In der Vorbereitung auf ein kürzlich besuchtes Konzert, das Johann Sebastian Bach seinem kirchenmusikalischen Kritiker Johann Adolph Scheibe gegenüberstellte, kamen mir gleich zwei Kantaten in meine gedankliche Widerrede auf die Vorhaltungen des gebürtigen Leipzigers, der nach seiner Nichtberücksichtigung als Thomasorganist unter Bach erst in Hamburg Fuß fasste und schließlich Musikchef in Kopenhagen wurde. Nämlich die Kantaten Tue Rechnung! Donnerwort, BWV168, und Siehe, ich will viel Fischer aussenden, BWV88, die beweisen, dass Bach nicht zu kompliziert und melodisch unnatürlich zu Werke ging. Alle beiden Stücke, gerade durch die Eingangsarien ebenfalls wieder Lieblingskantaten von mir, von denen hier freilich nur Letztgenannte weiter vorgestellt werden soll, wurden im Juli uraufgeführt.

Erste am 29. des Jahres 1725, Zweite ein Jahr darauf am 21. für den 5. Sonntag nach Trinitatis, der mit vorgeschriebenen Lesungen im 1. Petrusbrief die Christenverfolgung, den trotz widrigster Exillage, Bedrohung und Zerstörung Israels gebotenen Gehorsam zu Gott mit der Belohnung von Gnade und Frieden sowie die Geschichte Simon Petrus' großen Fischfangs im Lukasevangelium zum Inhalt hat. Um die übliche theologische Wandlung von der Bedrückung und Angst zur Glaubenshilfe und Segensverheißung außerdem mit Altem und Neuen Testament, zugleich mit der identischen Verwendung des Wortes „Fang“, zu verbinden, so wie Bibelexegeten beide Stellen schon verknüpfen wollten, wählte der Textdichter das titelgebende Zitat des Propheten Jeremias als Einstieg aus. Librettist dessen, im Verlauf mit der Einsetzung eben des Zitats aus dem Lukasevangelium im zentralen vierten Satz und der Sätze 2, 3, 5 und 6 könnte der Herzog von Meiningen, Ernst Ludwig, gewesen sein, unter dem Johann Ludwig Bach als Kapellmeister diente.

Jenen entfernten Verwandten selbst führte Johann Sebastian in Leipzig 1726 stolze 18 Male auf, wenn er selbst keine neue Sonntagskantate schreiben musste. 7 weitere Texte aus Meinigen packte er in eigene neue Noten. Nebenbei sei hier angemerkt, dass in München gerade Kantaten dieses Bach-Vetters überwiegend neuzeitlich weltersteingespielt werden. Die angesprochene erste Arie vertont Bach – eigentlich wie von Scheibe gewünscht – fast operal, klar im Bildhaften und Lautmalerischen und eben höchst melodisch. Die ganze Kantate überschreibt Bach auch – allerdings nicht als einzige – mit „Concerto“, als wolle er die von Scheibe sonst gelobte Art neben den musikalischen Anzeichen, beispielsweise auch in Arie 3 oder barocke wie melodisch-galante Selbstverständlichkeiten, äußerlich hervorrufen.

Der durch die wörtliche Rede im Jeremias-Zitat selbstverständlich erforderliche Bass lässt die „Fischer“ dabei über den siciliano-sanftwelligen See (dessen Wassertiefe die Taille beisteuert) schippern, während die „Jäger“ im zweiten Teil im rasanten Allegro mit Corni da caccia durch die Wälder, Anhöhen und Flure heizen. Dabei kommt die erwähnte Wandlung, anders als sonst und in zweigeteilter Kantate zu erwarten, bereits hier zum Ausdruck, offenbart sich Gottes Zorn in atmosphärischer Lage des Ariosen und des Tanzes. Und wer dabei, mit dem einfachen wie effektiven Mittel der Synkopen, nicht das Bedürfnis hat, mitzutanzen, dem ist – mit Verlaub – auch nicht ganz zu helfen.


Der Tenor setzt den ehrfürchtigen und doch gnadenbewussten, auch rhythmisch geprägten Charakter in der auf das mit einer Frage endende Rezitativ folgenden Arie „Nein, nein! (…) Ja, ja!“ gemeinsam mit der Oboe d'amore rechtfertigend und vergewissernd fort. Dies treibt der Bass mit der Vox Christi ariosohaft über tänzerischem Continuo im Zitat „Fürchte dich nicht, denn von nun an wirst du Menschen fahen (= fangen)“ in klassischer Evangelienform weiter, ebenso wie das Sopran-Alt-Duett mit Violine und Oboe d'amore. Der einfache Georg-Neumark-Choral „Sing, bet und geh auf Gottes Wegen“, wie zum 5. Sonntag nach Trinitatis 1724 bei BWV93, beschließt diesen Fang von Bachkantate.