Nur zwei Jahre älter war er als sein Kontrahent Mozart am Wiener Burgtheater. Als der in Valencia geborene Komponist Vicente Martín y Soler mit seinem Librettisten Lorenzo Da Ponte 1786 die neue Oper Una cosa rara o sia Bellezza ed onestà (Der seltene Fall oder Schönheit und Ehrbarkeit), als zweites von fünf Drammi giocosi, auf die Bühne brachte, wurde diese sofort zum Publikumsmagnet und verdrängte gar Mozarts Le nozze di Figaro; da hätte jedermann auf den neuen Starkomponisten gewettet. Stattdessen geriet Solers Werk, immerhin 20 Opern und ebenso viele Ballette umfassend, in Vergessenheit, und Mozart ging mit Da Pontes Libretto-Trias für seine späten Opern in die Geschichte ein.

Emma McNairy (Isabella) © Christina Iberl
Emma McNairy (Isabella)
© Christina Iberl

Immerhin wurde die Oper bei den Händel Festspielen Halle 1963 einmal gezeigt. 2018 dann wagte das Theater Regensburg eine Ausgrabung des Werks, die in der quicklebendigen Inszenierung von Andreas Baesler und den prallbunten Kostümen und naturalistisch voluminösen, weich gerundeten Urwald- und Felsformen des Bildhauers und Malers Markus Lüpertz erfolgreich war. Das südthüringische Staatstheater Meiningen übernahm später die Inszenierung; sie wurde nun als Gastspiel in Stadttheater Fürth mit Erfolg aufgeführt.

Regisseur Andreas Baesler und sein Team kürzten das Stück drastisch; Musik, Bilder und Farben verschmelzen mit Handlung und Figuren. Ohne barockisierenden Schwulst kommen dabei viel Komik, Groteskes wie Skurriles des kleinen Meisterstücks zur Wirkung, das hinter moderner Optik in der Zeit seines Ursprungs bleibt und trotz banalem Inhalt überzeugt.

Der österreichische Kaiser Joseph II. war in seinen Reformen durchaus offen, seine Adeligen mit vielsagenden Bühnenwerken zum Nachdenken über veraltete Sitten und Bräuche anzuregen. Wie in den Libretti zu Mozarts Figaro und Don Giovanni konfrontierte er die Ehrbarkeit des einfachen Volkes mit der moralischen Korruption vieler Adliger, die sich das Ius primae noctis anmaßten und amouröse Abenteuer mit jungen Frauen bäuerlichen Standes suchten. Zeitkritische Themen wie Dekadenz des Adels und das erwachende Selbstbewusstsein der Bürger waren aktuell, umgekehrt träumten sich Adelige gern in eine ländliche Idylle, die es niemals gab. Schäfer wurden zu Sinnbildern für Freiheit und Liebe.

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Monika Reinhard (Lilla) und Tobias Glagau (Corrado)
© Christina Iberl

Wie Lüpertz das Malerische neben der Handlung und der Musik zum Thema der Inszenierung macht, ist faszinierend. Seine monumentale Waldkulisse wirkt zunächst wie ein Rohling der Natur, skurril und überzeichnet, gewinnt durch wechselnde Lichtfarben an Leben. Sie wird zum Sehnsuchtsort von Frieden und Harmonie, auf dessen geschäftiges Treiben von Bauern und Schäfern Königin Isabella und ihr Sohn Giovanni aus der Höhe herabsehen. Da setzen sich die selbstbewussten Freundinnen Lilla und Ghita den Eroberungsversuchen von Prinz Giovanni und Stallmeister Corrado aus Liebe zu ihren Verlobten Lubino und Tita erfolgreich zur Wehr.

Lilla weist standhaft das Werben des jugendlich verliebten Giovanni zurück ebenso wie das des tölpelhaften, aber begüterten Bürgermeisters Lisargo, obwohl ihr die pragmatischere Ghita die Vorzüge einer wohlsituierten Liaison schmackhaft zu machen versucht. An Lubinos Eifersucht kann das nichts ändern. Giovanni ist von Lillas Ablehnung zutiefst verletzt; aber auch neue Geschenke und eine Verkleidungsszene mit heimlichem Ständchen stimmen die Umworbene nicht um. Und erst als Lilla mit Kniefall Isabella um Hilfe bittet, kann Hoheit sie beruhigen, dass sie am Ende Lubinos Braut sein wird.

Prachtvoll stand Emma McNairy als Isabella im Mittelpunkt, von royaler Ausstrahlung auch ihr höhensicherer Mezzo. Im ersten Akt erlegt sie noch ein kleines Wildschweinchen und lässt sich dafür groß feiern. Später hat sie genug von Amt und Würden, sehnt sich beim Anblick des Waldes nach einfachem Leben: „Warum darf nicht jeder sein Schicksal in die eigenen Hände nehmen?” Da klingt zeitgenössisch gesellschaftskritische Brisanz heraus, in der sie sich sogar vom einengenden Reifrock befreit, Anmut und Natürlichkeit zeigt. Mykhailo Kushlyk, als Muttersöhnchen und verhinderter Herzensbrecher Giovanni, imponierte mit einnehmend tenoralem Schmelz, wenn er Lillas Schönheit mit Lilien und Rosen vergleicht: „Più bianca del giglio, più fresca di rosa”. Am Ende demoliert er an seiner Staffelei farbklecksend ein Ahnenporträt.

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Mykhailo Kushlyk (Don Giovanni)
© Christina Iberl

Tobias Glagau musste als Corrado zum Schluss die Schuld an allen Verwicklungen auf sich nehmen, wirkte mit wendigem Bariton durchaus sympathisch. Den durchtriebenen Bürgermeister, zwischen Adel und Bauernstand lavierend, verkörperte herrlich Selcuk Hakan Tiraşoğlu.

Leichtfüßig und klangfarbenreich erfreute die Meininger Hofkapelle unter der inspirierenden Leitung von Christopher Važan. Dass man Una cosa rara fast wie eine spritzige Mozartoper empfinden konnte, ist sicher Sound dieser Zeit, in der Konkurrenten sich beobachteten. Kenner verweisen etwa auf Anspielungen wie Leporellos „Bravi! Cosa rara!” in Mozarts Don Giovanni.

Aber auch vom wunderbar heiteren und beschwingten Spiel der beiden jungen Paare wurde der Opernabend animiert: Monika Reinhard und Johannes Mooser überzeugten als standhafte Lilla und zu argwöhnischer Lubino. Berührend verschmolzen ihre Stimmen im großen Duett von Vergebung und Zuneigung „Pace, caro mio sposo!”. Karikierende Komik ohne Klamauk gelangen Hannah Gries und Tomasz Wija als rothaarig schrille Ghita und rüder Tita. Und wenn sich Isabella schließlich unter die feiernden Paare mischt, scheint in den klangvollen Septetten und Oktetten zumindest für einen Augenblick die Welt in Ordnung zu sein. Bezaubernd!

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