Wolfgang Amadeus Mozarts Die Zauberflöte, die Oper aller Wiener Opern, wurde 1791 im Freihaustheater in Wien uraufgeführt. Am 1. September 1869 fand die erste Zauberflöten-Vorstellung an der Wiener Staatsoper statt, wo es seither ein Dutzend Inszenierungen und über 100 Taminos gab, von Gustav Walter bis Fritz Wunderlich und Michael Schade. Ein gefeierter, doch in Wien neuer Tamino, gesellt sich bei der Premiere von Barbora Horákovás Neuinszenierung zu dieser illustren Runde: Julian Prégardien. Wir treffen uns im Wiener Kaffeehaus mit Blick auf die Staatsoper, um über sein Debüt am Haus am Ring zu sprechen, über Weisheit und Liebe, und natürlich Schubert.

Wer ist Tamino für dich? Inwiefern willst du dich überhaupt festlegen und wie viel dem Publikum überlassen?
Tamino ist vor allem ein Wegbegleiter, und zwar von mir selbst. Ich kenne diesen Typen seit ich ein Kind bin. Familienbedingt, aber auch wegen meiner eigenen Ausbildung. Ich habe als Zehnjähriger zum ersten Mal den ersten Knaben gesungen und hab damals wie alle Papageno eigentlich cooler gefunden als Tamino. Das hängt mit dem Kostüm zusammen, das hängt mit der Nahbarkeit dieses Charakters zusammen.
Aber wenn ich mir dann vor Augen führe, wer ich bin, wie ich durch die Welt laufe, was ich suche, dass ich auf der Suche bin und dass es nicht nur Essen und Trinken gibt, sondern eben doch auch solche Parameter wie Weisheit eine Rolle spielen, dann ist Tamino schon ein wichtiger Wegbegleiter.
Bekommst du durch unterschiedliche Inszenierungen neue Einblicke in den Charakter? Du hast ja zum Beispiel in Berlin beide Inszenierungen – August Everding und Yuval Sharon – gesungen, die unterschiedlicher kaum sein könnten.
Ja klar, mit jeder Aufführung fast, aber das wäre jetzt übertrieben. Man hat eine andere Portion Lebenserfahrung, die man mitbringt in den Charakter. Das heißt, man kann eine andere Fallhöhe spielen und das Ganze mit mehr Weisheit betrachten und trotzdem aber vielleicht diese Naivität oder Unschuld durch dieses mehr an eigener Weisheit noch mehr nach außen kehren.
Mit einem Regiekonzept, ohne das jetzt zu überhöhen, kommen immer auch andere Facetten zum Vorschein. Man stellt sich selbst andere Fragen, man diskutiert andere Fragen mit dem Regieteam. Auch je nach musikalischer Leitung gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Sachen auszulegen.
Und all das ist ja mit ein Grund dafür, warum es so toll ist, Rollen und Charaktere in verschiedenen Konzepten auf die Bühne zu bringen.
Lass uns über Taminos großen Auftritt sprechen, die Bildnisarie. Ist es tatsächlich Liebe auf den ersten Blick oder regt sich da etwas anderes in ihm als das Herz?
Das ist eine große Frage – was ist überhaupt Liebe?
Ich glaube, das erste, was sich regt, ist tatsächlich diese Empfindung, und zwar eine Empfindung in ihm. Das sagt er auch selber. Er sieht ein schönes Bild, empfindet etwas und hinterfragt diese Empfindung, weil sie für ihn neu ist. Das führt mich dann zu der Frage, wurde das bisher von ihm ferngehalten? In einem aristokratischen Elternhaus mit wahrscheinlich einer strengen, isolierten Erziehung. Vielleicht ist das einfach das erste Mal, dass er die Chance hat, so etwas zu empfinden.
Und aus meiner Perspektive kommt dann sofort auch die Projektion dazu, weil Liebe immer eine gehörige Projektion mit sich bringt. Das eigene Bild vom anderen ist vielleicht entscheidender dafür, wie man Liebe empfindet, als die Persönlichkeit des anderen, und Persönlichkeit kann er jetzt ja noch gar nicht kennen.
Liebe auf den ersten Blick ist etwas, was ich selbst erlebt habe. Es ist etwas, was eine ungeheure Kraft hat und was einen zum Handeln bringt. Das ist das für mich Entscheidende in diesem Moment, dass er über sich selbst hinaus wächst, weil er empfindet.
Was würdest du tun als Tamino?
