Momente von Leichtfertigkeit, ob gewollt – Siegfrieds Versuch, mit dem Waldvogel zu kommunizieren – oder nicht („Das ist kein Mann!“). Frank Castorfs „postdramatischer“ Ansatz gibt dem Drama weitere ironische Ebenen, nicht zuletzt in seiner kontroversen Einführung einer Familie mechanischer Krokodile in der letzten Szene. Auf einer Seite ist das vielleicht seine unverfrorenste Deflation einer der sublimsten Passagen im ganzen Zyklus, wenn Siegfried dem Papa-Kroko unbekümmert Brot samt Korb füttert, während ein anderes den armen Waldvogel in einem Haps mit Haut und Federn verschlingt. Doch man kann Methode in dem Wahnsinn sehen als Zeichen dessen, dass der Held weder Furcht noch Bindung gelernt hat – er scheint mehr daran interessiert, den Waldvogel zu retten und ihrer leicht zu habenden Gunst zu verfallen als Brünnhildes Heiratsangebot.

Der letzte Vorhang war Einsatz für die erste Salve von Buh-Rufen während dieser Vorstellung des Zyklus, doch was immer man auch von dieser letzten Szene halten mag, was davor kam bot reichlich Stoff zum Nachdenken: Siegfrieds „Bär“ im ersten Aufzug als menschliche Pantomime, wie ein Sklave angebunden und gezwungen, beim Schmieden zu helfen; das Showgirl Waldvogel im zweiten Aufzug, von der großen Last eines Paradiesvogelkostüms in einen sprichwörtlichen Käfig gesperrt; das Aufeinandertreffen von Wotan/Wanderer und Erda im dritten Aufzug, das ihre lustvolle Beziehung aus dem Rheingold über Spaghetti und Wein wiedererweckt. Dies sind nur einige wenige Beispiele davon, wie Castorf seine Thematik von Ausbeutung und Materialismus den Zyklus hindurch entwickelt. Der Handlungsraum für Siegfried – in einem weiteren von Aleksander Denićs atemberaubenden Bühnenbildern – bewegt sich zwischen einer Parodie des Mount Rushmore, auf dem die amerikanischen Präsidenten von kommunistischen Ikonen (Marx, Lenin, Stalin und Mao) ersetzt wurden, und einem Nachbau der U-Bahn-Station Alexanderplatz im kommunistischen Ostberlin. Der Strom der Geschichte ist ein elementarer Bestandteil der Gesamtkonzeption, und mehrere Verweise können wahrscheinlich nur gebürtige Deutsche verstehen – ein deutscher Freund sagte mir beispielsweise, dass der Berliner Zoo im Krieg bombardiert wurde und danach Krokodile in das U-Bahn-Netzwerk ent- und am Alexanderplatz wieder zu Tage gekommen sind.

Siegfried ist der Punkt im Ring, an dem der Schicksalsstab von Wotan an Siegfried übergeht, vom Gott zu den Menschen. Und so sagten wir Lebwohl zu John Lundgrens meisterlichem Wanderer, dessen Interpretation der Rolle so eindrucksvoll und vielfältig ist, wie man es heute nur hören kann, und hießen den jungen Helden in Gestalt von Stefan Vinke willkommen. Wie von Castorf als wildes Mann-Kind konzeptioniert, spielte Vinke diese Rolle gekonnt und sein Gesang hatte sowohl Kraft als auch Ausdauer – ich kann jedoch nicht sagen, dass ich mit seinem eher einfarbigen Timbre warm geworden bin, das auch die Worte ihrer Durchschlagskraft beraubte. Catherine Fosters Brünnhilde war hinreißend in ihrem klanglichem Reiz und ihrer scheinbarer Leichtigkeit mit dramatischer Projektion von musikalischer Linie und musikalischem Charakter. Nadine Weissmanns Erda war stimmlich so üppig wie zuvor und Albert Dohmens Alberich verband Bedrohung mit Leidenschaft. Andreas Conrads Mime war unauffällig, doch Karl-Heinz Lehners Fafner brüllte überzeugend (kein Drache hier) und Ana Durlovski zwitscherte verführerisch als Waldvogel.

Die leichtfüßige Musik in Siegfried passte besonders gut zu Marek Janowskis Wagner-Stil und seine analytische Detailgenauigkeit half, die stilistische Lücke zu überbrücken, die man oft zwischen dem zweiten und dritten Aufzug verspürt (die Unterbrechung, in der Wagner Tristan und die Meistersinger komponierte). Stimmung und Atmosphäre wurden sorgfältig gestaltet und die Leidenschaften mit unerschütterlicher Energie im brennenden Spiel des Festspielorchesters entfesselt.

 

Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.

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