Ist Gaetano Donizettis Liebestrank ohne Chor denkbar? Schließlich ist er ein integrativer Bestandteil dieser Oper, sorgt für Flair, vor allem für einen flüssigen Ablauf, denn er übermittelt wichtige Handlungsinformationen, charakterisiert durch Kommentare die Figuren und ihr Verhalten. Geht diese Oper ohne die grandiosen Ensembleszenen, in denen sich der Fokus von der Dorfgemeinschaft auf die Hauptfiguren fokussiert? Vor allem: Kann diese Oper ohne das raffiniert zusammengestellte Orchester ihre komische Wirkung erzielen, das neben einer Piccoloflöte als Gegengewicht auch immerhin drei Posaunen enthält?

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José Romero, Bibi Ortjens, Sam Carl, Martin Mkhize​ und Julietta Aleksanyan
© Bjorn Frins

Beantwortet man diese Fragen mit Nein, dann müsste die neue Produktion dieses Werks an der Opera Zuid in Maastricht von vornherein zum Scheitern verurteilt sein. Nicht zuletzt durch Corona, aber auch aufgrund des Charakters dieser Operngesellschaft, die ohne festes Ensemble und ohne eigenes Haus auskommt und an unterschiedlichen Orten spielen muss, verbietet sich der große Chor, und so sind diese Passagen ersatzlos gestrichen, aber siehe da, nur wer die Oper gut kennt, wird den Chor vermissen, ansonsten nicht einmal merken, dass etwas fehlt. Auch die Ensembleszenen sind stark zusammengestrichen, und doch ist alles von der Handlung vorhanden – der verliebte, von allen als Außenseiter und Dummkopf abgelehnte Nemorino, die eitle und selbstgefällige Adina, in die er unglücklich verliebt ist, der bramarbasierende, sich als Frauenheld selbst bewundernde Belcore und der Quacksalber Dulcamara, schließlich das Happy End. Eine der größten Leistungen dieser Inszenierung besteht in der dramaturgischen Straffung. Sie kommt mit rund neunzig Minuten aus, wirkt dadurch ungemein temporeich und witzig in jeder einzelnen Minute.

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José Romero (Nemorino)​ und Julietta Aleksanyan (Adina)
© Bjorn Frins

Dabei hat sich Regisseur Marcos Darbyshire große Beschränkungen auferlegt. Die Produktion entstand in Zusammenarbeit mit der Nederlandse Reisopera, wird also durch die Lande touren, daher beschränkt sich das Bühnenbild auf einen einzigen Raum; Darbyshire ließ sich von Amber Vandenhoeck ein schlichtes Wohnzimmer mit kleiner Bar bauen. Hier versammeln sich alle Beteiligten, in dieser Inszenierung ein paar Schulfreunde, um die kapriziöse Adina, die sich nach dem Unterricht die Zeit vertreiben, und dazu gehört auch der abendliche Drogenkonsum, weshalb zwischen den beiden Akten alles in eine Art psychedelische Alptraumwelt mutiert.

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Julietta Aleksanyan (Adina) und Bibi Ortjens (Giannetta)
© Joost Milde

Mit dieser Verjüngung des Personals gelingt Darbyshire gleich zweierlei. Zum einen trifft er damit das Zielpublikum, denn die Opera Zuid strebt ein junges Publikum an, zum anderen kann er ganz die in dieser Generation wie selbstverständlich genutzten Kommunikationsmedien einsetzen. So reicht der Blick einer Figur aufs Handy, und die Nachricht vom Tod von Nemorinos Oheim und dem daraus folgenden Erbe hat sich in Windeseile verbreitet, es bedarf keiner zusätzlichen Szenen mit Chor. Alle Figuren sind außerdem gleichzeitig im Zimmer, so bekommt Adina persönlich mit, wie sich Nemorino bei der Armee verdingt, um von dem Sold das Geld für den vermeintlichen Liebestrank zu erhalten.

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Bibi Ortjens (Giannetta) und Sam Carl (Dulcamara)
© Bjorn Frins

Und das Orchester? Pedro Beriso hat Donizettis Orchester in seiner Bearbeitung auf eine Art Combo reduziert: Zwei Violinen, eine Viola, ein Cello, Kontrabass, die Bläser sind durchweg solistisch besetzt, dazu als Ergänzung ein Klavier. Damit ist natürlich nicht Donizettis Klangreiz zu erzielen, aber gerade die solistische Besetzung lässt den Witz der Partitur deutlich hervortreten, zumal Enrico Delamboye durch die kleine Besetzung das Tempo straffen konnte und den Verlust an Klangraffinesse durch Elan und Temperament ersetzte.

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Martin Mkhize​ (Belcore)
© Bjorn Frins

So ist eine ganz neue, spritzige Version entstanden, die dank zweier grandioser Sänger für Donizettiglück sorgt. Julietta Aleksanyan brillierte als Adina mit keckem Ausdruck, leichter Höhe und brillanten Koloraturen, und José Romero bringt für Nemorino die ideale Stimme mit lyrischem Tenor, Schmelz und Gelenkigkeit mit. Martin Mkhizi hat für den Frauenhelden Belcore eine fast zu schöne Stimme, sein warmer Bassbariton ist geradezu betörend, doch konnte er die Rolle mimisch adäquat auf die Bühne bringen, was umso erstaunlicher ist, als die Inszenierung ja ohne übliche Kostüme auskommt. Alle tragen Alltagskleidung heutiger wohlbetuchter Jugendlicher. Sam Carls Dulcamara reichte stimmlich an das genannte Trio nicht heran, überwältigte aber durch schauspielerischen Witz.

Für Donizettifans und Opernpuristen ist diese Produktion nicht geeignet, für sie ist sie aber auch nicht gedacht, doch für ein junges Publikum könnte sie eine ideale Hinführung zur Kunstform Oper sein, und da ist es sicher von Vorteil, dass sie nun coronabedingt nur per Stream im Internet erlebbar ist, dem idealen Medium für die Jugend.


Die Vorstellung wurde vom Livestream auf OperaVision rezensiert.

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