Die Generalpause ist wirklich einer der wichtigsten Momente. Alles, was danach kommt, ist Schwärmerei.
„Ich würdе sie voll Entzücken, An diesen heißen Busen drücken, Und ewig wäre sie dann mein.” – Was macht man nochmal, wenn man liebt? Genau, man umarmt sich.
Dann fängt es direkt an, da ist er nicht mehr unschuldig, sondern er versucht einem Bild von Liebe zu entsprechen, was unfassbar reif wäre, wenn er da schon antizipieren könnte. Kann er aber nicht.
Was würde ich? Na klar, ich würde ihr folgen, egal wohin.
Aber folgt er ihr der Liebe? Oder folgt er ihr Pamina? In der deutschen Sprache ist beides möglich.
Was glaubst du?
Ich glaube, hier folgt er dem Gefühl. Er folgt dann schon auch der Aufgabe, die die Königin ausspricht, aber er sagt ja nicht, dass er sie erobern muss. Dieses Ritterliche hat er zum Glück nicht, sondern er möchte zärtlich zu ihr sein.
Das ist schon mal eine Riesenqualität. Er möchte sie ans Herz drücken und dann kommt was, was man auch überanalysieren könnte, weil er im nächsten Satz sagt, „und ewig wäre sie mein”. Da kommt sowas Possessives. Keine Ahnung, ob Schikaneder und Mozart das so gemeint haben, aber dieser Besitzanspruch von Männern an Frauen oder auch andersrum, der gehört zumindest an der Schwelle zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert wohl noch zum Konzept Liebe dazu. Gott sei Dank hat sich das verändert!
Da reden wir über zwei Sätze und das ist der Grund dafür, warum wir Die Zauberflöte heute spielen...
Ich habe in einem Interview mit Slávka [Zámečníková] gelesen, wenn sie Pamina wäre, würde sie sich für Papageno entscheiden. Kannst du es nachvollziehen oder wie würdest du sie von Tamino überzeugen?
Er ist ja nicht der klassische Held. Wenn ich sie überzeugen müsste, dann wäre es vielleicht nicht von langer Dauer. [lacht]
Ich glaube, für Tamino spricht die Entwicklungsmöglichkeit. Er ist auf der Suche, da gibt es großes Wachstumspotenzial. Er ist noch kein Mann, löst sich gerade von zuhause und ist ausgezogen, um das Fürchten (oder das Lieben) zu lernen, um bei einem Märchenbild zu bleiben. Ihn dabei zu begleiten, als liebender Mensch, ist eine tolle Aufgabe.
Wenn ich mein eigenes Leben jetzt 25 Jahre zurück betrachte, dann habe ich sowohl Tamino- als auch Papageno-Anteile. Das eine sind die Grundbedürfnisse und das andere ist aber die Suche nach… Was heißt Weisheit?
Die Suche an sich, die Suche vielleicht auch um des Suchens willen, irgendwas Höheres zu finden, als nur einen Sinn. Einfach auf vielen Seiten das Leben auszudehnen, den Horizont zu erweitern. Da gibt es ja ganz viele Bilder, die wir ständig mit uns rumtragen. Tiefgang, höherer Sinn, Sinn des Lebens, all solche Fragen.
[Hier werden wir vom Kellner auf der Suche nach einem Earl Grey und einem Spritzer unterbrochen.]
Die viel größere Frage als Tamino ist ja eigentlich, was ist Die Zauberflöte? Ist sie eine „Große Oper”, ist sie ein Singspiel, ist sie Komödie, ist sie ein philosophisches Werk, ein Märchen? Ist sie alles?
All das!
Es ist keine klassische Oper, unter der wir am ehesten die aus der Opera seria-Tradition kommenden Stücke mit Folge, Rezitative, Arie, oder dann die großen durchkomponierten Werke von Wagner und Strauss oder die italienische Oper verstehen.
Die Zauberflöte ist Die Zauberflöte und hat wie so eine, in Deutsch sagt man die „eierlegende Wollmilchsau”. Sie bringt einfach alles mit.
Sie wird gerne als Kinderoper gebraucht, wobei es eigentlich total unkindhafte Anteile gibt. Sie wird als großes philosophisches Werk hergenommen, wo es um Licht und Dunkel, um Böse und Gut, um Macht und Ohnmacht geht. Auch als Vorzeigeoper, wenn es um die Frage von Rollenverteilung Mann und Frau geht.
