Wie schon in der vergangenen Spielzeit gibt das Belcea Quartet auch 2018/19 eine eigene Konzertreihe als Ensemble in Residence im Pierre Boulez Saal. An diesem Abend sorgte das Quartett mit Mozart, Bartók und Mendelssohn Bartholdy für wahre Begeisterungsstürme.
Mozart komponierte auch sein zweites der insgesamt drei „Preußischen Quartette” für König Wilhelm II, der selbst Violoncello spielte. Den ersten Satz nahm das Belcea-Quartet als ein singendes Allegro, in dem alle vier Stimmen einander im Cantabile die Motive zuspielen. Die Form scheint ihre Gestalt erst noch finden zu müssen, obwohl er längst in der Exposition ist. Erst im Seitensatz ist dem Cellisten dann ein Thema geschenkt worden, dessen weit ausholende Melodie Antoine Lederlin so delikat wie introvertiert vortrug. Wenn Corina Belcea ihm fast wörtlich antwortete, entwickelte sich aus der anfänglichen Suche nun das Gespräch der „vier vernünftigen Leute" als das Goethe das Quartett charakterisierte. Im Kern der Durchführung führt Mozart zwar die Anfangstakte imitatorisch, doch von strenger Arbeit war zu Recht beim Belcea-Quartett nichts zu hören. Diese Durchführung ist kein „Dreschplatz der Motive", sondern ein schattiges Gebiet im Zentrum des Satzes. Auch im Larghetto durfte Antoine Lederlin zunächst in der ihm eigenen Mischung aus Eleganz und Feinsinn eine Cello-Kavatine im sotto voce singen. Das Menuett ist wie so viele Mozarts kein Tanzsatz, sondern ein Charakterstück und wird als ein solches auch vorgetragen. Im Finale mit seiner „Figaro"-Heiterkeit – das Thema alludiert das Duettino zwischen der Gräfin und Susanna – ließen die Musiker den 6/8-Takt schwingen: Sie spielten den Satz mit einer Eleganz, Transparenz und höfischen Stilisierung, dass ein „leichtes" Finale hörbar wurde ohne bloßer Kehraus zu sein.
Es folgte Bartóks 1939 entstandenes letztes Streichquartett, das wie ein Seismograph auf die Zeit seiner Entstehung reagiert, die von der Krankheit seiner Mutter und den politisch desolaten Zuständen in Ungarn verfinstert war. Er verließ schließlich seine Heimat und sollte das geliebte Land nie wiedersehen. Jeder Satz wird durch eine Mesto-Partie eingeleitet. Den ersten Satz eröffnet die Viola allein: Krzysztof Chorzelski trug die ungarische Melodie im Trauerton vor, die dann zum Hauptthema des Sonatensatzes umgestaltet wird. Variiert kehrt sie in der Introduktion zum zweiten Satz wieder, dort vom Violoncello vorgetragen und im Unisono von den übrigen Instrumenten kontrapunktiert bevor sie im vierten Satz zur vollen Blüte kommt.
Im Zentrum des Quartetts erklingen zwei Sätze, in denen das Belcea-Quartet die Grenzen des guten Quartett-Tons zu überschreiten hatten, wenn etwa die Marcia als antimilitaristischer Marsch zu intonieren ist. Bartók stört den scheinbar festen Schritt durch hinkende und stolpernde Rhythmen. Diesen Vorgaben entsprechend ließen die vier Musiker/innen den Satz aus dem Tritt geraten und zerstörten schließlich das Thema in der Reprise, in der Corina Belcea die Geige wie eine Piccolo-Flöte schrillen lässt. Grotesk wie eine Kabarett-Nummer wurde die Burletta gespielt. Der „to-step“-Rhythmus ist plump, ja geradezu „betrunken“ zu musizieren und das Ensemble scheute sich nicht, das Banale dieser Musik offenzulegen. Erst in der delikat intonierten Pizzicato-Reprise hatte die Musik ihre Brutalität verloren und wurde überzeugend als ein Nachsinnen musiziert. Im Schlusssatz ist alle Ironie und Spott der stillen Trauer gewichen. Bartók wusste, dass der Krieg kommen würde. Worte können (und wollen) nicht umschreiben wie es dem Quartett gelungen ist, das ungarische Seitenthema „lontano“ (aus der Ferne) klingen zu lassen.
Nach der Pause gab es Mendelssohn Bartholdys f-Moll-Streichquartett. Bis heute hält sich das Vorurteil, dass er die Formen nur ausgefüllt aber nicht erfüllt, seine Werke zwar elegant geschrieben, ihnen aber keine Tiefe gegeben hätte. Wenn sein letztes vollendetes Werk aufgeführt wird, das er im Andenken an seine geliebte Schwester Fanny geschrieben hat, greifen derartige Vorurteile grundsätzlich vorbei. Ein Quartett vom Niveau der Belceas lässt sich von der Subjektivität auch nur so weit anstecken, als ihre Darbietung eine schneidend-schroffe Expressivität nicht scheute. Zu großer Kunst wurde die Aufführung, weil es ihr gelang, die Form zu bewahren, die der Klage in diesem Werk – im wahrsten Sinne des Wortes – erst Fassung gibt. So nahmen sie die heftige den Kopfsatz eröffnende Attacke im Tremolo als initialen Impuls, der mit seiner rastlosen Energie den ganzen Kopfsatz nervös pulsiert. Die aufsteigende Sequenz zu Beginn des zweiten Satzes soll regelrecht angestrengt klingen. Man sah den vier Musikern an, wie sie mit aller Gewalt einen gradtaktigen Gedanken in einen Dreiertakt zu zwängen und so angedeutete Walzer-Gesten im Keim zu ersticken hatten. Auch das „Lied ohne Worte", als das Mendelssohn Bartholdy auch dieses Adagio wie die meisten seiner früheren langsamen Sätze gestaltet, ist voller Abgründe und nicht eingelöster Versprechen. Die Musiker/innen wussten darum, und sangen auf ihren Instrumenten auch nur dort, wo es der Komponist noch andeutet und ließen das verdämmern, was auch in der Komposition sich im Nirgendwo verliert. Das Finale war gleichfalls bewusst unruhig. In der Coda wurde das Belcea-Quartet zu einem regelrechten Orchester, was die Zuhörer von den Sitzen riss.