Wenn ein Charismatiker wie Erwin Schrott den mutigen Schritt von Rollen wie Escamillo oder Don Giovanni zu Don Pasquale unternimmt, ist man zunächst schockiert, dann neugierig: Wie gelingt die Verwandlung vom feurigen Womanizer in einen alten Mann im zweiten Frühling, der sich alsbald unter der Fuchtel einer viel jüngeren Ehefrau wiederfindet?

Erwin Schrott (Don Pasquale) und Davide Luciano (Malatesta) © Wiener Staatsoper | Michael Pöhn
Erwin Schrott (Don Pasquale) und Davide Luciano (Malatesta)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

In der Inszenierung von Irina Brooks an der Wiener Staatsoper helfen Halbglatze samt schlechtsitzendem Toupet, Hosenträger zu Feinripp à la Mundl Sackbauer und ein wattierter Bierbauch, doch haben Äußerlichkeiten allein in der Oper noch nie gereicht: Es gibt Sänger, die für die Partie nicht lange in der Maske sitzen und doch nicht recht überzeugen, und dann gibt es unvermutete Besetzungen wie eben Schrott, die den anderen zeigen, wo Don Pasquale den Hochprozentigen holt. Mit seiner Lust am Spiel und einer großen Portion Selbstironie gibt er eine köstliche Vorstellung, die man gesehen haben muss. Auch die weiblichen Schrott-Fans kommen auf ihre Rechnung, da er in der Anbahnungsphase der Ehe auch schöner sein darf, als es das Klischee erlaubt. Die beste Nachricht ist jedoch, dass er auch stimmlich wieder bestens in Form ist, was ihm wohl nicht nur im Buffo-Fach neue Horizonte eröffnet.

Loading image...
Pretty Yende (Norina) und Edgardo Rocha (Ernesto)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Seine Leistung schmälert nicht, dass die Inszenierung oberflächlich ist, und daher nicht viel mehr als plakative Komik gefragt ist. Die Regie gefällt zwar mit witzigen Details – so wechselt der Don angesichts des Ehe-Fiaskos von alkoholischen Stimmungsmachern zum Er- und Ausnüchterungskaffee – sucht aber nie den Tiefgang, obwohl die Geschichte genug Stoff für Kontraste hergibt. Schließlich wird der Don von seinem Vertrauten, dem Dottore Malatesta, betrogen und um die Hälfte seines Vermögens gebracht, welches bei Pasquales Angetrauter Norina und seinem nichtsnutzigem Tenor-Neffen Ernesto landet (also Norinas Geliebtem). Auch die Ohrfeige, die Pasquale von Norina bekommt, und die allgemeine Heiterkeit angesichts der Demütigung eines alten Mannes sind nicht gerade vom Geist der Wokeness durchdrungen. Man will ja nicht (noch) eine moralisierende Regiearbeit sehen, aber ein Tropfen Bitterkeit hätte dieser rosa Zuckerwatte-Produktion mehr Geschmack und Biss verliehen.

Apropos Zuckerwatte: „Pretty in Pink“ ist das Motto des dritten Aktes, wo Pasquales biederes Café in Zuckerlrosa und Zebramuster umgestaltet ist, was natürlich dem Umgestaltungswillen und der finanziellen Unbekümmertheit Norina geschuldet ist. Die gerissene junge Witwe ist eine Glanzpartie für Pretty Yende, die all ihre Tricks zeigen kann und ihre Stimme auf Achterbahnfahrten schickt. So wie sie mit Don Pasquale umspringt, fühlt man sich an eine gemeine Version ihrer resoluten Marie in La Fille du régiment erinnert, sodass man sich fragt, ob sich Ernesto diesen Hausdrachen überhaupt antun will. Witzig (und für diese Inszenierung passend) ist ihre Darstellung aber allemal, auch wenn ihr die unbekümmerten und verliebten Anteile diese Figur verständlicherweise näher sind.

Loading image...
Davide Luciano (Malatesta) und Erwin Schrott (Don Pasquale)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Davide Luciano ist als Malatesta (was sich irgendwo zwischen Böskopf und Dickschädel übersetzen lässt) eine Art Dr. Feelgood, der anfangs Pasquales Wattebauch massiert, aber keine Skrupel kennt, wenn er sich gegen seinen Freund und Patienten und auf die Seite der Verliebten stellt. So wie er wie entspannt und frisch aus dem Barbershop zu kommen scheint, kann er kein Wässerchen trüben. Dabei ist dieser sonore, wunderbar phrasierende Bariton mit allen stimmlichen und darstellerischen Wassern gewaschen, hätte auch Erfolg als „Arzt, dem die Frauen vertrauen“.

Schön, dass auch die Chemie zwischen Schrott und Luciano zu stimmen scheint, von Konkurrenz merkt man da nichts. Das Duett „Cheti, cheti immantinente“ war ein Höhepunkt dieser Zusammenarbeit und des gesamten Abends. So brillant hat man das rasante Parlando des Schlusses noch nie gehört, und man war dankbar, dass die beiden dieses Husarenstück wegen der allgemeinen Begeisterung nochmals zum Besten gaben.

Loading image...
Pretty Yende (Norina) und Edgardo Rocha (Ernesto)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Demgegenüber war Edgardo Rocha als Ernesto allenfalls solide. Er singt, was er soll, allerdings ist die Stimme eng geführt und blüht in der Höhe nie auf. Man tut ihm nichts Gutes, wenn man ihn als neuen Belcanto-Star hypt, da ist noch einiges an Arbeit nötig. Auch sein Schauspiel ist eine etwas trockene Angelegenheit, so wie sein „Com’è gentil“ nur in Ansätzen die Romantik einer lauen Aprilnacht beschwört. Das mag aber daran liegen, dass der Rest der Besetzung eben eine Klasse für sich ist.

Hochkarätig war jedenfalls die Leistung von Giampaolo Sagripanti am Pult, unter dessen Leitung das Staatsopernorchester den besten Donizetti seit langem hören ließen. Sängerfreundlich und flexibel – genau so vermittelt man den Witz dieses Dramma buffo. Bei dem Schwung und der Leichtigkeit, mit der da musiziert wurde, dachte man schon vorfreudig ans Neujahrskonzert.

****1