Und irgendwie schafft es Die Zauberflöte aber trotzdem so eine chimäre Gestalt zu bleiben, die je nach Perspektive sich unterschiedlich darstellt und auch je nachdem, was man erzählen möchte, was sich ein Regieteam ausdenkt, zusammen mit der musikalischen Leitung und im Idealfall auch im Dialog mit den Sängerinnen und Sängern.
Wobei ich sehe mich gerade bei der Zauberflöte sehr im Dienste einer übergeordneten Sache, die nicht ich festlege, und die auch das Stück nicht selbst festlegt. Dafür ist es eben zu ungreifbar, was auch eine große Faszination ausmacht.
Kannst du und darfst du schon etwas über die Wiener Neuinszenierung verraten, welche Idee dahinter steckt?
[Nach langer Überlegung] Ich glaube, ich gebe eine andere Antwort, als vielleicht andere geben würden. Das Empfinden ist ein ganz wichtiger Parameter, sowohl für Barbora Horáková als auch für uns alle.
Mozart ist ein Komponist, zumindest für mich, der seine Figuren sehr vielschichtig darstellt, mit unterschiedlichen Emotionen, unterschiedliche Gefühlslagen, wodurch sich das Publikum immer mit mindestens einer Figur identifizieren kann. Wie schafft man das, ans Publikum weiterzugeben, vor allem mit der räumlichen Trennung des Orchestergrabens?
Das tolle an der Bühne ist, alle diese Mittel der Bühne zur Verfügung zu haben, vor allem das Licht. Licht spielt eine große Rolle bei der Zauberflöte und auch die Musik als metaphysische Komponente. Da überträgt sich wahnsinnig viel auch subkutan oder einfach unbewusst.
Das merkt man vielleicht nicht im Moment, der jetzt in unserem Fall gerade mit ganz viel Liebe und Hingabe vorbereitet wird, sondern erst später, wenn man darüber nachdenkt und sich die Frage stellt „Was geht mich das an?”. Und die dürfen sich Menschen sehr unterschiedlich beantworten.
Es gibt Menschen, die in die Oper gehen, um zu vergleichen. Die kennen das Stück so gut und möchten dieses Rädchen anwerfen und sagen, diesen Aspekt, den kenne ich von einer anderen Inszenierung. Man kann ja wahrscheinlich selbst in Österreich pro Jahr zehn verschiedene Zauberflöten sehen, wenn man das möchte. Und das ist auch schön.
Auf der anderen Seite gibt es aber immer auch den Anspruch eines Künstlers, einer Künstlerin, es so zu singen, dass es in jemandem, der es vielleicht auch zum ersten Mal sieht oder hört, etwas auslöst. Ohne die manchmal ein bisschen störende Komponente des Vergleichens.
Zu welchem Teil des Publikums gehörst du?
Ich bin sicher letzteres. Das Empfinden gelingt mir am allerbesten bei symphonischer Musik oder bei Kammermusik, bei Musik, wo die Stimme nicht mitschwingt. Wenn man sich ganz auf sich konzentrieren kann. Ich bin kein wahnsinnig guter Gesangsrezipient, so offen darf ich sein, vielleicht weil ich selbst Sänger bin und deshalb zu wenig unschuldig bin. Auf der anderen Seite lasse ich mich total gerne vom Singen überwältigen.
Ich erinnere mich z.B. an die Salzburger Festspiele, als Asmik Grigorian zum ersten Mal Salome gesungen hat. Ich war mit auf der Bühne und dachte, was geht denn hier bitteschön ab? Wie glücklich kann ich mich denn schätzen? Ich muss auch ein bisschen singen als Narraboth, aber irgendwann ist das Singen vorbei und dann darf ich zuhören und dieser Künstlerin so nahe sein.
All diese Ebenen, die gibt es bei mir als Mensch und bei mir als Künstler. Ich gestehe mir da vielleicht eine gewisse Sensibilität ein. Aber man will diese Tür zur Sensibilität auch nicht immer offen halten, ich will selbst auswählen, wann ich diese Türe aufmache.
Als Künstler ist es meine Aufgabe, genau das in anderen zu wecken, aber wenn ich mich selbst zu häufig in diese Position bewege, dann durchbreche ich eine Grenze, die ich einfach nur selten durchbrechen möchte. Sonst könnte ich nicht auf der Bühne stehen.
Um noch kurz bei der Zauberflöte zu bleiben, es gab leider die Absage von Franz Welser-Möst, für den es wirklich auch ein Herzensprojekt war. Wie geht man als Team damit um?
