Elīna Garanča als Santuzza und Jonas Kaufmann erstmals als Canio an der Wiener Staatsoper – das ist fürwahr kein Grund zum Seufzen, hätte man nicht auch noch John Tetelman, den neuen Superstar am Tenorhimmel, mit seinem Staatsoperndebüt als Turiddu in diesem beliebten Verismo-Doppelpack erwartet, das bei englischsprachigen Opernfreunden kurz Cav & Pag heißt. Dank eines kompetenten Einspringers fiel diese Absage allerdings weniger ins Gewicht als zunächst befürchtet.

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Elīna Garanča (Santuzza)
© Anita Monserrat (Lola)

Dieser Turiddu hat gerade seine Soldatenzeit hinter sich, und er eröffnet Cavalleria rusticana mit einer Serenade an seine alte und neue Liebe Lola, die zwischenzeitlich mit dem reichen Alfio verheiratet ist. Allerdings sollte man sich gerade im Sizilien des ausgehenden 19. Jahrhunderts nicht beim Ehebruch erwischen lassen, denn gut geht diese Geschichte nicht aus, und gut fing sie an diesem Abend auch nicht an, denn das Ständchen klang alles andere als verführerisch. In Wien hat das aber beinahe Tradition, denn aufgrund der ungünstigen Position des Sängers begann schon mehr als eine Cavalleria schwach und endete erstaunlich stark.

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Adam Plachetka (Alfio) und Arsen Soghomonyan (Turiddu)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

So war es auch diesmal, denn Arsen Soghomonyan bot eine für einen Einspringer eine bemerkenswert gute Leistung und hatte auch keine Mühe, in den dramatischen Szenen über das groß aufspielende Orchester zu singen. Dass er demnächst an der Bayrischen Staatsoper und am Royal Opera House in Covent Garden verpflichtet ist, wundert nicht. Schauspielerisch brachte er sich im zweiten Teil des Stücks mit etlichen Grobheiten gegenüber Lola ein, aber das passt zur Rolle eines schwer Angeheiterten, der eine heftige Beziehungsdiskussion mit seiner Freundin hinter sich hat.

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Elīna Garanča (Santuzza) und Elena Zaremba (Lucia)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Diese heißt Santuzza und liebt ihn geradezu abgöttisch, was er angesichts der Affäre mit Lola jedoch nicht mehr erwidert. Für Elīna Garanča ist die enttäuschte Außenseiterin, die um ihre Liebe kämpft, eine Glanzrolle, mit der sie an diesem Haus bereits 2019 großen Erfolg hatte. Mittlerweile hat ihre Stimme deutlich an Volumen gewonnen, ohne an Schönheit einzubüßen, und das ermöglicht ihr neben einer phänomenalen Kundry auch eine im besten Sinne dramatischen Santuzza. Als bekannte Perfektionistin ist sie auch in der Höhe mühelos unterwegs und kann so alle Facetten dieser komplexen Figur zum Strahlen bringen. Schauspielerisch deutet sie an, von Turiddu schwanger zu sein. Santuzzas Verzweiflung, nicht nur von der Dorfgemeinschaft verstoßen zu sein, würde das Publikum aber auch ohne diese zusätzliche Interpretationsebene ergreifen.

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Anita Monserrat (Lola)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Als sie den Geliebten an Alfio verrät, lernt Santuzza eine andere Art von Eifersucht als ihre eigene kennen, nämlich verletzten männlichen Besitzerstolz, der im Duell wieder saniert werden muss. In dieser alles andere als sympathischen Rolle beeindruckt Adam Plachetka mit Souveränität und Stimmkraft. Allerdings blieb er in seinem selbstgerechten Zorn recht statisch, auch wenn die Musik Bewegung geradezu herausfordert. Als Lola war Anita Monserrat gesanglich makellos, doch hat man schon deutlich selbstbewusstere und raffiniertere Darstellungen gesehen. Lucia, Turiddus „Mamma“ und Dorfwirtin, wird in dieser Serie von Elena Zaremba gesungen, die auf eine lange Karriere zurückblicken kann. Sie berührt mit lebensecht gespielter Hilflosigkeit und Unverständnis beim Abschied des Sohnes vor dem für ihn tödlichen Messerduell.

Jonas Kaufmann (Canio/Pagliaccio) © Wiener Staatsoper | Michael Pöhn
Jonas Kaufmann (Canio/Pagliaccio)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Aber auch in Kalabrien, dem Schauplatz von Pagliacci, sitzen die Messer locker und beben die Gefühle noch heftiger als die dortige Erde: In Ruggero Leoncavallos berühmtestem Werk ersticht der eifersüchtige Canio zuerst seine Ehefrau und dann deren herbeieilenden Liebhaber auf offener Bühne, womit die Clown-Komödie einer wandernden Schauspieltruppe zur Tragödie wird.

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Adam Plachetka (Tonio/Taddeo), Maria Agresta (Nedda/Colombina) und Jörg Schneider (Beppo/Arlecchino)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

So weit, so bekannt, doch gibt es in dieser Serie eine Überraschung, denn der Proglog „Si può…“ wird nicht von Tonio, sondern Canio alias Jonas Kaufmann im knallbunten Clownkostüm gestaltet – ein besonderes „Zuckerl“ für das Wiener Publikum, und eine etwas längere Pause für Adam Plachetka nach seinem großen Alfio-Auftritt, bevor er sich als Tonio sehr direkt an Canios Frau Nedda heranmacht. Allerdings bleibt er erfolglos, weil diese mit Silvio ohnehin einen Verehrer hat, der mit ihr durchbrennen will, und von Stefan Astakhov bei allem Realismus passend romantisch gesungen wird. Wie in Cavalleria wird aus Enttäuschung Verrat, und der aufgestaute Affekt des betrogenen Canio („Vesti la giubba…“) führt zur Katastrophe, zum Femizid. Jonas Kaufmann porträtiert ihn zunächst als Liebenden mit lyrischer Stimme, der aber wohl fühlt, dass sich Nedda, um die er sich seit ihrer frühen Jugend gekümmert hat, entfremdet hat – eine ganz andere Charakterstudie als sein halbstarker Salzburger Canio vor zehn Jahren, aber ebenso überzeugend und stimmstark in seiner Verzweiflung wie seinerzeit.

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Jonas Kaufmann (Canio/Pagliaccio) und Maria Agresta (Nedda/Colombina)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Das Herrenquartett ergänzte Jörg Schneider als Harlekin Beppo perfekt. Maria Agresta war als Nedda spielfreudig, zeigte aber in ihrer großen Arie von der Sehnsucht nach einem freien, neuen Leben reichlich Verbesserungspotenzial. Nichts zu kritisieren gab es hingegen am Dirigat von Nicola Luisotti, dem speziell das berühmte Intermezzo hervorragend gelang, und auch die Inszenierung von Jean-Pierre Ponnelle ist bekannt zeitlos-attraktiv. Steigende Femizid-Raten und Diskussionen um ein Messerverbot im öffentlichen Raum holen die Themen von Cav & Pag jedoch leider ins Hier und Heute, weshalb dieser Opernabend nicht nur begeistert, sondern auch nachdenklich stimmt. 

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