Die Unterschiede könnten größer kaum sein: Wo sich das Gringolts Quartett am Vortag als eingeschworene Gemeinschaft präsentiert hatte, die sich im kleinen Kreis zugewandt ganz der Musik und deren Interpretation hingab, spielte das Cuarteto Casals im offenen Halbkreis, fast gänzlich dem Publikum zugekehrt. Auch in der Interaktion, gegenseitig und mit dem Publikum, unterschieden sich die vier Musiker deutlich voneinander.

In Beethovens Op.18 Nr.1 saß Abel Tomàs am ersten Pult, bald in sich hineinschauend, bald in Richtung der Mitspieler, dann wieder mit vielfältiger, unwillkürlicher Mimik ins Publikum. Zusammen mit dem Cellisten Arnau Tomàs schien er das Ensemble zu kontrollieren, dominierte auch klanglich (was zum Teil in der Anlage der Komposition gelegen haben mag). Und wieder befand sich in der Diagonale gegenüber der Cellist, der den ganzen Abend über rege den Blickkontakt mit dem Ensemble suchte, oft lächelnd, als wenn er sich anekdotischer Begebenheiten aus der Probenarbeit erinnern würde. Dagegen konzentrierte sich Bratschist Jonathan Brown rechts außen mit zurückhaltendem Gesichtsausdruck voll und ganz auf die Noten, schaute nur gelegentlich zu den Mitspielern, wo die Koordination es erforderte. Vera Martínez Mehner links hinten an der zweiten Violine tat es ihm gleich; ihre Mimik ließ bis auf ein seltenes Lächeln kaum Emotionen durchblicken. Sie schien hier zudem völlig im Schatten der dominanten ersten Geige zu stehen – ganz im Gegensatz zum Werbeauftritt des Quartetts, der sie immer als Blickfang und Farbtupfer ins Zentrum stellt.

Die Musiker präsentierten das Quartett auf Bögen, wie sie in der Zeit der Wiener Klassik im Gebrauch waren. Dies rückte Ansprache und Tongebung in die Nähe dessen, was Beethoven vorgeschwebt haben dürfte. Mir gefiel im Allegro con brio der lebendige, naturbelassene Ton, auch wenn er nicht so groß und dicht war wie mit modernen Tourte-Bögen. Allerdings nutzte das Quartett fast durchweg ein – wiewohl oft diskretes – Vibrato. Das Adagio affettuoso ed appassionato fand ich vor allem im letzten Teil dramatisch und expressiv; das Scherzo war sehr dramatisch und lebendig im Klang. Im wilden Trio hörte man bei einigen der Spiccati und Staccati fast mehr Bogen- und Saitengeräusch denn Ton, was ich eher als Bereicherung sah; als spielerisch, wild und rau empfand ich das abschließende Allegro. Technisch war in diesem virtuosen Satz nicht alles perfekt, doch ist dem Ensemble der Ausdruck wohl wichtiger als Perfektion.

Mit dem Streichquartett Nr. 10 von Schostakowitsch wechselten die beiden Violinen die Plätze – und ab da stimmte plötzlich die klangliche Balance, und es zeigte sich, dass Vera Martínez Mehner durchaus energisch auftreten, das Quartett klar führen kann. Der erste Satz (Andante) wird con sordino gespielt, im Konzert jetzt mit modernen Bögen: sehr stimmungsvoll, mit seinen fast gespenstischen sul ponticello-Stellen, speziell auf der Viola. Das Allegretto furioso erweckte, nicht untypisch für Schostakowitsch, den Eindruck von „Maschinenmusik“: theatralische Fabrikgeräusche, Industrielärm, Metropolis, „modern times“ – oder gar Schlimmeres? Zum Ausgleich ist das Adagio sanglich, gemütswarm, mit wunderbaren Kantilenen im Cello, von der tiefer liegenden Bratsche als Bass und zusätzlich zarten Klängen der ersten Violine begleitet. Äußerst expressiv, zumal wenn die Viola die Kantilene übernimmt, mit Pizzicato-Begleitung. Der Schlusssatz (Allegretto –  Andante) präsentierte sich wiederum sehr lebendig, gekonnt, mit Freude und Engagement musiziert.

Nach der Pause erfolgte für Beethovens Op.135 ein erneuter Wechsel zu klassischen Bögen, im Falle des Bratschisten ein drittes, spätklassisches Modell. Das Allegretto überzeugte mit konsistenter Artikulation und ausgezeichnet tarierter Dynamik, die das polyphone Gewebe mit seinen vielfältigen Themen und Motiven jederzeit transparent hielt, erfassbar machte. Auch das Vivace glänzte mit technisch ausgezeichneter Quartettarbeit, oft fast wie ein einziges Instrument, mit leichter Artikulation, wobei Vera Martínez Mehner manchmal beinahe energisch (und mit ausgezeichneter Intonation auch in sehr hohen Lagen) führte, das Tempo nie erlahmen ließ.

Im langsamen Satz gefiel mir der ausgesprochen volle, warme Wohlklang der ersten Violine in tiefen Lagen, wunderbar singend, berührend. Anderseits hat mich das angelegentliche Lächeln des Cellisten irritiert. In einem fröhlichen Werk mag das angehen, jedoch nicht in einem derart innigen Satz, bei dessen Niederschrift der Komponist höchstwahrscheinlich Tränen vergossen hat! Zum allermindesten hat mich dies hier abgelenkt, den Genuss in einer ansonsten sehr guten Interpretation beeinträchtigt.

Das Besondere an der Beethoven-Interpretation des Cuarteto Casals sehe ich hingegen vor allem in der historisierenden Tongebung und der (leichten) Artikulation. Im emotionalen Gehalt sowie dem Gebrauch von Vibrato und Agogik liegen sie klar näher am Mainstream als das Gringolts Quartett. Beethovens letzten Quartettsatz „Muss es sein?“ – „Es muss sein!“ fand ich gut, gar ausgezeichnet, als Interpretation insgesamt aber im erwarteten Rahmen. Vielleicht nicht ganz überraschend schienen mir die beiden Leitmotive rhythmisch nicht wirklich der deutschen Sprache entlehnt. Katalanisch etwa?

****1