Schöne Zufälle gibt es: Nach der wohlwollend aufgenommenen Premiere zum hundertfünfzigjährigen Bestehen der Wiener Staatsoper fiel die Wiederaufnahme von Die Frau ohne Schatten auf den hundertsten Jahrestag der Welturaufführung am Haus, gleichzeitig feierte man die 150. Aufführung. Verglichen mit mehr als tausend Mal Rosenkavalier scheint das wenig, allerdings sollte man keine Äpfel-Birnen-Vergleiche bemühen, mögen die Früchte auch vom selben Gärtner stammen. Wenn man schon einen kulinarischen Vergleich ziehen möchte, landet man eher beim Gänsebraten – den kann es auch nicht alle Tage geben.
Ein musikalisches Festessen wie dieses kann nur ein ressourcenstarkes Haus wie die Wiener Staatsoper anrichten, denn zum einen ist das Werk eine „Prüfungsoper für Primadonnen und Tenoristen“, wie Direktor Dominique Meyer in seiner Festadresse vor der Jubiläumsausstellung Julius Korngold zitierte, zum anderen braucht man ein in Quantität und Qualität großes Orchester, dirigiert von einem Strauss-Versteher. Christian Thielemann genießt diesbezüglich mittlerweile Kultstatus, weshalb ihm in besagter Ansprache auch ein Faksimile von Franz Schalks Uraufführungspartitur übereignet wurde.
Ob das einen motivierenden Effekt hatte? Gemessen am Ergebnis möchte man das bejahen – so müssen Märchen klingen. Spätestens mit dem ersten Aktschluss war man berauscht vom Klang, für den natürlich auch dem Orchester zu danken ist; Konzertmeister Honeck war Thielemann ein mehr als verlässlicher Partner, und das Geigensolo im dritten Akt hatte etwas von rosenkavalierartiger Süße, um nur eines von vielen faszinierenden Details hervorzuheben. Ob man aber das Falkenthema in den Flöten lieber einförmig-persistierend (wie an diesem Abend) oder akzentuierter hören will, darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein.
Auch über das Libretto lässt sich diskutieren, denn Hofmannsthals kakanisch-gestelzte Kunstsprache wirkte schon zu seinen Lebzeiten „Retro“, als das noch gar kein selbständiger Begriff war; andererseits hat Hofmannsthals Text Strauss enorm inspiriert, und ein anderes Vehikel für diese feine und doch monumentale Musik ist schwer vorstellbar. Aber auch der transreligiöse, symbolistisch verbrämte Inhalt (Was macht das Menschsein aus?) ist nicht jedermanns Sache, zumal das Thema Fruchtbarkeit (oder deren Abwesenheit) für einige schmerzhaft sein kann, ebenso das (Wieder)erkennen von Beziehungsmustern im Hause Färber oder Kaiser.
Diese Komplexität für die Bühne aufzubereiten, wäre Aufgabe des Regisseurs, allerdings ist Vincent Huguet kein großer Wurf gelungen, auch wenn er die Wiederaufnahme persönlich betreute und sich beim Schlussapplaus dem Publikum stellte. Irritierend das fehlende Spiel mit Licht und Schatten, berührend immerhin die Idee, das Potenzial der beiden von Kaiser- und Färberpaar als Eltern zu zeigen. Der Schlafzimmerpavillon im ersten Aufzug, den Bühnenbildnerin Aurélie Maestre auf Stelzen gesetzt hat, verbreitet noch märchenhafte Exotik, damit ist aber schnell Schluss; den Rest des Abends sieht man nur mehr jene Seite der „südöstlichen Inseln“, die so steinern-unfruchtbar wie ihre Protagonisten sind. Muss heutzutage alles grau sein, um die Bedeutungsschwere eines Werks oder von Regieideen zu unterstreichen?