Wie planen Sie Ihre Konzertbesuche? Bestimmt lassen Sie sich wie ich durch Programme und bekannte Künstler dazu verleiten. Zum gestrigen Konzert war ich eigentlich gekommen, um mir eine weltberühmte Geigerin (Hilary Hahn) mit einem wenig bekannten Violinkonzert (Ginastera) anzuhören – gemeinsam mit dem São Paulo Symphony Orchestra unter Thierry Fischer im Amsterdamer Concertgebouw. Groß war darum anfänglich meine Enttäuschung, als das Programm in eben diesem Punkt kurzfristig geändert wurde. Das Dritte Violinkonzert in B von Camille Saint-Saëns dachte ich gut zu kennen, weniger dafür Daniel Lozakovich.

Daniel Lozakovich © Martin Raphaël Martiq
Daniel Lozakovich
© Martin Raphaël Martiq

Welch ein Glück, dass ich meine Karte nicht zurückgab! Ich habe dem 23-jährigen schwedischen Ausnahmegeiger Daniel Lozakovich atemlos zugehört und konnte mich nach seiner makellosen Zugabe, Fritz Kreislers Rezitativ und Scherzo, kaum mehr bewegen, so fassungslos und fasziniert war ich von seiner Fähigkeit, atemberaubende tiefgründige Geschichten zu erzählen. Und das mit scheinbar mühelos beherrschter Geigentechnik und einem unvergleichlich seidigen Ton. Lozakovich unterzeichnete schon im Alter von 15 Jahren einen Plattenvertrag und erobert seitdem die großen klassischen Bühnen mit seinem beeindruckenden Vortrag, der nicht zu Unrecht mit dem des legendären Geigers Jascha Heifetz verglichen wird.

De französischer Komponist, Pianist und Organist Camille Saint-Saëns schrieb eine Reihe von wichtigen und bedeutende Werke für Violine. Für sein Drittes Violinkonzert wurde er von dem legendären spanischen Geigenvirtuosen Pablo de Sarasate inspiriert. „Er gab mir wertvolle Ratschläge, und mit seinem Zauberbogen brachte Pablo de Sarasate meine Kompositionen in alle Länder“, schrieb Saint-Saëns. Sarasate nachdem er die Partitur des Konzerts 1880 studiert hatte, an Saint-Saëns' Verleger August Durand: „Das Konzert von Saint-Saëns ist ein Juwel. Bitte sagen Sie ihm, dass er nicht zulassen soll, dass jemand es vor mir spielt. Sie werden sehen, dass ich dieses erstklassige Werk zu einem wahren Geschenk des Himmels machen werde.“ Es war dann tatsächlich Sarasate, der dieses Violinkonzert im Herbst 1880 mit großem Erfolg zur Uraufführung brachte.

Lozakovich spielte die einleitenden Rezitativtakte beherrscht und klangschön auf der G-Seite. An die Stelle von romantischer Kraftprotzerei setzt er beherrschte Klangschönheit. Er spannt seine Melodiebögen bescheiden und zurückhaltend. Mit seinen stellenweise extrem leisen, immer aber bis ins letzte versorgten Bogenstrichen zwingt er sowohl das Publikum als auch das begleitende Orchester zu alleraufmerksamstem Zuhören. Sein verführerischer Geigenklang macht süchtig und schwindelig zugleich. Wenn am Ende des Allegro non troppo die G-Saitenstelle zurückkommt, schließt sich der Bogen einer spannungsgeladenen unendlichen Geschichte.

Das Thema des Andantino quasi allegretto spielt Lozakovich unaufdringlich einfach wie eine laue Sommerbrise. Das Geigenthema entwickelt sich wie von selbst und wieder verliert sich der Zuhörer in einem Labyrinth von gestrichenen Klanggirlanden. Thierry Fischer und sein Orchester folgen dem jungen fast schlafwandelnden Solisten so vorsichtig wie es eben geht.

Auch den virtuosen letzten Satz spielt Lozakovich gänzlich ohne Starallüre. Seine Läufe perlen, seine hohen Noten strahlen, sein Doppelgriffe überrumpeln ohne aufdringliche Angeberei. Selten war ich Zeuge von so selbstvergessener Meisterschaft.

Das Orquestra Sinfônica do Estado de São Paulo hat auf ihrer Europatournee als Konzerteröffnung Teile der Filmmusik seines Landsmannes Camargo Guarnieri (1907-1993) auf das Programm gesetzt. Von Fischer und seinen Musikern hätte man sich dabei hier und da eine etwas glutvollere Interpretation gewünscht.

Für das Werk nach der Pause, Eine Alpensinfonie von Richard Strauss mit seinem riesigen Orchesterapparat von etwa 130 Musikern, ließen die Südamerikaner das Concertgebouw ein ums andere Mal erbeben. Auch die hauseigene Orgel war mit vollem Manual zu hören. Das glutvolles maskuline Musizieren des Orquestra Sinfônica stand oft in schrillem Kontrast zur subtilen Feinmalerei von Lozakovich.

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