Unter Donner und Blitz: Den Einsatz zur Zugabe gab die Dirigentin noch, dann schien es, als ginge sie lieber in Deckung. Marie Jacquot verließ das Podest und verschwand hinter dem Orchester. Erst zum Kollektiv-Klatschen am Schluss kehrte sie zurück. Dieser nette Gag, der auch aus den Neujahrskonzerten der Wiener Philharmoniker bekannt ist, sorgte nicht nur für Heiterkeit, er bewies auch, dass die Symphoniker aus Wien ihren Strauß ebenfalls aus dem Effeff kennen. Und es war eine schöne Geste einer Dirigentin, die sich nicht für unentbehrlich hält und im übrigen das ganze Konzert auf sympathische Weise uneitel, zugleich höchst konzentriert leitete. Sie brauchte bei diesem Orchester auch nicht penibel jeden Einsatz zu geben, kommunizierte dennoch intensiv mit wachem Blick und klarer Geste, gab die große Linie vor, sorgte für spannungsvolle Dynamik und strahlte bei allem enorme Gelassenheit aus. Das Ergebnis war großartig. Das Orchester spielte hingebungsvoll.

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Marie Jacquot mit den Wiener Symphonikern
© Andrea Kremper

Tschaikowskys Violinkonzert und Erich Wolfgang Korngolds Sinfonietta standen auf dem offiziellen Programmzettel. Beide Werke haben trotz aller Verschiedenheit doch manches gemeinsam: Beide wurden ehedem in Wien aus der Taufe gehoben und beide nehmen auf ihre Weise durch eminente Virtuosität und beglückende Melodik für sich ein. Tschaikowskys Konzert besticht durch seine klar konturierte Architektur, Korngolds Sinfonietta dagegen prunkt mit unbändigem Ideenreichtum.

Vor der geplanten Uraufführung von Tschaikowskys Violinkonzert hatte der vorgesehene Geiger noch kapituliert: unspielbar! Von derlei Zweifeln war Leonidas Kavakos zum Glück meilenweit entfernt. Technische Sorgen waren nicht einmal zu ahnen, sein Ansatz konnte sich mit starkem Ausdruckswillen und reicher Farbgebung intensiv gleich der musikalischen Gestaltung widmen. Wie im ersten Satz, wo er vom sanften Präludieren mit warmem Ton in das Thema einstieg, um es dann im Verein mit dem Orchester kernig weiterzuspinnen. Die bald folgende Kadenz wurde zu einem Hochseilakt an Virtuosität und Klangfülle, wundervoll gesättigt in der Mittellage und silbrig glänzend in eisigen Höhen, ohne Schärfe oder Spitzigkeit. Den melancholischen Tonfall der Canzonetta kosteten Solist und Orchester gleichermaßen aus, mit wunderschön schwingender Melodielinie, zauberhaft von den Holzbläsern assistiert. Nach einem energischen Knall ging es attacca mit aberwitzigem Tempo in das Allegro-vivacissimo-Finale mit seinem Auf und Ab der Stimmungen: hier bedächtig, da feurig und alles rhythmisch makellos. Bei Bachs Andante aus der Zweiten Violinsonate als Zugabe verzauberte der Geiger nochmals durch sein feines Gespür für die Symbiose von Melodie und Rhythmus.

Leonidas Kavakos und Marie Jacquot mit den Wiener Symphonikern © Andrea Kremper
Leonidas Kavakos und Marie Jacquot mit den Wiener Symphonikern
© Andrea Kremper

Temporeicher Glanz war auch in Korngolds Sinfonietta das Thema. Als größtes Wunderkind nach Mozart galt er im Wien der frühen 1900er Jahre, wurde von Gustav Mahler bewundert und durfte erste Opern mit 20 Jahren an der Hofoper aufführen lassen. Die Sinfonietta ist der Geniestreich des Fünfzehnjährigen. Wirklich ein phänomenales Stück: ein Jonglieren mit Klangfarben, eine meist rasante Jagd thematischer Ideen, was dem Orchester höchste Virtuosität abverlangt. Und auch hier blieb es dem Publikum nichts schuldig. Die Präzision war bestechend, vor allem war das Klangbild plastisch und transparent und ließ die aparte Instrumentation blühen, zum Beispiel wo Korngold dem Englischhorn oder dem Kontrafagott, der Celesta oder dem Glockenspiel prominente Auftritte verschafft.

Korngold sagte, er habe nie unterschieden zwischen seiner Konzert- und seiner Filmmusik. Für Letztere bekam er immerhin zweimal den Oscar. Tatsächlich hat man bei seiner Musik irgendwie immer das Gefühl, der Film liegt in der Luft. Im Blick auf die Sinfonietta auf jeden Fall: über weite Strecken Filmmusik noch lange vor der Erfindung des Tonfilms.

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