Donizettis Lucia di Lammermoor ist verhältnismäßig selten an der Wiener Staatsoper zu hören, die Inszenierung von Laurent Pelly aus dem Jahr 2019 trägt nun in ihrer dritten Aufführungsserie allerdings bestimmt auch nicht dazu bei, dass dieses Werk in Wien zum Dauerbrenner wird. Man wird das Gefühl nicht los, dass dem Regisseur schlichtweg nichts zur Geschichte eingefallen ist, denn sämtliche Beziehungen zwischen den Figuren sind in seiner Interpretation quasi nicht existent...
Das Liebesduett zwischen Lucia und Edgardo im ersten Akt? Beide stehen etwas verloren nebeneinander und wenn man es nicht wüsste, würde man nicht auf die Idee kommen, dass hier gerade große Treueschwüre geschworen werden. Die Verabredung zum Duell zwischen den Feinden Enrico und Edgardo? Auch sie stehen dabei verloren an der Rampe nebeneinander. Überhaupt ist der vorderste Bereich der Bühne der bevorzugte Aufenthaltsort aller Figuren, das unrühmliche Highlight dieser Rampen-Fixierung ist dann im zweiten Akt erreicht, wenn Chor und Solisten zusammengepfercht vor stilisierten Gerüstwänden herumstehen müssen. Wenn nicht gerade irgendwo diese Wände vom Schnürboden schweben, besteht das Bühnenbild aus verschneiten Hügeln und stilisierten Gebäudeumrissen – was nicht gröber störend ist, aber auch nichts zur Handlung beiträgt.
Angesichts der Interpretin der Titelrolle wurde die Inszenierung an diesem Abend aber ohnehin zur Randnotiz, denn auch wenn man mit Superlativen sparsam umgehen sollte, darf Adela Zaharias Leistung getrost als herausragend bezeichnet werden. Mit silbrig timbriertem Sopran gestaltete sie die Seelenzustände der Figur packend, emotional anrührend und technisch nahezu perfekt – da perlten die Koloraturen, die Spitzentöne strahlten und die Mittellage glänzte samtig. Dabei wurden all die technischen Raffinessen nie als reiner Selbstzweck eingesetzt, sondern trugen stets zur Verdeutlichung der inneren Konflikte der Figur bei. Besonders packend gelang Zaharia dabei die Wahnsinnsszene, bei der sie das gesamte Publikum endgültig völlig in ihren Bann zog. Herrlich entrückt geriet etwa der Dialog mit der Glasharmonika, die Steigerung bis hin zum Kollaps wurde nuanciert herausgearbeitet und man konnte Lucias Verzweiflung in jeder Phrase regelrecht spüren. Kurz gesagt: Wahnsinn hat selten so fantastisch und ergreifend gleichzeitig geklungen!
Neben so einer Glanzleistung nicht zu verblassen ist als Bühnenpartner zweifelsohne eine schwere Aufgabe – und Bekhzod Davronov hatte als Edgardo dementsprechend auch ziemlich zu kämpfen. Dabei bringt er eigentlich viel mit, was es für tenoralen Glanz braucht: ein geschmeidiges Timbre, strahlende Höhen und eine gute Portion Schmelz. Allerdings ist die Stimme nicht sonderlich groß, weshalb er phasenweise im Orchester bzw. den Ensembles unterging und auch im Duett mit seiner Lucia blass wirkte. In der finalen Arie „Tombe degli avi miei“ konnte er seine vokalen Qualitäten dann aber doch noch voll ausspielen und sich elegant schmachtend in den Tod befördern.
Als Enrico Ashton lieferte Mattia Olivieri eine starke Leistung ab, denn er verkörperte den Opportunisten, der für seinen politischen und gesellschaftlichen Erfolg bereitwillig das Seelenheil seiner eigenen Schwester opfert, ideal. Seinen Bariton zeichnet ein ebenso warmes wie elegantes Timbre aus, die Stimme floss in allen Lagen wunderbar ebenmäßig durch die Partie und verströmt Wohlklang, wobei es ihm aber auch gelang, dank dunkler Farben und feinen Nuancierungen die kühlen, rachsüchtigen Facetten der Figur hervorzukehren. Und obwohl er von der Regie nicht viel zu tun bekam, schaffte er es immer wieder, auch darstellerisch Akzente zu setzen – etwa mit glaubhaftem Entsetzen über die sterbende Lucia.

Polternd und grobschlächtig legte Adam Palka den Raimondo an, mehr stimmlicher Feinschliff und interpretatorische Nuancen hätten da nicht geschadet; ebenso wenig überzeugen konnten an diesem Abend Hiroshi Amako als nasaler Arturo und Carlos Osuna als blasser Normanno. Eine sehr runde Leistung lieferte hingegen der Chor, insbesondere in den geschockt-entrückten Momenten vor Lucias Wahnsinnsarie. Am Pult des Staatsopernorchesters stand mit Roberto Abbado ein Routinier des italienischen Repertoires; er schaffte es aber nur phasenweise, das Orchester wirklich zu Feuer und Leidenschaft zu inspirieren, denn großteils kam aus dem Graben zwar solides Spiel auf allerhöchstem Niveau, aber der letzte elektrisierende Funke blieb aus.

