Der Pianist Ralph van Raat beweist erneut preisenswerten Mut. Im Amsterdamer Muziekgebouw spielte er unter dem Titel Hollandse nieuwe (damit wird in den Niederlanden auch der sehr beliebte, eingelegte Hering umschrieben) ein Programm mit sechs Uraufführungen. Fünf der sechs Stücke waren eigens für ihn komponiert. Die sechs Kompositionen waren in Länge und Aussagekraft sehr unterschiedlich und offenbarten damit viel über den unkonventionellen und eigensinnigen Musikgeschmack ihres Interpreten.

Die junge Komponistin Anne-Maartje Lemereis (1989) ist seit Anfang des Jahres „Komponistin des Vaterlandes”, ein Titel der seit 2015 alle zwei Jahre an eine*n niederländischen Komponist*in vergeben wird. Van Raat traf sie zufällig und erzählte ihr von seiner Bewunderung für das Werk des niederländischen Komponisten Willem Pijper (1894-1947), dessen Werke selten aufgeführt werden. Lemereis war sofort Feuer und Flamme und damit war die Idee für ein neues Stück geboren: es sollte eine Ode an die Dritte Sonatine von Pijper werden.
Lemereis schrieb mit ihrer Sonatine Nr.1 ein kurzweiliges Werk in klassischer schnell-langsam-schnell Satzfolge und wich damit ab von ihrem zweisätzigen „Vorbild“. Einen deutlich eigenen Stil ließ das gefällige Werk trotz ekstatischer Momente dennoch vermissen: es blieb sowohl harmonisch als auch rhythmisch innerhalb vorhersagbarer Kader.
Moonlit von Bart Spaan bildete mit seinem impressionistisch improvisatorischen Aufbau dazu einen angenehmen Kontrast. Seine ebenfalls überschaubare Komposition erinnerte mit seiner geheimnisvollen Stimmung an die Erzählungen von Edgar Allen Poe.
Mit In Limbo des selbsternannten „Avant-Pop-Komponisten” Jacob ter Velthuis hatte Van Raat seinen umfangreichen Uraufführungsreigen begonnen. Der Titel weckte Assoziationen an die in der katholischen Theologie bezeichnete Vorhölle und drückte dem Abend so ungewollt einen Stempel auf. Während Ter Veldhuis in seinem ersten Teil noch lyrisch und anregend mit von der amerikanischen Minimal Music beeinflussten virtuosen Arpeggio-Verschiebungen spielte, begann er den langsamen zweiten Teil mit majestätisch harmonischen Akkorden, die ebenso pompös, wie auch altbekannt wirkten. Man sehnte sich zurück zu der einen präparierten tiefen Note im ersten Satz, die mit ihrem endlos wiederholten perkussiven „Plob“ zumindest für erheiternde Abwechslung gesorgt hatte.
Die Geduld des Publikums wurde zum Ende des ersten Teils mit La Chute von Peter Adriaansz leider einmal mehr auf die Probe gestellt. Die an die Klavierstücke von Thomas Larcher erinnernde einfache Tonfolge zu Beginn wurde erst mit viel Pedal ein ums andere Mal wiederholt. Quälend langsam kamen danach an Arvo Pärt erinnernde Elemente hinzu. Die Schönheit der einfachen Harmonien und die später einsetzende faszinierende Mechanik konnte aber nicht aufwiegen gegen die von endlosen Wiederholungen erzeugte zunehmende Abstumpfung.
Der vielseitige Guus Janssen, selbst ein bekannter Pianist und (Jazz)Improvisator, bezog sich nach der Pause in seinen Elf Standpunten van het Kinselmeer auf eine Serie visueller Kunstwerke des niederländischen Künstlers Ger van Elk. Trotz aller pianistischer Beherrschung konnte Van Raat die elf sehr unterschiedlichen Stimmungsbilder nicht zu einem wirklich zusammenhängenden Ganzen schmieden. Janssen liess ausführlich Jazz (4), Schönberg (5), Schumann (6) und Messiaen (7) und Traumbilder (9) anklingen, bevor sein monumentales Werk sich mit Stadtgeräusche in der Ferne (11) in säuselnden Nebelschwaden auflöste.
Der vor allem als Chorkomponist bekannte Gerard Beljon schrieb mit Beat NXT einen echten Rausschmeißer, dessen populärer Rhythmus sich als Ohrwurm einnistete. Van Raat konnte hier seine phänomenale Technik ungeniert ausleben und belohnte sich und sein Publikum für das bewiesene Durchhaltevermögen.