Symphonische Erzählungen und Märchenhaftes: darum kreist das Motto der diesjährigen Konzertsaison der Bamberger Symphoniker, die in ihren Programmen offensichtliche Geschichten, an die wir uns gerne erinnern, vortragen wollen. Darunter auch Erlebtes, was nicht leicht in Worte zu fassen, aber musikalisch ausdrucksstark ist. So kann auch das Wie eines Vortrags in den Mittelpunkt rücken: da ist es durchaus konsequent, einmal mehrere Solisten Sichtweisen der Welt ihrer Fantasie aufspannen zu lassen.
Aaron Copland (*1900) hatte sein Klarinettenkonzert 1949 für den großen Jazzklarinettisten Benny Goodman geschrieben und sich dabei an Stelle eines Jazzorchesters für Klavier, Harfe und Streicher als Besetzung entschieden. Dieses Werk an den Anfang des Konzertabends zu stellen, ist vor allem für den Solisten eine Herausforderung. Nur wenige getupfte Akkorde eines langsamen Walzers von Harfenistin und Streichern erklingen zu Beginn des Slowly and expressively überschriebenen Satzes, auf dieser klanglichen Einstimmung muss der Solist sofort im Mittelpunkt stehen. Für den erkrankten Martin Fröst (in der aktuellen Saison Portraitkünstler in einer Reihe unterschiedlichster Konzerte der Bamberger) war Karel Dohnal, Soloklarinettist mehrerer tschechischer Orchester, kurzfristig eingesprungen. Mit behutsamem, ätherisch zartem Einsatz hatte er augenblicklich die gespannte Aufmerksamkeit des Publikums, zog die Hörer im weichen Wiegen der tänzerischen Melodie in seinen Bann. Dabei blieb er selbst körperlich fast völlig still, ließ nur sein Instrument im Mittelpunkt sich bewegen und singen, wie in Nachempfindung einer bittersüßen Stimme. Jakub Hrůša formte aus elegischen Kantilenen der Streicher ein immer forscheres Tempo, nahm das Orchester gekonnt aus Puls und Offbeat mit in Sphären des Swing und Blues. Dohnal steigerte sich in die ausgedehnte Kadenz, die zunehmend damals populäre brasilianische Melodien in die Jazzanklänge des amerikanischen Kontinents mischte. Immer mehr perkussive Momente prägten in dieser Mischung den zweiten Satz Rather fast, gaben dem Solisten wie dem bestens präparierten Orchester Raum für jazzige Pizzicati, fühlbare Reibung von Taktwechseln, grelle atemberaubende Spitzentöne und ein bravouröses Schluß-Glissando der Klarinette.
Es bleibt für Jakub Hrůša eine Herzensangelegenheit, in seinen Konzerten immer wieder neue Einblicke in die Musik seiner tschechischen Heimat zu vermitteln. Schon früher hatte er Werke von Bohuslav Martinů präsentiert, der, zehn Jahre vor Copland geboren, nach zwei Weltkriegen und der Emigration nach Amerika ähnliche Eindrücke aufgesogen hatte und musikalischer Weltbürger und Wanderer zwischen den Stilen geworden war. Die Begegnung mit Werken von Strawinsky oder der Groupe des Six in Paris hatten nachhaltigen Einfluss auf sein Schaffen; er wandte sich dem Neoklassizismus zu und baute wie Copland flexible Rhythmen und markante Metrik in seine Tonsprache ein. Lediglich seine Symphonien schaffen es gelegentlich auf die Programmzettel; welche unerwarteten Schätze in den Konzerten zu heben sind, demonstrierten der phänomenale tschechische Pianist Ivo Kahánek und exzeptionell aufspielende Bamberger in Martinůs Viertem Klavierkonzert von 1956 auf atemberaubende Weise. Ein Sekund-Intervall zu Beginn wird zum ersten Motivbaustein, harmonische Wandlungen führen über den tonalen Rahmen hinaus. Im Wechselspiel mit Harfe und umfangreichem Schlagwerk reizten Pianist und Orchester scharf konturierte Themenblöcke aus neben romantisierendem pastellfarbenem Spiel mit Tönen. Kahánek präsentierte sich mit höchster pianistischer Sensibilität, meisterte virtuose Klangkaskaden mit extrovertierter Selbstverständlichkeit ebenso wie fein und tastend vorgetragene Adagios mit lyrischem Anschlag, machte das Klavierkonzert zur Entdeckung des Abends.
Vom Neoklassizismus hinein in die Klassik, oder war Martinůs überliefertes Zitat „Mir ist’s absolut klar, was unserer heutigen Musik mangelt: ein Mozart!“ der Schlüssel zur Überleitung? Jakub Hrůša gab Mozarts letzter großer C-Dur-Symphonie philharmonischen Zuschnitt, forderte von vierzig hervorragend-seidig aufspielenden Streichern sonore Klangfülle, aber auch Rücksicht auf die eher kleine klassische Holzbläserformation. Die „Jupiter”-Symphonie zählt zu Mozarts beliebtesten Werken, und sicher ist nur, dass der Beiname nicht vom Komponisten selbst stammt. Dabei war sie nie als Abschluss oder Krönung dieser Gattung gedacht; Mozart war in dieser Zeit nur intensiv mit Opernkomposition und Kammermusik beschäftigt, hatte sie sicher im Kontext zu den beiden anderen g-moll- und Es-Dur-Werken im Triptychon gesehen. Hrůša nahm ein zügiges Grundtempo auf, betonte deutlich Klarheit und Ausgewogenheit des strahlkräftigen Opus, dessen vollendete musikalische Verarbeitung der Themen des ersten Allegro-Satzes, der über die kompositorische Anlage der früheren Symphonien hinausgeht. Im Andante cantabile konfrontierte Hrůša in den drei Themen lyrische Inbrunst mit dramatischem Ernst, ließ den Schluss bewundernswert in träumerischer Stille ausklingen. Schmeichelnd die Melodie des Menuetts, deren fallend chromatischer Gang durch eine Quarte bereits Keimzelle des abschließenden Molto Allegro wird. Da ereignete sich kein Kehraus mit turbulentem Prestowirbel; wiederum vier Töne einer Quart waren markantes Hauptmotiv des Schlusssatzes, wurden in schönster Huldigung an Bach durch fugierte Passagen gereicht und in fast unglaublicher Voraussicht Brucknerscher Sinfonik mit Themen früherer Sätze übereinander geschichtet. Da beeindruckte besonders, wenn Übergänge zwischen Motiven durch verhaltenen Schlag herausgehoben oder Phrasenwiederholungen nie einfach nur dupliziert, sondern dynamisch stark kontrastiert und gar als Dialoge einer Klangrede inszeniert wurden.