„Composing isn’t a profession: it’s a way of life! I feel the need to do it. It’s such an important part of my life that it’s as difficult for me to describe it as it is to express the world I live in.” So ehrlich beschreibt die in Helsinki geborene Komponistin Kaija Saariaho ihr Lebensgefühl als Komponistin. Wenn sie komponiert, dann schließt sie sich ein, um jegliche Ablenkung zu vermeiden. Nach der Uraufführung ihres Stückes Vista (2019) in Helsinki vor zwei Wochen, gab es nun dessen deutsche Erstaufführung mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Susanna Mälkki. Bei den diesjährigen Sommerfestspielen in Aix-en Provence sind ihr drei Konzerte gewidmet mit u.a. der Uraufführung ihrer neuen Oper Innocence.
In ihren mehr als 120 Werken (Innocence ist bereits ihre fünfte Oper) hat Saariaho von Kammermusik für Kantele (eine griffbrettlose Kastenzither) bis hin zu elektronischer Musik sehr Unterschiedliches geschrieben. Gemeinsam sind ihren Werken die sensuelle Klangfarben-Fantasie. Mit ihrer sehr individuellen Musiksprache knüpft Saariaho an den französischen Impressionismus und die Spektralmusik an.
Die ebenfalls finnische Dirigentin Susanna Mälkki dirigierte die für großes Orchester geschriebene Partitur wie schon bei der Uraufführung mit konzentrierter Ruhe und Überblick. Vista beginnt mit einem langen langsamen Oboensolo und entwickelt seine Klangfabenpracht subtil über Holzbläser und hohe Streicher bis hin zu den melodischen Schlaginstrumenten. Zwei Piccoloflöten, Es-Klarinette und Englischhorn, Glockenspiel, Xylophon und Marimba – die so entstehenden Klangfelder sind raffiniert ausbalanciert über vielfältig tremolierenden Streichern. Durch leichte Tonverschiebungen wird die harmonische Basis minutenlang in der Schwebe gehalten. So baute sich die Spannung im ersten Satz, Horizons, Calme, espressivo, durch abwechslungsreiche minimale Verschiebungen im großen, klassisch besetzten Orchesterapparat auf. Es machte Spaß, den konzentriert spielenden Musikern der Berliner Philharmoniker bei ihrer filigranen Arbeit zuzuschauen. Nach einer guten Viertelstunde nimmt Saariahos Vista mit dem attacca einsetzenden zweiten Satz, Horizons, Andante, eine überraschende Wendung. Mit vier lauten Trompeten über schnell tremolierenden Streichern wird die Musik nicht nur drohender, sondern auch virtuoser. Im folgenden hektischen Chaos formt sich ein Vulkanausbruch, jäh gestoppt durch ein Paukensignal, welches die Rückkehr einläutet zur anfänglichen Klangmauer aus Streichern und Holzbläsern. Es folgt ein klagendes Beschauen und spätromantisches Sehnen in der undurchdringlich-eigentümlichen Saariaho'schen Klangwelt. Am Ende klingt im Vibrafon ein d‘ (gefühlt) unendlich lange nach in der abgedunkelten Berliner Philharmonie.
„Die Wahrheit ist ein Rauch“, heißt es im Prolog zu Bartóks Einakter Herzog Blaubarts Burg, die danach mit Ildikó Komlósi und Johannes Martin Kränzle zu einer hervorragenden konzertanten Aufführung kam. Bartóks Komposition schloss deshalb so ingeniös an das vorige Stück an, da auch er mit den herkömmlichen Orchesterfarben zu zaubern wusste. Auch Blaubart ist ein rätselhaftes Werk, dass in Dunkelheit endet. Das Orchester ist bei Bartók nicht nur das rätselhafte Schloss, in das Blaubart seine junge Frau Judith mitnimmt, sondern nacheinander auch die Folterkammer, der Zaubergarten und der stille Tränensee. Das Libretto des Schriftstellers und Drehbuchautors Béla Balázs belichtet in bildreichen Metaphern die vielen Seiten des menschlichen Wesens. Judith und Blaubart werden sich in diesen Szenen einer Ehe immer ähnlicher und somit ist diese Oper auch mehr als hundert Jahre nach ihrer Uraufführung 1918 immer noch modern. Komlósi begann ihrer Rolle entsprechend sehr vorsichtig, liebevoll und optimistisch. Im Verlauf der Oper wurde ihre Stimme immer klanggewaltiger und auch ihr Gestus fordernder, fast aggressiv. Mit ihrer in allen Registern vollen und warmen Stimme machte sie die Verwandlung der schüchtern Folgsamen zur wütend Fordernden bravourös sicht- und hörbar, vor allem aber fühlbar. Kränzle setzte parallel dazu seine entgegengesetzte Wandelung zusätzlich auch mit imposantem Mienenspiel um. Man bekam stets mehr Mitleid mit diesem zum Ende hin demontierten Machomann.
Die Philharmoniker setzten das akustische Dekor beängstigend akkurat um. Unter Mälkkis feinfühligem Dirigat kamen die Waffenkammer durch den fabulös geblasenen Marsch der Trompeten und die von Gold und Diamanten glitzernde Schatzkammer ungemein klar und deutlich ans Licht. Das C-Dur-Rauschen nach dem Öffnen der vierten Tür mit herrlichen Horn- und Klarinettensoli machte den Zaubergarten zu einem Erlebnis, wozu auch Komlósi mit der reichen Gefühlspalette ihrer Stimme beitrug.
„Nacht bleibt es nun ewig.“ So endete Bartoks Meisterwerk, dass mit Hilfe einer neben der Orgel doppelchörig postierten Bühnenmusik aus vier Trompeten und vier Altposaunen orgiastische Klanggewalten hervorbrachte.
Die Vorstellung wurde vom Livestream der Berliner Philharmoniker in der Digital Concert Hall rezensiert.
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