Gleich nach Beginn von Bellinis Norma wartet das Publikum natürlich gespannt auf die Sängerin der Titelpartie. Wie wird sie ihren Auftritt bewältigen – Casta Diva – diese Arie aller Arien der Belcanto-Ära? Legendäres ist von Giuditta Pasta überliefert, der Sängerin der Uraufführung in Mailand 1831. Und natürlich von Maria Callas, die wir noch in Aufnahmen nachhören und -sehen können.

Sonya Yoncheva (Norma) © Michael Gregonowits
Sonya Yoncheva (Norma)
© Michael Gregonowits

In Baden-Baden stellte sich nun Sonya Yoncheva in dieser Rolle vor, ein Sopranstar im Terminkarussell zwischen Mailand, London und New York. „Wir arbeiten in einer riesigen Industrie, in der wir kaum Zeit zum Atmen haben. Wir sind nur Maschinen.”, bekannte sie jüngst in einem Bachtrack-Interview. Zeit, sich Ruhe zu nehmen, sei selten.

Ja, Anspannung war zu bemerken, als Yoncheva ihre Arie begann, ein anfänglich leichtes Flackern in der Stimme, kleine Drücker – eine ebenmäßige Linie in den fünfzehn Takten purer Melodie baute sie aber schnell auf. Die eingebundenen Koloraturen kamen hochvirtuos und die Kabaletta war schier ein Vokalfeuerwerk. Das Publikum hatte sie damit gewonnen. Es durfte Stimmakrobatik der Spitzenklasse erleben.

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Stefan Pop (Pollione) und Sonya Yoncheva (Norma)
© Michael Gregonowits

Ungeheuer viel fordert die Oper dieser Titelpartie ab. Die gallische Priesterin Norma, die heimlich den Römer Pollione liebt, durchlebt die ungeheure Macht der Gefühle: ihre Liebe verbergen, den Hass ihres Volkes gegen die römischen Besatzer besänftigen, dann von der Untreue des Geliebten erfahren und sich einer Rivalin gegenüber sehen, ihre Wut nicht anders bewältigen können, als den Mord ihrer Kinder zu planen. Im finalen Showdown kommt alles ans Licht und Felice Romani, Bellinis meisterlicher Librettist, erfindet eine finale Katharsis von wahrhaft antiker Größe: Nach einem Schuldbekenntnis in nur zwei Worten, „son io”, besteigt Norma den Scheiterhaufen, der eigentlich einem Opfer im Krieg gegen die römischen Besatzer bestimmt ist.

In der konzertanten Baden-Badener Produktion mussten alle Gefühle und Affekte vor allem vokal gezeigt werden. Auf diesem Feld tat Yoncheva mitunter etwas zu viel des Guten. Mehrfach wirkte der Ausdruck bei ihr überpointiert, allzu pathetisch, eher äußerlich und aufgesetzt. Am meisten überzeugte sie noch in den Duetten mit Adalgisa, wenn beide sich nicht nur als Rivalinnen, sondern auch als Leidensgenossinnen begegnen.

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Sonya Yoncheva (Norma)
© Michael Gregonowits

Diese Rolle verkörperte Karine Deshayes überaus eindrucksvoll. Ihr herrlich timbrierter Mezzosopran strömte Wärme und Wahrhaftigkeit aus. Schon ihre erste Arie beglaubigte ihre Seelennot, denn Adalgisa – als angehende Priesterin – liebt verbotenerweise ebenfalls Pollione. Dies gestaltete sie ohne zur Schau gestellte Affekte, sondern als von innen heraus empfunden. Stimmlich war sie als Seconda der Primadonna durchaus ebenbürtig.

Den römischen Prokonsul sang der Rumäne Stefan Pop, ein echter Spintotenor, mühelos in der Höhe und stark in der Agilität. Sein Pollione war genau der Schuft, den die Rolle verlangt: im Ausdruck arrogant, fordernd, skrupellos. Erst ganz am Schluss, wenn er Normas Größe erkennt, durfte Pop auch lyrische Nuancen zeigen. Oroveso, der Anführer der Kelten, wurde von Alexander Vinogradov mit autoritativ festem Bass ebenso rollendeckend gesungen. Auch die beiden Nebenrollen der Clothilde und des Römers Flavio waren mit Kristina Klein und Marin Yonchev, Sonyas Bruder, bestens besetzt.

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Sonya Yoncheva (Norma) und Karine Deshayes (Adalgisa)
© Michael Gregonowits

So war die Produktion ein bisschen ein Familienunternehmen, denn am Pult stand mit Domingo Hindoyan der Ehemann. Sicherlich nicht der einzige Grund, dass er mit dem Orchester die Sängerinnen und Sänger quasi auf Händen trug, ihnen einen sanften Teppich allen Wohlklangs ausbreitete, den Bellinis Partitur einem Orchester ermöglicht. Doch auch dramatische Wucht konnte er entfalten, vor allem die beiden Finali setzte er mit dem Gstaad Festival Orchestra regelrecht unter Strom. Der Chor der Bühnen Bern trug mit starken Auftritten nicht unwesentlich zum Erfolg dieser stellenweise bis zur Atemlosigkeit spannenden Aufführung bei.

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