Cherubini gehört zu den bedeutendsten Komponisten des 19. Jahrhunderts, dessen Werke von großen Komponisten wie Beethoven, Schumann und Brahms hoch geschätzt wurden. Heute werden diese kaum noch gespielt. Philippe Herreweghe hat mit seinem Orchestre des Champs Elysées und Collegium Vocale Gent beim Musikfest Berlin eindrucksvoll gezeigt, dass es ein großes Versäumnis ist, diese Musik zu vergessen.

Philippe Herreweghe dirigiert das Orchestre des Champs-Élysées © Berliner Festspiele | Fabian Schellhorn
Philippe Herreweghe dirigiert das Orchestre des Champs-Élysées
© Berliner Festspiele | Fabian Schellhorn

Eröffnet wurde der Abend mit Beethovens Eroica. Herreweghe ist zwar kein Orchesterdirigent, hat aber ein so hervorragend eingespieltes Ensemble, dass die Aufführung der Symphonie darum gut gelang, weil die 49 Musiker und Musikerinnen auf ihren historischen Instrumenten es vermochten, in dieser kleinen Besetzung eine zügig-temperamentvolle Interpretation hinzulegen, die womöglich sogar gegen jenes kunstreligiöse Pathos anspielte, zu dem große Orchester sich nicht selten versteigen. Die enormen Staukräfte, die die Synkopen im Kopfsatz bewirken, wurden nicht gemildert, sondern eher präzisiert und dabei die Balance zwischen Bläsern und Streichern bestechender gehalten als in großen Besetzungen. Wohltuend stachen die Naturhörner und Naturtrompeten nie hervor, vor allem aber gelang es, das kompositorische Detail des chromatischen Gegenstimmenmotivs im Thema als Baustein und Sinnträger etablieren zu können, um den Satz zusammenzuhalten.

Dass Phrasen mitunter nicht ausmusiziert wurden und mancher Übergang fast ungestüm anmutete, ist von Beethoven so vorgegeben, der kaum einer Prägung im Kopfsatz Zeit lässt, sich zu entfalten. Allein absolut wurde nicht musiziert; denn das von allen Komplikationen entledigte Thema wurde als Rundtanz am Ende des Satzes regelrecht zelebriert. Der Trauermarsch des zweiten Satzes erklang anfangs durchweg schlank im Ton, wurde aber im Fugato doch regelrecht an die Kandare genommen. Am Ende ließ Herreweghe das Thema sich auflösen; im Scherzo entfesselte das Orchester im großen Tempo die Neugeburt der Tonart. Beindruckend war die Sicherheit, mit der die Hörner das Trio-Thema vortrugen. Mit einer Theatergeste wurde das Finale eröffnet. Das in den Streichern artikulierte Bass-Thema bekam durch das Pizzicato, die Tonrepetitionen und nachklappernden Oktavierungen einen durchaus parodistischen Beiklang, um so das eigentliche Thema des Satzes, das Kontretanz-Thema, auf ein Podest zu heben. Sinnfällig setzte es sich, so zur Hauptsache erklärt, im Prozess der Variationen allmählich durch.

In Cherubinis c-Moll-Requiem unterbot Herreweghe in der Besetzung des Chores und des Orchesters noch die Zahl der Uraufführung. Wie schon bei Beethovens Dritter steigerte er die Aufführung nicht in Extreme, weil er genau weiß, dass dies stets auf Kosten der Komposition geht. Der Introitus klang ruhig und durch seine Besetzung dunkel, in sich abgerundet und die Balance haltend. Selbst in dem dramatischen Dies Irae hielten die 32 Sänger und Sängerinnen Maß in ihrer kultiviert durchrüttelnden Aufruhr, wenn die Toten unter Pauken und Trompetenklang die Gräber verließen oder abrupter Stillstand das Singen („Mors stupedit“) zu unterbrechen hatte und nur in atemlosem Stocken und rhythmischem Flüstern fortzusetzen war. Der milde Jesus schimmerte im C-Dur, zu dem die Streicher keine Seufzerfiguren sondern „Girlanden intonierten. Von großer Wirkung waren die Fortepiano-Effekte über den Repetitionstönen der Bässe und den Akkordbrechungen der Violinen.

Die Tripelfuge im Offertorium wurde so transparent durchleuchtet, als wollten die Aufführenden Berlioz eines Besseren belehren und ihm demonstrieren, dass sie keineswegs abgerissen ist und durchaus Sinn ergibt. Wie sensibel die Aufführung auf die Absichten Cherubinis reagierte, war auch daran zu erkennen, dass sie dem „Olim“ der Fuge mit einer Strenge aus alter Zeit begegnete, während das „Hostias“ als empfindsamer Chorsatz vorgetragen wurde. Die einleitenden punktierten Rhythmen erzeugten hier keinen voranpreschenden Charakter wie im Offertorium, sondern einen zart-mystischen. Im Sanctus wichen die düsteren Klänge einem rhythmisch angereicherten Lobgesang. Im Pie Jesu trugen die Chorstimmen den Text wie einen cantus firmus vor und entgingen so der Gefahr, den Satz in ein Arioso entgleiten zu lassen. Im Agnus Dei durfte die klagende Schlichtheit sich kurz aufbäumen, bevor das Ensemble ein berührendes Klangbild der Ewigkeit zu musikalisieren verstand.

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