Um barocke Oratorien machen die philharmonischen Orchester normalerweise einen großen Bogen. Sie überlassen diese noch so gerne den Spezialensembles für Alte Musik. Umso erstaunlicher, dass das Tonhalle-Orchester Zürich, unter Mitwirkung der Zürcher Sing-Akademie und unter der Leitung von Jan Willem de Vriend, zu einer vorweihnächtlichen Aufführung von Händels Messiah einlud. Puristen rümpfen da vermutlich die Nase im Gedanken, nur der Monteverdi Choir mit den English Baroque Soloists oder sonst eine anerkannte Barockformation würden den Messiah „richtig“, das heißt in korrekter historischer Aufführungspraxis wiedergeben.

Mary Bevan © Victoria Cadisch
Mary Bevan
© Victoria Cadisch

Wer aber eine solch puristische Einstellung zur Seite schieben konnte, musste an der Aufführung in der Tonhalle Zürich seine helle Freude haben. Eine kluge Entscheidung des Veranstalters war es, die künstlerische Verantwortung für das Projekt dem Dirigenten de Vriend zu übertragen. Dieser konnte als Gründer des Combattimento Consort Amsterdam, das sich auf die Musik des 17. und 18. Jahrhunderts spezialisiert hat, viel Erfahrung im Umgang mit Barockmusik sammeln. Als Opern- und Konzertdirigent pflegt er heutzutage ein Repertoire von Monteverdi bis Mendelssohn.

Gleich bei der eröffnenden Symphony zeigte das Tonhalle-Orchester, dass es sich in den barocken Gewässern recht gut bewegen kann, wenn denn der Kapitän die Richtung sicher vorgibt. Die Streicher spielten zwar mit modernen Instrumenten in heutiger Stimmung, aber stilistisch wandelte das Orchester mit deutlicher Artikulation, stiltypischer Überpunktierung der Rhythmen und schönen Trillerfiguren im ästhetischen Bereich der Alten Musik. Im weiteren Verlauf des Oratoriums waren es die barocken Trompeten und Pauken, die für die Glanzpunkte verantwortlich zeichneten. Bei den Arien und Rezitativen sorgten neben dem Orgelpositiv insbesondere Sören Leupold mit der Chitarrone und Anita Leuzinger auf dem Solocello für barocken Klang.

Die Zürcher Sing-Akademie arbeitet seit ihrer Gründung im Jahr 2011 eng mit der Tonhalle zusammen. Das professionelle Vokalensemble pflegt ein Repertoire vom Barock bis zur Gegenwart. Bei Händels Messiah wirkten rund vierzig Sängerinnen und Sänger mit. Schon bei der ersten Chornummer, „And the glory of the Lord shall be revealed“, war die Qualität des Chores zu hören. Im Vergleich zu einem Barockensemble wie dem Monteverdi Choir klingt die Sing-Akademie weniger streng, dafür üppiger, weniger „sortenrein“ (um diesen Vergleich mit einem Wein zu wagen), eher wie eine „Assemblage“. Variantenreichtum der Tonfälle und atemberaubende Koloraturen sind weitere Kennzeichen. Von seinem musikalischen Leiter Florian Helgath sorgfältig vorbereitet, folgte der Chor de Vriends Intentionen mit wachem Augenmerk und offenen Herzen.

Bei den Solisten herrschte das Pech, dass gerade zwei erkrankt waren und kurzfristig durch Einspringer ersetzt werden mussten. Von den ursprünglich Vorgesehenen begeisterte die Sopranistin Mary Bevan gerade in der Weihnachtsszene mit einer engelgleichen und modulationsfähigen Stimme, setzte aber insgesamt zu viel Vibrato ein. Um einen erstklassigen Barocksänger handelt es sich beim britischen Tenor Guy Cutting. Geschmeidigkeit der Stimme und Anteilnahme bei gleichzeitiger Stilisierung sind die herausragensten Merkmale seines Charakters.

Für den jungen Schweizer Constantin Zimmermann, der für die Altistin Sara Fulgoni einsprang, schlug die große Stunde. Wer für die Altpartie eine Männerstimme bevorzugt, kam voll auf seine Rechnung. Zimmermanns Stimme klingt verblüffend natürlich und leicht, besitzt aber beispielsweise für die Arie „He was despised“ doch etwas wenig Boden. Ganz aus dem Vollen schöpfte dafür der für Florian Boesch eingesprungene Bass-Bariton Hanno Müller-Brachmann. Als Opernsänger passte er nicht wirklich zu den drei anderen Solisten, in der Arie „The trumpet shall sound“ im dritten Teil punktete er aber dennoch beim Publikum. Bei diesem letzten Teil des Oratoriums, der mit den Worten des Apostels Paulus von der Überwindung des Todes durch Christus spricht, nehmen viele Dirigenten Kürzungen vor. Nicht so de Vriend, der glücklicherweise auch das Duett „O death, where is thy sting“, den Chor „But thanks be to God“ und die Sopran-Arie „If God be for us“ musizieren ließ. 

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