Die Auftritte des britischen Vokalensembles Stile Antico sind mir in bester Erinnerung. Nicht deshalb, weil meine vor jetzigem Konzert leider nur zwei konkreten Begegnungen, live in Bonn für eine Auswahl an Christmas Carols und digital zum 500. Gedenktag Josquins anlässlich des Boston Early Music Festival, äußerst überschaubar und damit gut rekapitulierbar sind. Oder aufgrund meines allgemeinen Faibles für A-cappella-Renaissancemusik, die oft in der besonderen Chortradition Englands nachhaltigen Eindruck hinterlässt. Sondern – wer hätte es geahnt?! – in darüberhinausgehender, aussagekräftiger Wortbedeutung durch die besondere Klasse der Ausführung.

Stile Antico © Fiona Bischof
Stile Antico
© Fiona Bischof

Mit Palestrina500 steht dieses Jahr ein weiteres halbjahrtausendjähriges Jubiläum einer der größten Polyphoniemeister, ja des bedeutendsten seiner Zunft an, dessen Würdigung selbstverständlich auch das himmlische, selbst 20-jährigen Geburtstag feiernde, gar mit dem Stilnamen persönlich verbundenste Brot-und-Butter-Geschäft Stile Anticos ist und nach Josquin und William Byrd den Abschluss der Trilogie The Golden Renaissance bildet. So unter anderem – mit der Touragenda The Prince of Music, über Jahrhunderte verliehene Ehrbezeichnung und zugleich Titel des 2009 erschienenen Films Georg Brintrups über Palestrina – auch beim Dortmunder Klangvokal Musikfestival, in dessen Kalender jene Kombination aus Renaissance sowie britischen Exzellenzgruppen und damit Exportschlagern seit jeher einen festen Platz hat.

Stile Anticos Programm deckte mit insgesamt elf Stücken des Komponisten einen breiten Querschnitt Palestrinas Schaffens ab, das in symbolischer Numerologie in vier Teile zu je drei Werken (mit heiliger Zwölf begann der Abschnitt „Zum Lob der Musik“), auch jenen von sieben Zeitgenossen, Vorgängern und Nachfolgern, sowie einen fünften Part, „Reiches Erbe“, untergliedert war. Drei der Palestrina-Beispiele dienten dabei wiederum als Pro- und Epilog sowie Zwischensatz dieser kleinen, detailbetrachtend dramaturgisch aufschlussreichen Musikbiographie unter den Päpsten und Kardinälen Roms und dem Herzog von Mantua Mitte beziehungsweise gegen Ende des 16. Jahrhunderts.

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Stile Antico
© Fiona Bischof

So ausgeklügelt und in besetzungs- wie affektbeschreibenden, rhetorisch-dynamischen Kontrasten wohl durchdacht auch die Darbietung des in voller, choreographisch wechselnder Aufstellung zwölfköpfigen Vokalensembles, die der musikalischen Kunstfertigkeit Palestrinas, komplizierte Strukturen wie eine einfache Fügung wirken zu lassen, nicht nur das außergewöhnliche Level und dazu die beabsichtigte himmlische Komponente, sondern einen natürlichen, stets herzerwärmenden und gänsehautproduzierenden Touch verlieh. Gelassene Harmonie, entschlossenes Bekenntnis und demütig-andächtige, auch theatralische Empathie erfuhren so eine klar und rein fließende, betonte, lebendige, glamouröse und frische Vergegenständlichung zur Einpflanzung der jeweils kombiniert transportierten, alle Zeit vergessen machenden Herrlich- und Frömmigkeit. Just eben für die Ewigkeit komponiert, mochte man Stile Anticos Palestrina-Klängen, darunter das „Credo“ der bekannten, ruhmtoppenden Missa Papae Marcelli, daher zielerreichend am liebsten ewig lauschen.

Das galt zudem den Stücken der anderen Notensetzer, sei es mit Josquins beeindruckendem Salve Regina à 5, Arcadelts untertönigem (diskantlosem) Pater noster, Victorias schmeichelnd-überzeugendem Trahe me post te oder dem für sich sprechenden Musica Dei donum di Lassos. Darin heißt es: „Musik, das Geschenk Gottes, zieht die Menschen zum Besten“ – besser könnte man Motivation zum und Gehörtes im Konzert nicht zusammenfassen!

Oder mit den glaubensessenzhaltigen Beispielen Anerios (Christus factus est) und Allegris (Christus resurgens) sowie – apropos für sich sprechend – mit der aktuell tätigen, 1980 geborenen britischen Komponistin Cheryl Frances-Hoad, die Palestrina wörtlich und durch das „Gloria“ der Missa Papae Marcelli zitiert. Ihr 2024 geschriebenes A Gift of Heaven, in der der Solo-Tenor (Stile Anticos wunderbar heller und deutlicher Jonathan Hanley) die Worte über einem atmosphärischen Chorbett rezitiert, offenbarte sich als eine chorisch elegante, dramatische und kraftvolle Inspiration und Ehrerweisung umfassender Art. Meine dritte Begegnung mit Stile Antico bleibt demnach ebenfalls in bester Erinnerung.

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