Ich möchte zwei verschiedene Sachen erwähnen, die dabei wichtig sind. Das eine ist, dass wir alle Franz Welser-Möst möglichst baldige Genesung wünschen und dass wir alle gleichermaßen traurig waren, dass es ihm so schlecht geht, dass er diesen Traum nicht vollenden kann.
Auf der anderen Seite ist auch große Dankbarkeit da, dass wir uns als Ensemble mit vereinten Kräften, zusammen mit dem einspringenden Bertrand de Billy und der Staatsoper zusammenfinden in dieser Situation. Es geht im Endeffekt darum, dem Wiener Publikum am 27. Jänner eine tolle Premiere zu präsentieren. Das vereint uns.
Die Premiere ist dein Hausdebüt an der Wiener Staatsoper. Was bedeutet es für dich?
Ich würde lügen, wenn das nicht was absolut Besonderes wäre. Ich muss ja gar nicht lügen – ist doch schön, wenn man so sieht, oder? Ich freue mich, ich bin nervös, ich bin angespannt, ich bleibe mir trotzdem treu und auf diesen Abend freue ich mich schon lange.
Ich habe in den letzten zwei Jahren eine besondere Beziehung zu Wien entwickelt, die immer noch in Entwicklung ist. Der Startpunkt war eines meiner absoluten Herzensstücke, die Matthäus-Passion mit den Wiener Philharmonikern vor Ostern 2023.
Die nächste Etappe war ein sehr besonderes Projekt, Müller*in Wien, das im Herbst 2023 stattgefunden hat. Und inmitten dieser Entwicklung kam die Einladung der Wiener Staatsoper, hier Die Zauberflöte zu singen.
Bei Schubert und Wien hast du bestimmt schon die nächsten Projekte geplant…
Tatsächlich plane ich gerade First Schubert, in dem es mir darum geht, in den nächsten Jahren mehr Menschen einen wundervollen ersten Kontakt mit Schubert zu ermöglichen.
Mir ist dieser Komponist unfassbar ans Herz gewachsen, vor allem in den letzten Jahren. Wien ist einfach die Schubertstadt und Schubert ist der Wiener Komponist überhaupt. Ich möchte fast sagen, dass Schubert der wichtigste Komponist in Wien ist, weil er die große weite Welt nicht kannte. Er kannte sie im musikalischen Sinn, hat aber sein ganzes Leben in Wien verbracht und ist nie weiter entfernt gewesen als mal in der Steiermark.
Was bei Schubert so wahnsinnig wertvoll ist, ist der Mensch selbst, und seine Empfindungen. Angesichts der Natur, angesichts der Liebe und der Sehnsucht, angesichts des Todes. Das steht bei Franz Schubert auf ganz konzentrierte Art und Weise im Mittelpunkt und ich werde nicht müde, darüber nachzudenken.
Ganz konkret finden rund um seinen Geburtstag am 31. Jänner, innerhalb von 24 Stunden an drei verschiedenen Orten sehr liebevoll gestaltete Schubert-Konzerte statt. Im Schubert Geburtshaus, im Konzerthaus und im Wien Museum am Karlsplatz.
Franz Schubert hat tatsächlich vor 200 Jahren am Karlsplatz gelebt – weil das Haus nicht mehr steht, weiß man es heute nicht mehr. Er wohnte dort 1825/26 und komponierte unter anderem die Deutsche Messe, die eines der Sinnbilder dafür ist, wie viele Menschen mit Schubert in Kontakt kommen, ohne vielleicht zu wissen, dass es Schubert ist.
Und jetzt kommt die schöne persönliche Note, weil ich ja zum 200. Jubiläum von Die schöne Müllerin dieses sehr besondere Projekt in Wien gemacht habe. Unter diesem Stich, der ist aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, steht dieses Lied… Ich habe es in einem Antiquariat auf der Ringstraße gefunden. Dieses Lied, Das Wandern ist des Müllers Lust, habe ich im Herbst 2023 an 25 verschiedenen Orten in Wien gesungen, in der Wachau auf dem Weinberg, im Café Korb, im Schubert Theater,...
Ich mag es, wenn sowas passiert, solche Zufälle, die dann eben keine mehr sind, weil wir uns als Menschen natürlich alles zurecht denken. Das ist aber eine Qualität, die wir in uns tragen, diese Fähigkeit zu reflektieren und die Fähigkeit zu analysieren, auch um größere Zusammenhänge vielleicht zu erkennen und daraus Kraft zu schöpfen.
Das ist es, was mich immer wahnsinnig beflügelt.
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