Die Struktur von Ouvertüre – Konzert – Symphonie ist beinahe genauso alt wie die Praxis der symphonischen Konzerte selbst. Für ihr Programm von Brahms, Schubert und Strauss entschieden sich der kanadische Dirigent Yannick Nézet-Séguin und das London Philharmonic Orchestra, diese Reihenfolge etwas umzustellen und das Konzert die erste Programmhälfte einnehmen zu lassen.
Wenn es sich bei dem Konzert um Brahms' Zweites Klavierkonzert handelt, ist nur verständlich, denn das monumentale viersätzige Werk verspricht beinahe eine Stunde Aufführungsdauer. Die Interpretation jedoch war keineswegs schwerfällig; Nézet-Séguin und Solist Lars Vogt präsentierten eine glatte, kompakte Version, die statt der Pracht vielmehr die Klarheit des Werkes betonte. Dies war nirgends deutlicher als im gigantischen ersten Satz, der nahezu ein Drittel des ganzen Konzertes ausmacht. Vogt spielte bemerkenswert rein, was jedoch bisweilen auf Kosten der Lyrik ging. Er arbeitete den Fluss der Musik brillant heraus, und Nézet-Séguins Orchester beantwortete dies mit eigenem, prächtigem Schwung. Mir fehlte allerdings ein wenig die schiere Masse in den Höhepunkten dieses Satzes.
Stärke aber fehlte sicherlich nicht in Vogts Interpretation des zweiten Satzes, einem turbulenten Scherzo. Vogt spielte forsch, gelegentlich ungestüm, doch das Orchester konnte mit seiner Energie und Lautstärke nicht mithalten. Das verbesserte sich im dritten Satz ungemein, wo lodernd leidenschaftliche Passagen herzergreifend stille ablösen. Besonders stachen die verschiedenen Orchestersoli hervor, allen voran Registerführerin der Celli Kristina Blaumaners goldene Soli, die einer internationalen Solokarriere würdig waren. Vogt ist zweifelsohne ein Kammermusiker höchsten Ranges, und die umwerfende Intimität dieses Momentes war der Höhepunkt des Abends. Einen starken Kontrast dazu bot der vierte Satz mit Vogts funkelndem, wohl-charakterisiertem Spiel. Es gab zwar gelegentliche Balanceprobleme, wenn Vogt das Orchester im pianissimo an seine Grenzen brachte, doch es ist schön zu sehen, dass solche Musiker in einem Konzert auch einmal ein Risiko eingehen. Es war in jedem Falle eine erstaunlich frische Interpretation eines Programmveteranen mit viel Bravur von Seiten des Solisten und des Orchesters.