Die Bayerische Staatsoper gönnt sich einen neuen Mozart-Da-Ponte-Zyklus. Die mitunter aufwendigen Vorgänger-Inszenierungen werden von unkompliziert wiederaufzunehmenden, Repertoire-fähigen Regiekonzepten abgelöst. Das Ziel, die Mozart-Werke wieder mehr in den Fokus des Spielplans zu rücken, ist besonders aus gesanglichen Aspekten zu begrüßen, das szenische Ergebnis sorgt bislang jedoch nur bedingt für Freude.

Golda Schultz (Gräfin Almaviva) und Konstantin Krimmel (Figaro) © Geoffroy Schied
Golda Schultz (Gräfin Almaviva) und Konstantin Krimmel (Figaro)
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Im Jahr 2022 feierte Così fan tutte in der bewusst etwas trashigen, jedoch unterhaltenden, zugleich ergreifenden Erzählart von Benedict Andrews Premiere, im darauffolgenden Jahr folgte Le nozze di Figaro. Letztere, inszeniert von Evgeny Titov, wurde nun mit einer Besetzung wiederaufgenommen, welche trotz kurzfristiger Umbesetzungen nah an das Niveau der Premierenserie heranreicht. Jedoch legt schon diese erste Wiederaufnahme etliche szenische Schwächen frei, der nur dank des hochkarätigen Sänger*innen-Ensembles überhaupt eine Daseinsberechtigung verliehen werden konnte.

Titovs Konzept hat wenig mit der tiefgreifenden, anklagenden Klassenkritik am Ancien Régime, oder den Machtverhältnissen, der Doppelstandards, zwischen den Geschlechtern zu tun, wie sie Beaumarchais und da Ponte in psychologischer Tiefe ausmalten. Stattdessen scheint die Maxime des Regisseurs zu sein: Alles kann ein Phallussymbol sein, wenn man sich nur Mühe gibt. So muss der Graf, in SM-Lack und Leder und billige Polyester-Kostüme gezwängt, einen mafiösen Drogenboss mimen, die neue Bleibe Figaros und Susannas wird zum Sex-Dungeon und im Zimmer der Gräfin werden die marode verschimmelten Wände mit ein wenig rosa Farbe oberflächlich überdeckt.

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Peter Mattei (Graf Almaviva) und Louise Alder (Susanna)
© Geoffroy Schied

Humortechnisch bleibt es pubertär – so wird scheinbar erwartet, dass sich das anspruchsvolle Münchner Publikum über hochfliegende Röcke, sich drehende Dildos, und Gras rauchende Zimmermädchen amüsieren könnte. Zu abgedroschen unkoordiniert und platt ist die Wirkung dieser Art von Witz, das Publikum lächelt vereinzelt und wirkt doch schnell gelangweilt. All das hat man anderswo auf der Opernbühne schon frecher, charakterstarker und vor allem mit mehr Charme und Raffinesse gesehen.

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Le nozze di Figaro
© Geoffroy Schied

„Dove sono i bei momenti?“ zweifelt die Contessa. Ja, wo sind sie denn, die schönen Augenblicke? Auf dieser trostlosen Bühne leider nicht. Was man szenisch an Tiefe vergeblich sucht, findet man dank Susanna Mälkki im Orchestergraben wieder. Die finnische Dirigentin leitete das Bayerische Staatsorchester bei ihrem Hausdebüt mit einer selbstverständlichen Versiertheit und einer virtuosen Geradlinigkeit in kompakten, dichtem Klang, welcher dennoch die Vielschichtigkeit der Partitur betonte und spannende Details zuließ. Mit gestrafftem, nie überhitzten Tempi vermochte sie spannungsreiche Bögen zu ziehen, die Sänger*innen mitzunehmen, gar das Orchester mit dem Ensemble atmen zu lassen und dabei doch immer pointiert die innere Dramatik Mozarts auf die rasanten Aktfinali zuzuspitzen. Mälkki zur Seite stand Alessandro Praticò, welcher immer wieder mit gekonnt schelmischen Improvisationen am Hammerklavier das Tempo hochhielt und damit dieser Aufführung jenes gewisse Etwas, einen heiteren Ausdruck verlieh, welchen Titovs Regiekonzept so schmerzlich missen ließ.

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Konstantin Krimmel (Figaro), Louise Alder (Susanna) und Peter Mattei (Graf Almaviva)
© Geoffroy Schied

An der Bayerischen Staatsoper tritt seit einigen Jahren – für Premieren wie Repertoire-Aufführungen gleichermaßen – ein Mozart-Ensemble von einer beachtlichen Güte zusammen, welches in seiner Homogenität mit jenem legendären Nachkriegs-Ensemble an der Wiener Staatsoper rund um Josef Krips mithalten kann.

Allen voran Ensemblemitglied Konstantin Krimmel, welcher als Mozartsänger und besonders mit der Rolle des Figaro seine Raison d'être gefunden zu haben scheint. Seine festen, agilen Baritonstimme füllte mit vielseitigen Klangfarben in eleganter Phrasierung mit einer darstellerisch unschlagbaren Spielfreude und Bühnenpräsenz. Beides versierte Liedsänger, vermochte sich auch Peter Mattei, obgleich in fragwürdigen Kostümen, stimmlich über die an der Oberfläche kratzende Inszenierung hinwegzusetzen. Mit souveräner Diktion und einer samt- und vornehm anmutenden Baritonstimme, mit makellosen Timing in Mimik und Gestik wurde seine Interpretation der Grafen-Arie der fesselnde Höhepunkt des Abends.

Als immer wieder gern gesehene Gastsängerin konnte Louise Alder für die Partie der Susanna gewonnen werden. Ihre lyrische, zugleich in sämtlichen Registern felsenfeste Sopranstimme verstärkte den charmanten, zugleich selbstbewussten Charakter ihrer Rolle. Die US-amerikanische Mezzosopranistin Angela Brower begeisterte als Cherubino mit cremig-geschmeidiger Mezzosopranstimme und hinreißender Darstellung. In der kleineren Partie der Marcellina glänzte einst selbst eine überragende Gräfin, Dorothea Röschmann mit vollem, charakterstarkem Sopran.

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Le nozze di Figaro
© Geoffroy Schied

Malin Byström probte derweilen an der Bayerischen Staatsoper Richard Strauss‘ Die Liebe der Danae. Die dramatische Sopranistin hat sich schon seit Längerem von den Mozart-Partien emanzipiert und steht meist als Salome oder Wozzeck-Marie auf der Opernbühne und sprang dennoch kurzfristig von der Seitenbühne singend für die indisponierte Golda Schultz als Contessa ein. ….

Im Juni diesen Jahres wird der Zyklus mit Don Giovanni und erneut Konstantin Krimmel in der Titelpartie vervollständigt. Es bleibt zu hoffen, dass der Regisseur David Hermann ein besseres Händchen bei der Ergründung dieser Oper haben wird, und diesen Mozart-Da-Ponte-Zyklus doch noch zu einem szenisch bereichernden Finale führt.

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