Leicht traumatisiert, das Make-up von Tränen zerstört und trotzdem – oder besser gesagt: genau deswegen! – völlig begeistert: Ein bisschen absurd mutet es für Außenstehende bestimmt an, was Opernfans als idealen Freitagabend bezeichnen... Aber gibt es etwas Schöneres, als von einer Vorstellung von Giacomo Puccinis Madama Butterfly emotional komplett zerstört zu werden und dabei den vollen Effekt der Katharsis zu genießen? Schwer vorstellbar. Vor allem, wenn der Abend nicht nur mit großen Gefühlen, sondern auch exzellenter musikalischer Qualität aufwartet.

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Madama Butterfly
© Wiener Staatsoper | Ashley Taylor

Allen voran war Eleonora Buratto nämlich eine ideale Cio-Cio San an der Wiener Staatsoper, da sie die Wandlung vom verliebten jungen Mädchen hin zur verzweifelten Frau in jeder Hinsicht nuanciert gestaltete. Schauspielerisch gelang es ihr, mit kleinen Gesten und Details die emotionale Entwicklung des Charakters zu verdeutlichen, während sie stimmlich zunächst mit viel lyrischer Lieblichkeit begann und nach und nach immer verzweifeltere Farben in ihren makellos geführten Sopran mischte. Das herzzerreißende ,,Ah! m’ha scordata?” im zweiten Akt wurde dabei zum ultimativen Wendepunkt, denn hier schien diese Butterfly bereits mit dem Leben abgeschlossen zu haben, bevor sie mit packender Intensität im finalen Akt Abschied nahm.

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Eleonora Buratto (Cio-Cio-San) und Luciano Ganci (Pinkerton)
© Wiener Staatsoper | Ashley Taylor

Den Unsympathler Pinkerton gab Luciano Ganci mit höhensicherem Tenor, der zwar nicht mit dem allerschönsten Timbre gesegnet ist, aber dafür effektvoll eingesetzt wird und der Figur mit metallischem Klangkern die nötige Dosis an Rücksichtslosigkeit verleiht. Wie ein Elefant im Porzellanladen wirkte dieser Pinkerton im ersten Akt, wobei Gancis strahlendes Forte einen guten Kontrast zu Burattos Piani bildete, wodurch die Kulturunterschiede der zwei Charaktere deutlich wurden; und mit viel Italianità und selbstbemitleidendem Pathos sorgte er dann schließlich im ,,Addio, fiorito asil” für Gänsehautmomente.

Kurzfristig als Sharpless eingesprungen war Clemens Unterreiner, der die Rolle zwar seit Jahren nicht mehr gesungen hatte, aber aufgrund seiner starken Leistung wahrlich keinen Einspringer-Bonus benötigte: Sein Bariton floss ebenmäßig und klangschön durch die Partie und er gestaltete den Konsul in jeder Hinsicht als Stimme der Vernunft, etwa wenn er Pinkerton eindringlich warnte, dass Butterfly die Hochzeit ernstnehmen würde. Auch darstellerisch unterstrich er diese Interpretation, denn alleine seine Körpersprache ließ keinen Zweifel daran, wie sehr dieser Sharpless den feigen Pinkerton verachtete.

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Daria Sushkova (Suzuki)
© Wiener Staatsoper | Ashley Taylor

Die Suzuki gab Daria Sushkova mit samtig grundiertem Mezzo und vermittelte dabei glaubhaft die aufopferungsvolle Vertraute, wobei sie es insbesondere schaffte, einerseits mit viel Wärme in ihrer Stimme gegenüber Cio-Cio San Zweckoptimismus zu versprühen und andererseits mit dunklen Klangfarben ihr Wissen um die Ausweglosigkeit der Situation zu gestalten. Auffallend gut besetzt waren in dieser Vorstellungsserie auch die kleinen Partien – allen voran konnten Ana Garotic in der Rolle der Kate Pinkerton und Alex Ilvakhin als Fürst Yamadori auf sich aufmerksam machen – und der Chor steuerte auf gewohnt hohem Niveau eleganten Klang bei.

Eleonora Buratto (Cio-Cio-San) © Wiener Staatsoper | Ashley Taylor
Eleonora Buratto (Cio-Cio-San)
© Wiener Staatsoper | Ashley Taylor

Das Staatsopernorchester bewies unter Giampaolo Bisanti, dass es auch im italienischen Repertoire abseits von Premierenabenden höchst motiviert agieren kann, denn was man aus dem Graben zu hören bekam, war großes Klangkino: mal dramatisch zupackend und dann wieder sanft klagend wurde die tragische Geschichte in üppigen Farben und vor allem vor Emotionen strotzend erzählt, sodass etwa während des Intermezzos wohl kaum jemand im Saal ungerührt blieb. Dabei verschmolz die musikalische Interpretation ideal mit dem Geschehen auf der Bühne.

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Eleonora Buratto (Cio-Cio-San)
© Wiener Staatsoper | Ashley Taylor

Die Regie von Anthony Minghella ist zwar im Haus am Ring vergleichsweise neu – es war dies erst die 18. Vorstellung in dieser Inszenierung – aber international betrachtet ist sie längst ein Klassiker geworden. Und das völlig zurecht, denn der Regisseur erzählt die Handlung auf das Wesentliche reduziert, mit präziser Personenregie und vor allem in wahnsinnig schönen Bildern, die jedes Mal wieder für ergreifende Momente sorgen. So ist etwa der erste Auftritt Butterflys dank der Doppelung durch den Spiegel ein elegantes Spektakel, spätestens nach ein paar Sekunden vergisst man völlig, dass das Kind in Wahrheit eine meisterhaft bediente Puppe ist und die finale Sterbeszene berührt durch ihre schlichte Abstraktion mehr als es Theaterblut je könnte. 

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